Kolumbien: Der eigentliche Kern des "totalen Friedens" ist der Paramilitarismus

Mit der Forderung "Den Paramilitarismus zerschlagen" hat der Congreso de los Pueblos eine landesweite Mobilisierung gestartet

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Autodefensas Gaitanistas de Colombia "markieren" ihre Präsenz in Cáceres, Antioquia
Autodefensas Gaitanistas de Colombia "markieren" ihre Präsenz in Cáceres, Antioquia

Am 4. Juni erwachte das Land mit Nachrichten von Blockaden strategischer Straßen, von der Übernahme öffentlicher Infrastrukturen und der Einrichtung einer humanitären Zufluchtsstelle in der Apostolischen Nuntiatur in Bogotá. Es handelte sich um eine Mobilisierung unter dem Motto "Den Paramilitarismus zerschlagen" als Reaktion auf den Angriff gegen die Bevölkerung, der in den letzten Jahren dutzenden sozialen Führungspersönlichkeiten das Leben gekostet hat. Insbesondere der Kongress der Völker (Congreso de los Pueblos1) musste einige seiner historischen Führungskräfte innerhalb kürzester Zeit zu Grabe tragen. Doch die Bedrohungen betreffen jedes Projekt des Wandels, das die Machtverhältnisse in den Schlüsselregionen des Landes verändert. In diesem Kontext sprachen wir mit Esteban Romero, einem der sichtbarsten Wortführer der Mobilisierung, um das Wesen und die Ziele des heutigen Paramilitarismus zu ergründen.

Wie ist der Paramilitarismus gegenwärtig zu verstehen, in Anbetracht der Bedeutung, die die Schirmorganisation der AUC (Autodefensas Unidas de Colombia, Vereinigte Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens) zwischen den 1990er Jahren und dem Beginn der 2000er Jahre innehatte? Einige sprechen von einem Wandel zwischen zwei Modellen, von einem aufständischen Paramilitarismus hin zu einem gesellschaftlichen Paramilitarismus. Stimmen Sie dieser Perspektive des Übergangs zu? Ist es möglich, Veränderungen innerhalb der politischen Ausrichtungen des Paramilitarismus in Kolumbien zu erkennen?

Während wir den paramilitärischen Vormarsch angeprangert und einen humanitären Notstand ausgerufen haben, beschrieben wir die Situation, auf die wir in den Territorien gestoßen sind. Wir können einige Veränderungen, einige Transformationen des paramilitärischen Phänomens erkennen, das manche heute als "Erbgruppen des Paramilitarismus" oder "Neo-Paramilitarismus" bezeichnen.

Zunächst einmal sind wir der Ansicht, dass es Paramilitarismus in Kolumbien tatsächlich gibt. Das muss gesagt werden, da die gegenwärtige Existenz des Paramilitarismus in der öffentlichen Meinung und in einigen intellektuellen Kreisen relativiert wird. Auch wenn er sich verändert, auch wenn er mutiert, auch wenn er sich auf andere Art und Weise manifestiert, denke ich, dass wir die Tatsache, dass es aktuelle Ausprägungen des paramilitärischen Phänomens gibt, nicht relativieren können. Das ist das Erste, was gesagt werden muss: Paramilitarismus in Kolumbien existiert.

Zweitens: Ja, er hat sich verändert. Aus dem früheren Paramilitarismus der AUC, der die Form eines großen nationalen Projektes hatte, sind die Gruppen geworden, die heute dieses Erbe antreten. Der gegenwärtige Paramilitarismus hat Besonderheiten und eine andere Vorgehensweise. Er ist viel stärker mit der Dynamik großer Wirtschaftsprojekte verflochten. In diesem Sinne haben wir ihn immer als ein Projekt, eine Strategie, und nicht nur als eine Gruppe verstanden.

