Ecuador / Politik / Militär

Neue Stufe der Gewalt in Ecuador, Regierung erklärt "internen bewaffneten Konflikt"

Nächtliche Ausgangssperre, Militäreinsatz auf Straßen und in Gefängnissen. Präsidialdekret verfügt: Drogenbanden sind kriegerische nichtstaatliche Akteure

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Polizei und Militär brauchten in Ecuador Wochen, um Gefängnisse wie das von Litoral wieder unter ihre Kontrolle zu bringen
Polizei und Militär brauchten in Ecuador Wochen, um Gefängnisse wie das von Litoral wieder unter ihre Kontrolle zu bringen

Quito. Die Gewaltkriminalität in Ecuador ist erneut eskaliert. In mehreren Provinzen gleichzeitig kam es in den vergangenen Tagen zu gewalttätigen Angriffen der organisierten Kriminalität.

Vorläufige Bilanz der Gewalteskalation sind 14 Tote und fast 140 Polizisten und Wachleute, die immer noch von Häftlingen festgehalten werden. Es wird von 859 Festgenommenen berichtet, darunter 95 wegen "Terrorismus".

Kurz zuvor war bekannt geworden, dass José Adolfo Macías Villamar alias "Fito", Chef des Kartells "Los Choneros" aus der Haft ausgebrochen war. Staatspräsident Daniel Noboa rief einen Tag später den Ausnahmezustand aus. Dieser beinhaltet den Einsatz des Militärs auf den Straßen und in den Gefängnissen sowie eine landesweite nächtliche Ausgangssperre für zunächst 60 Tage. Über 3.000 Polizisten und Soldaten fahnden nach "Fito", der eine 34-jährige Haftstrafe verbüßte.

Schwer bewaffnete Männer drangen daraufhin in eine Livesendung des Fernsehsenders TC Television in Guayquil ein und nahmen mehrere Mitarbeitende als Geiseln. Sie konnten in Gewahrsam genommen werden.

Noboa erklärte dann am Dienstag per Dekret den "bewaffneten internen Konflikt".

Tatsächlich sind die neuesten Ereignisse in Ecuador dramatisch. Galt Ecuador noch 2017 als Beispiel für erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung und mit einer Mordrate von 5,8 je 100.000 Einwohner nach Chile als zweitsicherstes Land Lateinamerikas, so ist die Gewaltkriminalität in den vergangenen Jahren explodiert.

Zum Jahresbeginn 2024 berichtete El Universo: "Ecuador beendete das Jahr 2023 mit einer Gesamtzahl von 7.878 Verbrechen, die sich bis zum 31. Dezember 2023 ereignet hatten, was eine Rate von 46,5 Morden, Tötungsdelikten, Femiziden und Auftragsmorden pro 100.000 Einwohner bedeutet. Dies ist die höchste Rate in der Geschichte des Landes."

Ausnahmezustände hatten bereits die Regierungen von Lenín Moreno (2017-2021) und Guillermo Lasso (2021-2023) wiederholt ausgerufen und vermehrt das Militär zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität eingesetzt, allerdings ohne nachhaltig positive Wirkung.

Präsident Noboa ging jetzt noch einen Schritt weiter und erklärte die Situation in dem Andenstaat zu einem "internen bewaffneten Konflikt". Gleichzeitig wies er das Militär an, die "transnationalen" kriminellen Organisationen zu "neutralisieren".

Die im Land agierenden Drogenbanden Águilas, Águilas Killer, Ak47, Caballeros Oscuros, Chone Killer, Choneros, Covicheros, Cuartel de las Feas, Cubanos, Fatales, Gánster, Kater Piler, Lagartos, Latin Kings, Lobos, Los p.27, Los Tiburones, Mafia 18, Mafia Trébol, Patrones, R7, Tiguerones definierte der Präsident in seinem Dekret als "terroristische Organisationen und kriegerische nichtstaatliche Akteure".

Der Chef des Gemeinsamen Kommandos der Streitkräfte, Admiral Jaime Vela Erazo, erklärte in einer Ansprache an die Nation, die im Dekret genannten Gruppen seien damit "ein militärisches Angriffsziel".

Laut Medienberichten nutzen diese Banden die Gefängnisse als ihre wichtigsten Kommando- und Operationszentren und sind mit den großen Drogenkartellen in Mexiko und Kolumbien verbunden.

Die Schritte Noboas stießen im gesamten politischen Spektrum des Landes auf breite Zustimmung. Ex-Präsident Rafael Correa (2007-2017), der in Belgien im Exil lebt, bot Noboa seine Unterstützung an. Über politische Differenzen werde man am Tag nach dem Sieg über die organisierte Kriminalität sprechen. Gleichzeitig warnte er davor, einseitig auf Repression zu setzen oder rechtsstaatliche Prinzipien zu missachten.

Vertreter der politischen Rechten versuchen indes, den erzwungenen Abzug der US-Militärbasis in Manta 2009 und die Einführung einer Konsumtabelle für den geduldeten Drogenkonsum in der Amtszeit der Bürgerrevolution (Revolución Ciudadana) als Ursachen für die Jahre später einsetzende Gewaltspirale darzustellen. Von 2009 bis 2017 war die Gewaltkiminalität jedoch drastisch zurückgegangen.

Nachvollziehbarere Ursachen sind die von Moreno forcierte Zerstörung der während der Revolución Ciudadana geschaffenen Sicherheitsarchitektur und die Ausrichtung der Justiz auf Lawfare gegen die einstigen politischen Weggefährten sowie die Wirtschaftskrise und die um sich greifende Perspektivlosigkeit.

Der Drogenhandel hat massiv zugenommen, Ecuador ist zu einem der größten Drogenexporteure geworden. Nach Schätzungen des US-Außenministeriums wird ein Drittel des kolumbianischen Kokains durch Ecuador transportiert, bevor es nach Nordamerika und Europa gelangt. 2022 wurden 201,3 Tonnen Drogen beschlagnahmt, die zweithöchste Zahl in der Geschichte des Landes.

Der Kriminologe und Mafia-Experte Pedro Ganja benennt die ehemaligen Präsidenten Moreno und Lasso als die Hauptverantwortlichen für die derzeitige Situation. "Ob die Hasser es mögen oder nicht, wir hatten ein funktionierendes Land, aber sie haben das Schulfrühstück gestrichen, sie haben die Straßen zerstört und aufgegeben, sie haben Tausende von Arbeitern, Lehrern, Krankenschwestern, Ärzten und anderen entlassen", erklärte er gegenüber Radio Pichincha.

Eindringlich warnte er, dass das einseitige Setzen auf Gewalt nur zu einer weiteren Eskalation führen werde, wie dies beim "Plan Colombia" oder in Mexiko bei der Mérida-Initiative der Fall war, die auf den "Krieg gegen Drogen" ausgerichtet waren.