Guatemala-Stadt. Bernardo Arévalo ist der neue Präsident von Guatemala. Der Amtseinführung am Sonntag ging jedoch ein stundenlanger Konflikt im Kongress voraus. Der eigentlich für den frühen Nachmittag geplante Akt gelang schließlich sieben Minuten nach Mitternacht am 15. Januar.
Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament, die zu den Parteien des sogenannten Paktes der Korrupten zählen, hatten sich geweigert einen Parlamentsvorstand einzusetzen. Laut Verfassung muss der Parlamentsvorsitzende den Präsidenten ernennen und der formelle Akt noch am selben Tag erfolgen. Stundenlang spielten die Abgeordneten auf Zeit. Weder der Vorschlag, den Semilla-Abgeordneten Samuel Pérez als Vorsitzenden zu bestimmen, noch ein Gegenvorschlag mit der Abgeordneten Sandra Jovel von der rechten Partei Valor kam durch. Das Parlament wurde Schauplatz lauter Wortgefechte und teilweise körperlicher Auseinandersetzungen. Die Semilla-Abgeordneten forderten immer wieder, die Wahl zuzulassen.
Draußen hatten sich rund um den weiträumig abgesperrten Kongress tausende Menschen versammelt, die forderten, Arévalo zu vereidigen und ihnen Zugang zum Kongress zu gewähren. Nationale und internationale Medien berichteten, die Demonstranten hätten angedroht "den Kongress zu stürmen". Tatsächlich wurden die Polizeiketten an einigen Punkten bedrängt, mindestens ein Mal setzte die Polizei Tränengas ein.
Eriberto Martin von der Plataforma Social para el Cambio, der mit anderen Demonstranten einer Polizeikette gegenüber stand, betonte gegenüber amerika21, "man sucht eine friedliche Lösung". Treibe der "Pakt der Korrupten" die "Zerstörung der Demokratie weiter voran", könnte es aber "sogar zu einem neuen Bürgerkrieg kommen".
Auch von Seiten der internationalen Delegationen wurde der Kongress aufgefordert, das demokratische Verfahren einzuhalten und Arévalo zum Präsidenten zu ernennen.
Erst gegen 20 Uhr gab es Fortschritte, als der Kongress nach mehreren Unterbrechungen erneut zusammentraf. Gegen 21:30 dann die erlösende Nachricht: Mit 92 Ja-Stimmen wurde Pérez zum Parlamentspräsidenten gewählt, womit die formelle Voraussetzung zur Amtseinführung erfüllt war.
Als "souveräne Entscheidung" des Parlaments wurde auch festgestellt, das die Semilla-Abgeordneten ihren Status als Partei zurückerhalten, erklärte der ehemalige deutsche Menschenrechtsanwalt Miguel Mörth gegenüber amerika21. Die Suspendierung der Partei war im Rahmen der juristischen Mittel zu Verhinderung des Amtsantritts von Bernardo Arévalo erfolgt (amerika21 berichtete).
Nach dem Durchbruch brandete bei den Zehntausenden auf der Straße Jubel auf. Die meisten hatten sich wieder auf dem zentralen Platz der Verfassung eingefunden.
In Bussen wurden die Abgeordneten zum Nationaltheater gefahren, wo der Akt der Amtseinführung stattfand. Auf dem Platz wurde sie live übertragen. Bei der Vorstellung des Parlamentsvorstandes erhielten nur die Abgeordneten von Semilla und Sonia Gutiérrez von der linken Partei Winaq Beifall und Sprechchöre, die anderen Abgeordneten ernteten eisiges Schweigen. Es wurde wahrgenommen, dass die indigene Abgeordnete Sonia Guitiérrez die Nationalhymne nicht mitsang.
In seiner ersten Rede nach der Amtseinführung versprach Arévalo konkrete Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Bildung und Gesundheit, Kampf gegen Unterernährung und Diskriminierung. Es gebe "keine soziale Entwicklung ohne Demokratie und Demokratie sei die Voraussetzung für soziale Entwicklung", betonte der Staatschef. Auf internationaler Ebene werde Guatemala ein wichtiger Akteur in Fragen wie der Verteidigung der Demokratie, der zentralamerikanischen Integration, dem Klimawandel und der Emigration sein.
Arévalo teilte mit, als Zeichen des Dankes zunächst das Widerstandscamp vor der Staatsanwaltschaft zu besuchen. Es war seit Oktober der zentrale Punkt des Widerstandes gewesen, mit dem vor allem indigene Autoritäten dazu beigetragen hatten, dass der "technische Staatsstreich" abgewendet wurde und Arévalo schließlich zum Präsidenten vereidigt wurde. "Ja, man konnte es schaffen", erklärte Arévalo dort in seiner Ansprache. Die indigenen Völker hätten mit "ihrem 106-tägigen Widerstand die Bevölkerung zum Widerstand gegen die kriminellen Gruppen inspiriert, die die Macht nicht loslassen wollten".
Gegen drei Uhr morgens sprachen Arévalo und seine Vizepräsidentin Karin Herrera dann auf dem Platz der Verfassung, um die "Amtseinführung mit dem Volk durchzuführen", erklärte Herrera, die in ihrer kämpferischen Rede auch darauf einging, wie sie als Jugendliche die Ungerechtigkeiten und die extreme Armut wahrgenommen hatte. Tausende Menschen hatten ausgeharrt, um die Reden zu hören.
In den frühen Morgenstunden wurde das Widerstandscamp vor der Staatsanwaltschaft beendet, wie vorgesehen mit einer Maya-Zeremonie, bestätigte Rafael Zapeta Tzul, seit Januar neuer Präsident der 48 Kantone, gegenüber amerika21.
"Der Rücktritt der korrupten Staatsanwaltschaft um Consuelo Porras und Rafael Curruchiche wurde zwar nicht erreicht, dies liegt jetzt aber in den Händen von Arévalo". Man fahre heute nach Hause, werde aber "die Situation genau beobachten und wenn nötig wieder mit Blockaden und Demonstrationen eingreifen", sagte Tzul.