Argentinien: Bevölkerung von Rosario zwischen Drogenkrieg und Militarisierung

giwk3kxxqaivam2.jpg

Streikaufruf der Lehrervereinigung Amsafe für ein Ende der Gewalt und Militarisierung in Rosario
Streikaufruf der Lehrervereinigung Amsafe für ein Ende der Gewalt und Militarisierung in Rosario

Rosario/Buenos Aires. Die Bewohnerinnen und Bewohner der drittgrößten Stadt in Argentinien stehen seit zwei Wochen im Kreuzfeuer zwischen Drogenbanden und staatlichen Sicherheitskräften. Innerhalb weniger Tage wurden vier offensichtlich zufällig ausgewählte Personen von Angehörigen der Drogenkartelle regelrecht hingerichtet. Die Opfer waren zwei Taxi- und ein Busfahrer sowie ein Angestellter einer Tankstelle.

In der Zwischenzeit wurden insgesamt 16 Personen unter dem Vorwurf festgenommen, in die Morde verwickelt gewesen zu sein. Die willkürlichen Angriffe auf die Zivilbevölkerung werden als Antwort auf die verstärkte Militarisierung des Konflikts zwischen Kartellen und den staatlichen Sicherheitskräften gewertet.

In der Absicht, die harte Hand des Staates zu demonstrieren, hatte die Provinzregierung von Santa Fe Anfang März Bilder von einer Razzia in einem Gefängnis veröffentlicht. Darauf waren Gefangene zu sehen, die umstellt von Polizisten gefesselt und entkleidet aufgereiht am Boden sitzen. Die Bilder ähneln jenen, die aus El Salvador bekannt sind, wo die Regierung von Nayib Bukele seit Jahren einen regelrechten Krieg gegen Jugendbanden führt. Gouverneur Maximiliano Pullaro kommentierte: "Es wird immer noch schlimmer für sie werden".

Aus Angst vor weiteren Angriffen kam das öffentliche Leben in Rosario daraufhin praktisch zum Erliegen. Die Zivilbevölkerung reagierte mit zahlreichen Streiks. Der öffentliche Verkehr stand nach einem Streikaufruf der Transportgewerkschaft für mehrere Tage still. Taxifahrer weigerten sich ebenso wie die Angestellten der Tankstellen, in der Nacht zu arbeiten. Krankenhäuser und Gesundheitszentren reduzierten die Dienstleistungen in den Ambulanzen auf ein Minimum und auch die Schulen blieben für mehrere Tage geschlossen. Mittlerweile wurde der öffentliche Verkehr wieder aufgenommen und die Stadt kehrt allmählich zu ihrem gewohnten Rhythmus zurück.

Die Bundesregierung unter Präsident Javier Milei hat indes ein Krisenkomitee gegründet. Sicherheitsministerin Patricia Bullrich und Verteidigungsminister Luis Petri schickten bewaffnete Einheiten von Bundespolizei, Gendarmerie, Präfektur und Flughafenpolizei zur Unterstützung der lokalen Sicherheitskräfte nach Rosario. Mit dabei sind auch Einheiten des Militärs, das vorerst jedoch nur logistische Unterstützung durch Bereitstellung von Fahrzeugen und Militärbasen liefert. Ein bewaffnetes Einschreiten in Angelegenheiten der Inneren Sicherheit ist den Streitkräften per Gesetz verboten. Dies ist auch eine Konsequenz aus den Erfahrungen der letzten zivil-militärischen Diktatur (1976–1983).

Manuel Tufró vom Zentrum für Rechtliche und Legale Studien (Cels) sagte dazu: "In lateinamerikanischen Ländern, in denen das Militär im Kampf gegen den Drogenhandel eingesetzt wird, ist die Konsequenz immer eine Eskalation der Gewalt. In Mexiko und Brasilien haben sich die Kartelle daraufhin militärisch aufgerüstet. Diese Form der staatlichen Reaktion hat noch nie funktioniert."

Indes mehren sich die Stimmen, die fordern, das Problem der Drogenkriminalität bei der Wurzel zu packen. Der Sicherheitsexperte Víctor De Rito sagte gegenüber der Radiostation AM750: "Es ist ein Blödsinn, die Jugendlichen aus den Armenvierteln zu verfolgen. Sie sind nur das letzte Glied in der Kette. Die Steuerbehörden müssen sich auf die Suche nach den Konten machen, über die der Drogenhandel seine Gelder wäscht. Statt in die Armenviertel muss man in die Gated Communities gehen." Darunter versteht man umzäunte, meist elektronisch gesicherte moderne Luxuswohnanlagen für privilegierte Bevölkerungsschichten, die sich vor kriminellen Übergriffen ihrer sozial unterlegenen Nachbarschaft schützen wollen.

Ebenso müssten die Beziehungen zwischen Politik und Justiz mit den Drogenkartellen offengelegt werden. Die Vereinigung des Lehrpersonals von Santa Fe (Amsafe) schrieb in einer Mitteilung: "Der Drogengewalt begegnet man, indem man die Verbindungen zwischen Politik, Polizei und Wirtschaft kappt, und es braucht Antworten auf die schwerwiegenden Probleme von Armut und Ungleichheit."