Ecuador / Politik

Präsidentschaftswahl in Ecuador: Kehrt die "Revolución Ciudadana" zurück?

Ecuador zwischen progressivem Neustart und fortgesetzter Plutokratie: Linkskandidatin in Stichwahl gegen Bananenmillionär

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Die Kandidatin der Bürgerrevolution, Luisa González, im Wahlkampf in der Provinz Manabí, Ecuador
Die Kandidatin der Bürgerrevolution, Luisa González, im Wahlkampf in der Provinz Manabí, Ecuador

Quito. Bei den Stichwahlen um die Präsidentschaft in Ecuador treten heute Luisa Gónzalez für die Revolución Ciudadana (Bürgerrevolution, RC) und Daniel Noboa für die Acción Democrática Nacional (Nationaldemokratische Aktion, ADN) gegeneinander an.

Außerdem wird nach Unregelmäßigkeiten und technischen Problemen mit der digitalen Stimmabgabe bei den Parlamentswahlen am 20. August 2023 auch die Wahl der Abgeordneten der im Ausland lebenden Ecuadorianer wiederholt.

Wenngleich Gónzalez im ersten Wahlgang mit 33,61 Prozent der Stimmen in Führung lag, galt der überraschend in die Stichwahl gelangte Unternehmersohn Daniel Noboa lange als Favorit. Zwar hatte er nur 23,47 Prozent der Stimmen erhalten, konnte sich dafür aber auf die Unterstützung der Leitmedien und der anderen politisch relevanten Kandidaten stützen.

Spätestens nachdem Gónzalez bei der TV-Debatte mit Noboa einen klaren Punktsieg landen konnte, scheint das Rennen jedoch wieder offen. Umfragen deuten für heute auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin.

Wenige Tage vor den Stichwahlen wurde gemeldet, dass ein vermeintlicher Zeuge die "Regierung von Correa" unter Eid bezichtigt habe, den Mordanschlag am rechten Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio für 200.000 US-Dollar in Auftrag gegeben zu haben. Der vermeintliche Zeuge selbst war demnach nur deshalb nicht direkt an dem Mordanschlag beteiligt, weil sein Fahrzeug beschädigt war.

Wie Ecuador en Directo weiter berichtet, wurden die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen von Villavicencio nahestehenden Personen geleakt. Zu ihnen gehörte auch Christian Zurrita, der bei den Präsidentschaftswahlen anstelle von Villavicencio angetreten war. Wenige Tage später ruderte er zurück und erklärte, dass der Name Correa nicht direkt genannt worden sei.

Kritisiert wird das Verhalten von Generalstaatsanwältin Diana Salazar. Dass kurz vor den Wahlen Aussagen eines vermeintlichen Zeugen an die Öffentlichkeit gelangen, wird als erneute Einflussnahme auf die Wahlen gewertet. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 hatte sie den Besuch des rechtsgerichteten kolumbianische Staatsanwalt Franzisco Barbosa nach Ecuador organisiert, der den Präsidentschaftskandidaten der Bürgerrevolution, Andrés Arauz, öffentlichkeitswirksam beschuldigte, Wahlkampfgelder von der kolumbianischen Guerrillaorganisation ELN erhalten zu haben. Im Mai 2023 kündigte Arauz an, Barbosa vor dem Amtsenthebungsausschuss des kolumbianischen Repräsentantenhauses anzuzeigen.

Auf die Ermordung Villavicencios nach einer Wahlkampfveranstaltung am 9. August 2023 folgte eine gut orchestrierte Schmutzkampagne, um die RC für den Mord an ihrem politischen Widersacher verantwortlich zu machen. In den nachfolgenden Tagen brachen die Umfragewerte von Gónzalez ein. Ein möglich geglaubter Sieg im ersten Wahlgang am 20. August rückte in weite Ferne.