Wenn wir den Paramilitarismus nicht nur als eine Gruppe oder einen bestimmten Namen für einige wenige bewaffnete Männer betrachten, sondern ihn in den Rahmen einer Strategie einordnen, dann begreifen wir, dass es sich um ein politisches Projekt handelt, das im Laufe der Zeit auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommt.

Im aktuellen Fall sehen wir, dass weiterhin Verflechtungen in den Territorien bestehen; insbesondere dort, wo es heftige territoriale Auseinandersetzungen um die Kontrolle natürlicher Ressourcen oder den Zugang zu wichtigen Wirtschaftskorridoren gibt. Der Paramilitarismus greift dort an, wo organisatorische und gemeinschaftliche Netzwerke eine bedeutende Position eingenommen haben, um gemeinsame Güter und das Bestehen ihrer Gemeinschaften zu verteidigen.

Hier können wir die Komplizenschaft zwischen dem Paramilitarismus und dem Staat mit seinen Streitkräften erkennen. Diese Verbindung zwischen politischen und wirtschaftlichen Gruppen auf regionaler Ebene setzt sich als Konstante fort. Besagte Verflechtungen stellen nach wie vor eine wesentliche Lücke innerhalb der Analyse rund um den Paramilitarismus dar. Wir müssen verstehen, wie sich die heutigen paramilitärischen Gruppen finanzieren und wie sie mit den wirtschaftlichen Akteuren der jeweiligen Regionen, in denen sie präsent sind, in Beziehung stehen. Die zuletzt veröffentlichten Erkenntnisse des Berichts der Wahrheitskommission deuten darauf hin, dass der Paramilitarismus eindeutig von Wirtschaftsgruppen finanziert wurde. Trotzdem wissen die Regierung und die Gemeinden nicht, wie genau diese Fäden miteinander verwoben sind. Hier ist sicherlich ein wiederkehrendes Merkmal zu erkennen.

Der Paramilitarismus fungiert als Instrument für viele Machtgruppen, die ein Interesse daran haben, bestimmte Veränderungsprozesse in den Territorien einzudämmen, aufzuhalten oder zu fördern. Die Gaitanistischen Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (Autodefensas Gaitanistas de Colombia, AGC) haben beispielsweise ihren Namen geändert und bezeichnen sich nun als Gaitanistische Armee Kolumbiens (Ejército Gaitanista de Colombia, EGC). Seit Gustavo Petro die Regierung übernommen hat, haben diese Paramilitärs ihren öffentlichen Diskurs neu ausgerichtet, präsentieren sich nun als eine politische Gruppierung und versuchen, die Regierung dazu zu bringen, sie als Akteur mit politischem Charakter anzuerkennen. Genau diesen Versuch unternahmen auch die AUC vor ihrer Demobilisierung.

Während der damaligen Diskussion rund um die Demobilisierung wurde darauf hingewiesen, dass es unmöglich sei, den politischen Status einer Gruppe anzuerkennen, die sich aus dem Inneren des Staates heraus gebildet hat und die nicht darauf abzielt, die Staatsmacht herauszufordern oder sich ihr entgegenzustellen.

Im Gegenteil, Ziel und Grund ihrer Existenz bestanden darin, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten. Auch wenn sich die Zeiten unterscheiden, tauchen immer wieder dieselben Diskussionen auf. Es ist jedoch anzumerken, dass die AGC derzeit auch deswegen die politische Anerkennung durch den Staat anstrebt, da ihnen die Regierung von Gustavo Petro dieses Gelegenheitsfenster eröffnet hat, indem sie von einem "totalen Frieden" mit den bewaffneten Gruppen im Allgemeinen gesprochen hat.

Also, es gibt definitiv Veränderungen und es gibt definitiv Paramilitarismus. Die Dynamiken dieses Projektes sind nach wie vor eng mit Wirtschafts- und Machtgruppen verbunden. Es ist jedoch noch immer schwer zu erkennen, in welchem Umfang politische und wirtschaftliche Akteure am paramilitärischen Phänomen beteiligt sind. Ihre gewalttätigen Aktionen stehen sicherlich im Zusammenhang mit der Kontrolle bestimmter strategischer Gebiete für große politische und wirtschaftliche Projekte.

