Guatemala-Stadt/Quetzaltenango. Der Sprecher des guatemaltekischen Wahlgerichts TSE, Gerardo Ramirez, hat die Aufhebung des Rechtsstatus' der progressiven Partei Movimiento Semilla bestätigt. Die Entscheidung, die auf Ermittlungen der Sonderstaatsanwalts gegen Straffreiheit (FECI) zurückgeht, hatte sich bereits Mitte Juli angebahnt, nachdem Bernardo Arévalo überraschend für Semilla in die Stichwahl um das Präsidentenamt eingezogen war.
Seinerzeit hatte eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, wonach Parteien während einer laufenden Wahlperiode nicht suspendiert werden können, diesen Schritt aufgeschoben. Am vergangenen Dienstag endete die Wahlperiode offiziell. Damit wäre, nach aktuellem Stand der Dinge, die Partei des künftigen Staatspräsidenten suspendiert. Es ist noch unklar, was mit den Mandaten der 23 Abgeordneten der Partei geschehen soll.
Arévalo, der die Stichwahl am 20. August mit deutlichem Vorsprung gewann, soll am 14. Januar 2024 als Präsident vereidigt werden. Dies sei unabhängig von der Suspendierung der Partei, hieß es aus Kreisen des Wahlgerichts.
Ramirez erklärte laut Prensa Latina, dass das Bürgerregister, eine dem Wahlgericht untergeordnete Behörde, die Partei Semilla über den Schritt informieren müsse. Samuel Pérez, Fraktionschef von Semilla in der auslaufenden Legislaturperiode, wurde im selben Artikel zitiert, dass die Partei bisher nicht informiert worden sei. Pérez steht selbst im Fadenkreuz von Ermittlungen. Vergangenen Freitag kündigte die Staatsanwaltschaft an, die Aufhebung seiner Immunität anzustreben. Pérez hatte in sozialen Netzwerken Kommuniqués von Verfassungsgericht und Staatsanwaltschaft mit den Worten kommentiert, "Kriegserklärung: Verfassungsgericht schickt Armee auf die Straße". Die Staatsanwalt sieht in der Aussage eine Gefährdung der "Nationalen Sicherheit", hieß es bei Prensa Libre.
Gegen die Angriffe auf die Partei Semilla protestieren seit Wochen zehntausende Menschen im ganzen Land. Der am 2. Oktober begonnene Widerstand hatte sich stetig ausgeweitet. Zu Höchstzeiten Mitte Oktober standen landesweit bis zu 140 Straßenblockaden. Mittlerweile wurden diese schrittweise zurückgenommen, am vergangenen Freitag die letzten Blockadepunkte auf der Interamericana im Departamento Sololá.
Der Protest konzentriert sich jetzt auf die Hauptstadt, vor allem in den Straßen um das Gebäude der Staatsanwaltschaft. Aus spontanen Blockaden des Gebäudes Anfang Oktober hat sich ein Protestcamp entwickelt. Es gibt Reden und Musikprogramm, aus Spenden wird kostenloses Essen zubereitet, es gibt einen Infopunkt und Waschmöglichkeiten auf dem nahegelegenen Sportplatz. Immer wieder starten vom Camp Demonstrationen ins Stadtzentrum und weitere sind geplant.
Indigene Strukturen der Bürgermeister aus Sololá und der 48 Kantone aus Totonicapán, beides Departamentos mit fast ausschließlich indigener Bevölkerung, stellen die zentralen Entscheidungsstrukturen. Dies sei in dieser Form für Guatemala etwas Neues. "In den Zeiten des Bürgerkriegs und bewaffneten Kampfs stellten die Indigenen den Großteil der Kämpfer und Opfer, die Kommandeure waren aber Weiße aus den Städten“, erklärt ein Aktivist aus dem "Kollektiv Freiwillige für die Demokratie" aus Quetzaltenango.
Aus den ländlichen, indigen geprägten Landesteilen kommt auch die Mehrzahl der Teilnehmer des Protestcamps. Alle zwei bis drei Tage fahren Busse nach Guatemala-Stadt. Für viele der meist in prekären Verhältnissen lebenden Menschen ein schwieriges Unterfangen. Vier Tage habe er auf dem Camp zugebracht, erzählt Antonio Gómez aus dem Landkreis Cantel, jetzt müsse er sich "um die Maisernte kümmern". Aktuell ist Erntezeit, an der Maisernte hänge ein Großteil seines Jahreseinkommens, erklärt der 70-jährige Kleinbauer gegenüber amerika21.
Die Beschlüsse, die Blockaden zu beenden, wurden vor Ort demokratisch in Versammlungen gefällt, erklären mehrere Aktivisten. Die Mehrheit sieht die Entscheidung positiv, die Blockaden hätten auch das Leben der normalen Bevölkerung stark betroffen, Preissteigerungen und Versorgungsengpässe waren aufgetreten. Eine Aktivistin aus Zunil nahe Quetzaltenango will dennoch der Aktionsform der Straßenblockaden keine generelle Absage erteilen. "Blockaden müssen sich aber gezielter zum Beispiel gegen die Lastwagen des Unternehmerverbandes Cacif richten", sagte sie gegenüber amerika21.
Manche befürchten, jetzt da der Druck der Straße etwas nachlässt, dass Repression und "selektive Morde" zunehmen könnten. Tatsächlich wurde am vergangenen Samstag ein Aktivist der indigenen Gemeinschaft der Xinca im Osten Guatemalas mit mehreren Schüssen ermordet. Der 65-jährige Noé Gómez Barrera hatte maßgeblich die Straßenblockaden im Departamento Jutiapa mit organisiert, hieß es in einem Artikel von Prensa Comunitaria.