Tathergang und Ermittlungspannen führten in den Tagen und Wochen nach dem Attentat dazu, dass Beobachter, Polizei und Regierung potenzielle Drahtzieher in Regierung und Polizei sahen. Obwohl Villavicencio unter Polizeischutz stand, wurde er zum einfachen Ziel der Attentäter. Die anwesenden Sicherheitskräfte erwiderten das Feuer und verletzten den Attentäter schwer. Statt in eine Notaufnahme, wurde dieser in ein Justizgebäude gebracht, wo er verstarb.

Als am 7. Oktober gemeldet wurde, dass sechs der Personen, gegen die in dem Prozess Anklage erhoben werden sollte, in Haft ermordet wurden, vertiefte das bei vielen Ecuadorianern den Eindruck einer mit dem Drogenhandel verbandelten Regierung.

Die Kampagne wird mit harten Bandagen geführt und die politische Lage ist angespannt. Für das Ziel, eine Rückkehr der RC an die Macht zu verhindern, scheint Teilen der politisch-ökonomischen Eliten Ecuadors jedes Mittel recht. Schmutzkampagnen und nicht belegte Anschuldigungen standen im Vorfeld der Wahlen so stark im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, dass die inhaltliche Auseinandersetzung zuweilen in den Hintergrund rückte.

Tatsächlich ist die politische Gewalt nicht losgelöst von der zunehmenden Macht organisierter Kriminalität, insbesondere im Umfeld des Drogenhandels zu sehen. Während Erpressungen an der Tagesordnung sind und die Zahl der Tötungsdelikte rasant steigt, ist die Kontrolle der Regierung über die Gefängnisse in Frage gestellt.

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Schwer bewacht und siegessicher: Noboa auf Wahlkampftour
Schwer bewacht und siegessicher: Noboa auf Wahlkampftour

Aus Sicht Noboas ist die Regierung von Ex-Präsident Rafael Correa für die Misere verantwortlich. Dass Correa das Mitführen von Drogen für erwachsene Konsumenten straffrei gestellt hat, bezeichne er wiederholt als Ursache für den Drogenkonsum Minderjähriger.

Luisa Gónzalez kündigt ebenfalls ein hartes Durchgreifen gegen die organisierte Kriminalität an. Sie möchte das Militär zur Kontrolle von Gefängnissen und Häfen nutzen. Gleichzeitig betont sie mit Nachdruck, dass die sozialen Ursachen der Kriminalität bekämpft werden müssen.

Gónzalez und Noboa stehen für zwei gegensätzliche Entwicklungsmodelle. Wie angespannt die Situation ist, zeigen auch Schlagzeilen progressiver Medien. "Den Sozialstaat der Rechte, der Gerechtigkeit und des Buen Vivir (wieder) aufbauen oder den neoliberalen Narkostaat der Gewalt und der Nekropolitik fortsetzen?", fragen Juan Proaño Salgado und Jacques Ramírez Gallegos auf dem linken Portal Ruta Kritica.

Im Wahlkampf kaschierte Noboa seine neoliberale Orientierung und bezeichnete sich als Mitte-Linkskandidaten. Tatsächlich steht der Sohn des immer wieder als "reichster Mann Ecuadors" bezeichneten mehrfachen Präsidentschaftskandidaten Álvaro Noboa für ein Fortführung des neoliberalen Modells Lenín Morenos und Guillermo Lassos. Gónzalez rückte in ihrem Wahlkampf hingegen die Erfolge der RC und den Kampf für soziale Rechte in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs.

Auch die immensen Steuerschulden der Unternehmensgruppe Noboa wurden von Gónzalez nahestehenden Stimmen immer wieder öffentlich kritisiert.

Konnte er diese Kritik noch als politisch motiviert ignorieren, stellt ein Artikel in der brasilianischen Zeitung Folha de Sao Paolo die Rechtmäßigkeit seiner Kandidatur in Frage: Laut der Zeitung ist Noboa Eigentümer von Unternehmen in Steuerparadiesen, was politischen Amtsträgern und Kandidaten in Ecuador untersagt ist.

Dass hieraus tatsächlich Konsequenzen folgen, muss angesichts der Beispiele Lenín Morenos und Guillermo Lassos jedoch als unwahrscheinlich gelten.