In diesem Zusammenhang ist die Rolle der Farc-Dissidenten bemerkenswert. Obwohl ihr Ursprung in einem historischen Aufstand liegt, wird ihnen ein paramilitärischer Charakter zugeschrieben. Wie können wir diese facettenreichen Widersprüche verstehen, die nach dem Friedensabkommen mit den Farc-EP geblieben sind?

Es hat eine Umstrukturierung stattgefunden. Ich denke allerdings, dass es etwas Symptomatisches für diesen Prozess gibt, das mit dem Moment zu tun hat, als die Farc ihre Waffen niederlegten und zwei zentrale Ausdrucksformen zum Vorschein kamen: die sogenannte Zweite Marquetalia (Segunda Marquetalia) und der Zentrale Generalstab (Estado Mayor Central). Die einen sind mit den wichtigsten intellektuellen Spitzen der Farc verbunden, während die anderen mit einigen Führungskräften mittleren Ranges in Verbindung stehen, die eher an einem wirtschaftlichen Projekt interessiert sind und sich vor allem auf territoriale, weniger öffentlich exponierte Arbeit innerhalb des damaligen Friedensprozesses konzentrierten.

Die Einstufung dieser Akteure als paramilitärische Gruppen basiert auf Anschuldigungen, die hinsichtlich der Rolle dieser Gruppen im Rahmen einer gewissen Art von Projekten in verschiedenen Teilen des Landes bekannt geworden sind. Ein Beispiel dafür ist der Zentrale Generalstab in Arauca unter dem Kommando von Antonio Medina. Der Kommandant der 28. Front ist ein Mann, der sich im Rahmen des kolumbianischen Friedens- und Gerechtigkeitsprozesses demobilisiert hatte. Nachdem die Presse eine Zusammenarbeit mit der Generalstaatsanwaltschaft enthüllt hatte, kehrte er in die Reihen der Farc zurück und nahm in Arauca wieder den bewaffneten Kampf auf.

Diese Art von Kommandeuren, die die Symbole und Parolen der ehemaligen Farc übernommen haben, heute aber an fragwürdigen Projekte in den Territorien beteiligt sind, machen sich verdächtig. Sie haben mit der Generalstaatsanwaltschaft und dem kolumbianischen Staat zusammengearbeitet und in den letzten Jahren organisierte Gemeinschaften unterdrückt und schikaniert.

Ein weiterer Aspekt betrifft die Situation der Gemeinden im Norden des Cauca, die Ermordung indigener Führungspersönlichkeiten und die Form der territorialen Kontrolle, die von diesen Gruppen ausgeübt wird. Sie verfolgen ein ganz anderes Projekt als die Gemeinden.

Die Aufständischen hatten schon immer Schwierigkeiten, zu verstehen, welchen Bezug bestimmte ethnische Gruppen wie beispielsweise indigene Gemeinschaften zu ihren Territorien haben. In diesem Fall ist allerdings eindeutig, dass es eine politische Lesart des Territoriums sowie eine entsprechende Strategie gibt, die aus den Gemeinschaften ein Hindernis macht, das aufgrund der Schwierigkeiten, die es für wirtschaftliche Unternehmungen bedeutet, beseitigt werden muss.

Gewiss ist der politische Diskurs von denen, die sich zum Zentralen Generalstab bekennen, ziemlich dürftig. Wer sich die Agenda ansieht, die sie mit der Regierung zu diskutieren versuchten, findet abgesehen von den großen Parolen zur sozialen Transformation keine besonders stringente Sicht auf das, was im Land verändert werden muss. Eine solche Perspektive gab es im Friedensprozess der Farc hingegen schon, unabhängig davon, ob er nun erfolgreich war oder nicht.

