Sacaba-Massaker in Bolivien vor Gericht, angeklagter General im Hausarrest

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Omar Calle ist eines der Opfer des Massakers von Sacaba. Angehörige demonstrierten vor dem Gericht während der Anhörung von General Cuéllar
Omar Calle ist eines der Opfer des Massakers von Sacaba. Angehörige demonstrierten vor dem Gericht während der Anhörung von General Cuéllar

Lima. In Bolivien hat die juristische Aufarbeitung der Verbrechen nach dem Staatsstreich gegen Evo Morales begonnen.

In der Stadt Sacaba starben am 15.November 2019 zehn Demonstranten im Kugelhagel der Militärs, mindestens 124 Menschen wurden verletzt. Die Demonstranten, Koka-Bauern aus ländlichen Regionen, wollten in die Stadt marschieren, um Morales und die Demokratie zu verteidigen (amerika21 berichtete).

Nachdem die sogenannte Interimspräsidentin Jeanine Añez Dokumente und Beweismaterialien der blutigen Ereignisse ein Jahr lang unter Verschluss gehalten hatte, kann die Staatsanwaltschaft der Stadt Cochabamba seit Amtsantritt des neuen Präsidenten Luis Arce die Verbrechen untersuchen.

Dazu hat sie eine spezielle Arbeitsgruppe gebildet, die zudem mit unabhängigen internationalen Experten in Menschenrechtsfragen zusammenarbeitet. Mitglieder der Unabhängigen Internationalen Expertengruppe (GIEI) sowie der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) vereinbarten mit der bolivianischen Justiz, die gewalttätigen Ereignisse zwischen dem ersten September und dem 31. Dezember 2019 zu untersuchen. Sie arbeiten bereits an verschiedenen Orten des Landes.

Am 26.November wurde einer der ersten Angeklagten im Fall des Massakers von Sacaba, General Alfredo Cuellar, im Prozess vernommen und kam anschließend in Untersuchungshaft. Er ist Truppenkommandeur in Cochabamba. Doch statt im Gefängnis muss er die Haft bislang lediglich als Hausarrest mit Polizeibewachung verbüßen. Die Kaution beträgt 250.000 Bolivianos (rund 30.000 Euro).

Die Angehörigen der Opfer versammelten sich an diesem ersten Verhandlungstag mit Bildern ihrer ermordeten Söhne vor dem Gericht, um gemeinsam auf die Entscheidung der Justiz zu warten. Als die Maßnahme bekannt wurde, brachen die Demonstranten in verzweifelte Protestrufe aus. "Für die Armen gibt es keine Gerechtigkeit", rief die Mutter von Omar Calle, einem der Opfer. Die Polizei vertrieb die Menschenansammlung schließlich mit Tränengas.

Kaum wurde die Verhaftung des Generals bekannt, meldete sich der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Jaime Zabala, zu Wort. Die Armee sei "schockiert", so seine Erklärung gegenüber der Presse. Er wies auf die Befehlskette hin, welcher der General angeblich damals unterstand: Das Kommando sei "von oben" gekommen. “Wenn die Konflikte da sind, bitten wir Gott um Hilfe und rufen den Soldaten. Wenn der Konflikt vorbei ist, vergessen wir Gott und holen den Soldaten [vor Gericht]", so Zabala.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Anklage auf die Spitzen der damaligen Regierung ausgeweitet: Verteidigungsminister Fernando López und Innenminister Arturo Murillo werden in der Sache vor Gericht geladen und mit Haftbefehl gesucht.

Doch beide haben sich gleich nach dem Wahlsieg der Bewegung zum Sozialismus und ihres Kandidaten Arce in die USA abgesetzt. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Boliviens auf einen Interpol-Haftbefehl gegen López und Murillo wurde zurückgewiesen. Das Festnahmegesuch enthalte politische Argumente, Interpol könne dem Verlangen deshalb nicht nachgeben, hieß es von dort.

Sicherlich wird es jedoch schwierig sein, die Verantwortung der obersten Köpfe einer sich mit Gewalt installierenden Regierung im Einzelnen festzustellen, ohne dabei politische Machtstrukturen zu benennen.