Bogotá. Mehrere soziale Organisationen in Kolumbien fordern von der Regierung von Präsident Gustavo Petro die Absetzung des Hohen Kommissars für den Frieden, Otty Patiño. Sie werfen ihm vor, "eine katastrophale Rolle in dem Amt zu spielen, das für die Umsetzung der Verpflichtung zum Frieden in den Territorien zuständig ist".
Die Organisationen prangern in ihrem offenen Brief an Petro und Vizepräsidentin Francia Márquez an, dass der Hohe Kommissar in der Friedenspolitik der Regierung ungeschickt agiere und in Bezug auf den bewaffneten Konflikt in den Regionen eine "unberechenbare Haltung" einnehme. Er halte Vereinbarungen nicht ein und torpediere die Verhandlungsrunden. Statt wie vorgesehen Basisorganisationen und Gemeinschaften einzubeziehen und konkrete Lösungen mit ihnen zu erarbeiten, verfolge er das traditionelle Muster, bei dem die Regierung mit bewaffneten Strukturen verhandle.
Sie kritisieren zudem, dass die verschiedenen Friedensprozesse, die derzeit von der Regierung durchgeführt werden, in einer Krise steckten.
In dem Schreiben bekräftigen sie ihr Verständnis, dass der Friedensprozess nach und nach aufgebaut werden müsse, "weshalb das Kommen und Gehen der Verhandlungen an den verschiedenen Tischen begleitet werden muss". Ihrer Meinung nach seien die Verhandlungen jedoch diffus oder es gebe keine klaren Kriterien und Parameter, die die Konsolidierung und den Fortschritt der Runden Tische ermöglichten. Dies erhöhe die Fragilität des Prozesses und sei auch dem fehlenden Engagement Patiños geschuldet, "die Szenarien, die für die Gewährleistung des Lebens und des guten Lebens der Gemeinschaften in jedem Gebiet entscheidend sind, politisch und rechtlich zu lösen".
Die Paramilitärs hätten unter anderem in Städten wie Barranquilla, Medellín, Cali, Pereira, Cúcuta, Buenaventura, Quibdó und Bogotá eine mafiöse Gewalt entfesselt, die von mehreren Banden und Gruppierungen ausgeübt werde, zwischen denen es zu Konflikten komme. Die vorgeschlagenen Verhandlungen mit diesen Paramilitärs führten offenbar zu nichts.
"Wir, die verschiedenen Sektoren, Bewegungen und Gemeinden werden durch die Gewalt, die die Paramilitärs gegen die Bevölkerung und die sozialen und popularen Organisationen ausüben, um bestimmte wirtschaftliche und politische Interessen zu verfolgen, unterdrückt und eingeschüchtert", erklären die Unterzeichner weiter.
Sie erinnern daran, dass Tausende von Gemeindeführern, Jugendlichen, sozialen und popularen Organisationen von paramilitärischen Banden wie "Los Paisas, Maracuchos, El Tren de Aragua und anderen" bedroht würden.
Die Organisationen verurteilten auch die Ermordung von Camilo Sánchez, einem als MC Cub bekannten Rapper, und Camila Ospitia. Sie wurden am 15. August von unbekannten Männern beschossen, während sie im Porvenir-Park im Bezirk Bosa in Bogotá Gemeinschaftsaktivitäten durchführten.
Der offene Brief ist von Organisationen wie Pueblos en Red, Campaña Objetivo Libertad, Telascanto, Organización Comunitaria Delia, Taller Zarigueya, Tribulaches, Colectiva Artchimia, Tejimanchon Colectiva Serigráfica und Colectivo Golpe de Barrio unterzeichnet.
Über die Anzahl der Paramilitärs, die derzeit den Clan del Golfo, auch bekannt als Gaitanista-Armee, bilden, besteht keine Übereinstimmung zwischen den Institutionen und den sozialen Organisationen. Alle Angaben stimmen jedoch darin überein, dass die Zahl stark ansteigt und die Paramilitärs sich im ganzen Land weiter ausbreiten.
Laut Ricardo Giraldo, Anwalt der Gaitanista-Armee Kolumbiens (AGC), auch Golf-Clan genannt, übertrifft diese paramilitärische Struktur die ELN-Guerilla und die Farc-Dissidentengruppen in der Anzahl der Kämpfer: der Clan del Golfo verfüge derzeit über mehr als 14.000 bewaffnete Männer.
Andere Organisationen wie das Friedensforschungsinstitut Indepaz, das Büro des Ombudsmanns und die Denkfabrik Crisis Group International berichten, dass der Clan del Golfo in 24 der 32 Departamentos des Landes operiere. Demnach sei die Zahl seiner Mitglieder von schätzungsweise 5.960 im Jahr 2016 auf 9.000 bis 14.000 im Jahr 2024 gestiegen. Das entspricht einem Anstieg von 93 Prozent. Ebenso ist die Gruppe zwischen 2019 und 2024 nicht mehr in 213 Gemeinden vertreten, sondern in 392, ein Anstieg von 84 Prozent.
Im Rahmen des Biodiversitätsgipfels der Vereinten Nationen COP16, der derzeit in Cali stattfindet, prangerte Indepaz an, dass seit 2016 bis heute 631 Umweltschützer in Kolumbien ermordet worden sind. Seit Abschluss des Verhandlungsprozesses zwischen dem Staat und der inzwischen aufgelösten historischen Farc-Guerilla im Jahr 2016 sind bis Oktober 2024 1.679 soziale Führungspersonen ermordet worden.
Der jüngste Fall ereignete sich am 22. Oktober, als Karis Saldarriaga, eine bekannte Aktivistin der LGBTIQ+-Gemeinschaft, in der Gemeinde Caldas in Antioquia getötet wurde.
Seit 2016 wurden laut Indepaz zudem mehr als 430 ehemalige Farc-Guerilleros getötet, die das Friedensabkommen mit unterzeichnet haben.
All dies veranlasst soziale Organisationen dazu, an der Wirksamkeit der von der Regierung verfolgten Friedenspolitik zu zweifeln.
Neben dem Rücktritt des Hohen Kommissars fordern sie nun von Petro und Márquez, die Politik des 'totalen Friedens' grundlegend dahingehend zu ändern, "dass sie unseren Realitäten entspricht und wir gemeinsam einen demokratischen Frieden in unseren Gemeinschaften und Gebieten schaffen können".