In Bezug auf die politische Agenda und auf Vorschläge zu Veränderungsprozessen haben sich die sogenannten Dissidenten als Organisation sowohl diskursiv als auch ideologisch verschlechtert. In einigen Gebieten agieren sie eher als ausgelagerte Kriegsakteure, um die zuvor bestehende territoriale Kontrolle zu destabilisieren und eine Repressionskampagne gegen die sozialen Organisationen zu führen.

Daher ist es notwendig, das Handeln des Paramilitarismus neu zu charakterisieren und zu erkennen, dass er keine Organisation, sondern ein Projekt ist. Es existieren Gruppen und Wirtschaftssektoren, die Aufgaben auslagern und Armeen zusammenstellen, die sie für spezifische territoriale Aufgaben neu aufstellen und wieder einsetzen. Das ist aber etwas, das je nach Gebiet sehr kontextabhängig betrachtet werden muss.

Bei dem was du sagst, wäre es interessant, zu präzisieren, ob der heutige Paramilitarismus nur als ein Projekt des Extraktivismus, der Rentiers und des Drogenhandels verstanden werden kann.

Ja, ich denke, dass die "Paramilitarismen" ‒ was ein umsichtigerer Ausdruck wäre, um nicht den Begriff "Paramilitarismus" im Singular zu nutzen ‒, die es heute in ländlichen und städtischen Gebieten gibt, tatsächlich in großen Teilen Organisationen sind, die sich der Abschöpfung verschiedener Einkommensarten widmen; auch wenn sie sich durch ihren Diskurs tarnen und einen politischen Status für ihre Organisationen beanspruchen.

Im Falle der AGC ist es beispielsweise offensichtlich, dass ihre Einnahmen landesweit aus dem Bergbau, der Kontrolle von Routen sexueller Ausbeutung in vielen Städten des Landes und dem Drogenhandel stammen. Sie beeinflussen die regionalen Gegebenheiten und versuchen in gewissem Maße, Territorien einzunehmen, die nach wie vor wichtig sind.

Das extraktive Rohstoffgeschäft ist heutzutage also ein charakteristisches Merkmal dieser Gruppen, zumindest in den ländlichen Gebieten. Die Tatsache, dass sie die Verbindungen zum Drogenhandel zu einem hohen Grad kontrollieren, ist ebenfalls Teil dieser Charakterisierung. Außerdem kontrollieren sie das Einkommen, nicht nur in den ländlichen, sondern auch in den städtischen Gebieten. Einen Großteil dieses ganzen Einkommens nutzen sie dann im städtischen Raum. Letztendlich ist es die städtische Wirtschaft, die dieses illegale Einkommen durch wirtschaftliche und räumliche Prozesse absorbiert.

Ein gutes Beispiel dafür ist Medellín. Vor einigen Tagen gab es ein Interview mit den Oficina-Bandenchefs im Rahmen des anhaltenden Dialogs mit der Regierung von Itagüí. Darin warf einer von ihnen eine Frage auf, die zwar offensichtlich ist, von der Regierung und den Akademikern aber ignoriert wird: Dieser Boss betonte den Beitrag der kriminellen Gruppen zum BIP des Landes. Das sagt ein Mann, der in Itagüí inhaftiert ist, der auf einer sozialrechtlichen Ebene im Dialog mit der Regierung steht, ohne jede rechtliche Grundlage. Natürlich weicht er der Frage aus, was mit den Geldern und dem Kapital geschehen soll, das sie im Laufe der Jahre erworben haben, und sagt so etwas wie: "Naja, wenn Sie berechnen, wie viel wir zum BIP des Landes beigetragen haben, dann müssen wir diese Optionen auch einkalkulieren". Gewitzt und scharfsinnig sagt dieser Typ, dass "unsere Aktionen als bewaffnete Organisationen im städtischen Raum eine wirtschaftliche Bedeutung für das gesamte Land haben".

Wenn also der Kongress der Völker im Rahmen der aktuellen Mobilisierungsaktion sagt, dass es notwendig ist, herauszufinden, wodurch sich diese Gruppen finanzieren, wie und wohin ihre Einnahmen fließen, dann stellt er dem Land meiner Meinung nach eine mehr als berechtigte Frage.

Ich denke, dass wir versuchen müssen, unseren Blick von den Gebieten, in denen bewaffnete Auseinandersetzungen stattfinden, auf die Regionen zu lenken, in denen zwar keine derartigen Konflikte herrschen, in denen aber Beziehungen und Wirtschaftsströme existieren, die das landesweite paramilitärische Netzwerk zu großen Teilen tragen.

Entwirft der Paramilitarismus ein bestimmtes Landesmodell? Steht er im Zusammenhang mit der Zerstörung, die soziale Bewegungen nach dem aktuellen paramilitärischen Vormarsch erleben?

Die heutigen paramilitärischen Ausdrucksformen sind pragmatischer und, sagen wir, ein wenig utilitaristischer in ihrem Denken angesichts der stattfindenden Veränderungen in der Regierung. Früher, in den Zeiten vor und während Álvaro Uribe, ließ sich eine deutlich ideologischere politische Zugehörigkeit zu bestimmten Figuren der nationalen Politik erkennen. Rückhalt und Diskurs gegen die Aufständischen waren sehr konfrontativ, was ihnen damals eine gewisse Legitimität verlieh.

Das ging sogar so weit, dass die paramilitärischen Führer selbst im Kongress der Republik diskutieren und den Dialog suchen konnten.

Die aktuellen paramilitärischen Ausdrucksformen sind hingegen etwas pragmatischer und darauf abgestimmt, den größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen bei minimalen politischen und rechtlichen Kosten zu erzielen. Ihr politisches Projekt ist dabei stark territorial ausgerichtet.

In der Vergangenheit gab es ein nationales paramilitärisches Projekt, das um einige sehr hervorstechende Persönlichkeiten gruppiert war, die Teil der kolumbianischen Szene wurden. Heute ist das nicht mehr der Fall; es gibt keine zentrale Figur wie Carlos Castaño, der das paramilitärische Projekt eint. Stattdessen sind es die Geschäftsleute des Krieges, die versuchen, Gewinne abzugreifen und Territorien zu kontrollieren.

Es ist wichtig, mehr über die Beziehung zwischen ihrem politischen Projekt und der Regierung nachzudenken. Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass die Regierung unter Petro offensichtlich einige progressive Ansätze und Ausrichtungen hat. Wenn sich jedoch ein Zeitfenster für eine mögliche politische Lösung öffnet, werden die paramilitärischen Strukturen versuchen, ihr Einkommen durch einen Prozess der Destrukturierung und Abrüstung zu legalisieren. Sie werden sich nicht widersetzen, weil es sich um die Regierung von Petro handelt, auch wenn sich diese als links bezeichnet. Ich denke, dass es heutzutage eher auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis ankommt, das sie in der Beteiligung an diesem Spiel des totalen Friedens sehen.

Auf territorialer Ebene handeln sie also als ein Akteur, der die soziale und gesellschaftliche Organisation erschwert, während sie auf nationaler Ebene eine pragmatischere Vision zu haben scheinen. Aber gerade auf der territorialen Ebene, die nämlich sehr porös ist, können wir Fall für Fall beobachten, wie sie zu Feinden werden, die sich der gesellschaftlichen Bewegung entgegen stellen und sie bedrohen.

In dem Fall, der sich gegen uns als soziale Kraft richtet, sind die Morde an Teófilo Acuña und Jorge Tafur oder der jüngste Mord an Narciso Beleño Beispiele dafür. Alles, was in Cauca geschehen ist, zählt auch dazu.

Innerhalb dieser Verflechtungen zeigen sich territoriale Konflikte, in denen Führungspersönlichkeiten aufgrund ihrer historischen Rollen in der Territorien zur Kenntnis genommen und identifiziert werden. Sie werden zu Hindernissen, die der Paramilitarismus zu entfernen versucht. Die Attentate sind eine Maßnahme der exemplarischen Bestrafung für die Gemeinschaften im Allgemeinen. Das Problem liegt darin, dass die Regierung ein Gelegenheitsfenster eröffnet und somit dazu beiträgt, dass sich der Paramilitarismus auf der Ebene des Politischen platzieren kann. Die paramilitärischen Organisationen leitet ein starker innerer Antrieb. Während ihr Interesse darin besteht, große Gewinne zu organisieren, beenden sie das Leben von sozialen Führungspersönlichkeiten, sperren eine Gemeinschaft ein und vertreiben sie. Das sind eindeutig komplexe Szenarien.

Welche Reichweite hat nun aber eine Mobilisierung, deren Hauptmotiv die Zerschlagung des Paramilitarismus ist? Dahinter scheint die Idee zu stehen, dass die nationale Regierung auf den paramilitärischen Vormarsch reagieren sollte. Doch wer sitzt in Wirklichkeit am Hebel, um die paramilitärische Bedrohung aktivieren oder deaktivieren zu können?

Der Kongress der Völker ist der Ansicht, dass der Abbau des Paramilitarismus nicht allein durch Prozesse am Verhandlungstisch erreicht werden kann. Das Wichtige bei dieser Mobilisierungsaktion, auch bei den Kampagnentagen und Aufrufen, besteht allerdings darin, die Thematik des Paramilitarismus im Land zu platzieren. Unabhängig von der Liste der Forderungen und den Verhandlungsergebnissen mit der Regierung ist das Wichtige, dass der Kongress der Völker dazu beiträgt, Bewegung in die öffentliche Meinung und die politische Agenda des Landes zu bringen. Es muss klar werden, dass noch heute eine Situation im Angesicht des Paramilitarismus besteht, ohne Spitznamen oder Adjektive. Keine "Bacrim" (Bandas criminales emergentes, neu aufkommende kriminelle Banden2), keine "bewaffneten Gruppen mit großer Schlagkraft", sondern: Paramilitarismus.

Aktuell besteht unser Interesse darin, dass die kolumbianische Gesellschaft wieder darüber diskutiert, was wir als Paramilitarismus bezeichnen und warum er einen Platz im Land hat. Es liegt in unserem Interesse, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Paramilitarismus ein strategischer Feind ist, und zwar nicht nur für den Kongress der Völker. Wir haben deutlich gemacht, dass der Paramilitarismus eine strategische Bedrohung für unsere Bewegung ist, und deshalb sind wir hier. Aber in Wahrheit richtet sich die Bedrohung gegen jedes Projekt des Wandels in diesem Land.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Verhandlungstisch, an dem wir und die Regierung sitzen, ein Aushandeln politischer Spannungen ist, ein Ringen, das sicher zu einigen Vereinbarungen führen wird. Wir haben dort zehn Punkte platziert und natürlich werden sich nicht alle davon klären lassen. Das Wichtige ist, dass das Land eine grundlegende politische Diskussion über die Thematik des Paramilitarismus beginnt. Auf der anderer Seite fordern wir das Ende jeden Dialogs, der den Paramilitärs einen politischen Status verleiht. Das ist ein Weckruf für die nationale Regierung. Es handelt sich dabei um eine schwerwiegendes politisches Thema.

Die Mobilisierung richtet sich nicht gegen die Regierung und wir sind uns bewusst, dass sie in ein politisches System eingebettet ist, über das sie selbst nicht die vollständige Kontrolle hat. Doch sie ist mit Sicherheit der Hauptakteur, der derzeit versuchen kann, wesentliche politische Entscheidungen umzusetzen.

Das Erste ist, ihnen keinen politischen Status zu geben. Zweitens, klare Maßnahmen zur wirtschaftlichen Destrukturierung, Beobachtung und Strafverfolgung dieser Strukturen in den Territorien zu ergreifen. Denn die Regierung weiß darüber Bescheid und der Staat hat es geschafft, diese Prozesse zu beweisen und zu identifizieren. Es gibt jedoch keine ernsthafte politische Entscheidung, weil der Staat auf territorialer Ebene sehr schwach ist.

Können wir also sagen, dass Petro das Ruder in der Hand hat, um den Paramilitarismus zu zerschlagen? Das glaube ich nicht, aber die politische Debatte besteht darin, dass er hierbei Fortschritte macht und die Existenz der Bedrohung für die soziale Bewegung anerkennt. Selbst für den verfassungsgebenden Prozess, von dem Petro immer spricht, ist der Paramilitarismus eine Bedrohung. Ein solcher Prozess wird in dieser eingeschränkten Demokratie, in der die Regierung agiert, nicht möglich sein. Erst recht nicht, wenn es Gruppen gibt, die nicht daran interessiert sind, dass sich die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Prozesse zugunsten einer strukturellen Reform des Landes verändern.

Die Regierung steht mit der Mobilisierung, die der Kongress der Völker ihr bereitet, vor einer Herausforderung. Eine Herausforderung, die sie momentan anscheinend vermeiden will, um in der politischen Landschaft keine Spannung auszulösen. Es bedeutet nämlich, ihre Politik des totalen Friedens kritisch zu hinterfragen. Heute dringt der Kongress der Völker zum Kern des totalen Friedens der Regierung vor. Wir fordern die nationale Regierung auf, zu überprüfen, ob die Gruppe, mit der sie es zu tun hat, die Wurzel oder eher das Symptom ist.

Die Regierung von Petro versucht, die politischen Kosten bei dieser ganzen Sache so gering wie möglich zu halten, aber zwei Jahre nach Amtsantritt und in Hinblick auf die bevorstehenden neuen Wahlen ist es sicherlich in ihrem Interesse, alles nur Mögliche zu tun, um Maßnahmen zu treffen und Garantien zu geben. Es müssen grundlegende Entscheidungen in Bezug auf die Streitkräfte getroffen werden. Es gibt keine andere Möglichkeit, die Beziehungen zwischen dem staatlichen Militärapparat und dem Paramilitarismus auf regionaler und nationaler Ebene zu deeskalieren.

Der Kongress der Völker mobilisiert im Kontext einer Richtung, die bis ins Jahr 2018 zurückreicht, als der humanitäre Notstand ausgerufen wurde. Seit sechs Jahren sprechen wir darüber, und vielleicht haben wir den Höhepunkt der Mobilisierung noch nicht erreicht. Der Anstieg der Proteste wird davon abhängen, was die Regierung tut oder was sie sein lässt. Heute sorgen wir für Spannungen und lenken Aufmerksamkeit auf die Thematik. Durch das Blockieren strategischer Routen und Nationalstraßen bekommt die Mobilisierung eine andere Färbung. Es geht nicht um Überzeugungsarbeit, sondern um politischen Druck und ein Kräftemessen, ein Armdrücken.

In diesem Moment können wir sehen, wie weit sich der Arm einer Regierung runterdrücken lässt, die versucht, über einen totalen Frieden zu diskutieren, der in weiter Ferne liegt. Angesichts all der Fehlschläge in diesem Bereich sind wir der Meinung, dass es einen Weg geben könnte, damit die Regierung den Kurs ändert.

  • 1. Landesweites Netzwerk von Basisorganisationen in Kolumbien
  • 2. Den Begriff führte der damalige Präsident Álvaro Uribe ein, gegen den Ermittlungen wegen Verbindungen zum Paramilitarismus laufen