Venezuela / Politik

Wahlprotest als Taktik

Die Konrad-Adenauer-Stiftung bestätigt die Qualität des venezolanischen Wahlsystems. Die Nicht-Anerkennung der Opposition dient der Delegitimierung der Regierung

Die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) stuft die Proteste der venezolanischen Opposition gegen angebliche Wahlfälschungen als taktisches Manöver zur langfristigen Delegitimierung des neuen Präsidenten Nicolás Maduro ein. Aufgrund des sorgfältig geregelten Wahlprozesses seien Wahlfälschungen äußerst unwahrscheinlich, erklärt die Stiftung in einer aktuellen Stellungnahme. Die Opposition wolle mit dem Schüren von Unruhen vielmehr die Ansicht verbreiten, dem frisch gewählten Staatsoberhaupt fehle es an "Legitimität". Die deutsche Stiftung ist gut über die Strategien vor allem der Oppositionspartei "Primero Justicia" informiert, der der knapp unterlegene Präsidentschaftskandidat Enrique Capriles entstammt - sie berät die Partei seit Jahren unter anderem in "politischer Kommunikation". Primero Justicia sowie Capriles genossen die Unterstützung der Adenauer-Stiftung bereits 2002, als sie in den Putsch gegen Hugo Chávez involviert waren. Äußerungen des damaligen Büroleiters der Stiftung in Venezuela lassen intime Kenntnisse über die Absichten der Putschisten erkennen. Capriles gilt als ein maßgeblicher politischer Vertreter der traditionellen venezolanischen Eliten, die stets eng mit dem alten Westen kooperierten, seit dem Amtsantritt von Chávez jedoch zurückgedrängt werden - zugunsten bisher unterprivilegierter Schichten.

Integration der Unterschichten

Venezuela hat sich unter der Präsidentschaft des kürzlich verstorbenen Hugo Chávez, dessen Politik Nicolás Maduro fortsetzen will, tiefgreifend verändert. Chávez' "wohl bedeutendste Leistung" sei es gewesen, urteilte kürzlich das German Institute of Global and Area Studies (GIGA), "die Zahl der Venezolaner, die an der Erdölrente teilhaben, zu vergrößern". Habe vor seiner Amtsübernahme "fast ausschließlich die Elite des Landes von den Erdölexporten" profitiert, so sei mittlerweile der "Gini-Koeffizient" - ein Indikator für soziale Ungleichheit - "von 0,49 auf 0,39 gesunken".1 Damit habe Venezuela den lateinamerikanischen Durchschnitt erkennbar hinter sich gelassen und immerhin das "Niveau Portugals in den späten 1990er Jahren" erreicht, heißt es beim GIGA. Die Erdöleinnahmen flössen zu einem guten Teil in "umfangreiche Sozialprogramme", mit denen die Alphabetisierung in den ärmeren Schichten vorangetrieben und Gesundheitsprogramme in den Armenvierteln finanziert würden. All dies komme "einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung zugute". Darüber hinaus habe sich unter Chávez "die politische Kultur verändert": "Einst vom politischen Prozess faktisch ausgeschlossen, ist die Unterschicht nunmehr in die Politik integriert." Das GIGA verschweigt nicht die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen sich die Regierung in Caracas gegenübersieht, würdigt jedoch die auffallenden Fortschritte der vergangenen Jahre.

Die traditionellen Eliten

Durchaus abweichend bewertet die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung die Lage in Venezuela. Wie es in einer aktuellen Stellungnahme zu den dortigen Wahlen heißt, stehe das Land "vor schier unlösbaren wirtschaftlichen Problemen": Eine "aggressive sozialistische Politik" habe die Industrie gravierend geschädigt; eine "expansive Sozialpolitik" habe "vor allem die politischen Erwartungen großer Bevölkerungsgruppen" geschürt.2 Chávez habe "seinem Nachfolger ein ruiniertes Land hinterlassen". Die Adenauer-Stiftung positioniert sich offen auf Seiten der Opposition um Henrique Capriles, einen Vertreter der alten venezolanischen Eliten, die Berliner Regierungsberatern zufolge in den letzten Jahren nicht zuletzt durch "rigorose Verfolgung und Bestrafung von Vertreibung und Landnahme" geschwächt wurden - Praktiken, die sie in der Zeit vor Chávez' Amtsübernahme noch zur Reichtums-Mehrung nutzen konnten.3 Dabei arbeiteten die traditionellen Eliten des Landes stets loyal mit dem alten Westen zusammen, der sie - ganz wie die traditionellen Eliten in Ecuador und Bolivien4 - bis heute nicht fallenlässt. Ihr neoliberal fixierter sowie außenpolitisch am transatlantischen Bündnis orientierter Kurs gilt auch in Berlin als attraktiv.

Den Wahlsieger schädigen

Wie aus der Stellungnahme der Konrad-Adenauer-Stiftung hervorgeht, feuern Capriles und seine Parteigänger die aktuellen Unruhen in Venezuela nicht deshalb an, weil Maduros Wahlsieg ernsthaft in Frage stünde. Der Wahlprozess sowie seine Beobachtung seien so sorgfältig geregelt, dass es "für eine Manipulation der Stimmenauszählung wenig Raum" gebe, schreibt die Stiftung. Es sei deshalb eher unwahrscheinlich, dass die von der Opposition verlangte "manuelle Auszählung ein wesentlich anderes Ergebnis nachweisen" werde.5 Jedenfalls habe in der Vergangenheit "das Gesamtergebnis (...) regelmäßig mit dem Inhalt der Wahlakten" übereingestimmt, weshalb "die Wahlbehörde sogar Applaus von Seiten europäischer Diplomaten" erhalten habe. Mit dem Insistieren auf der manuellen Auszählung, erläutert die Adenauer-Stiftung, "zielt Venezuelas Opposition also nicht primär auf die Verkündung eines anderen Wahlergebnisses, das ihr den Sieg zuspricht". Vielmehr gehe es darum, eine angeblich "fehlende Legitimität der Regierung" zu behaupten und im öffentlichen Bewusstsein zu verankern - eine Voraussetzung für zukünftige Destabilisierungs-Versuche. Dem bloß taktischen Manöver sind inzwischen sieben Menschen zum Opfer gefallen.6

In den Putsch involviert

Oppositionsführer Enrique Capriles Radonski hat Erfahrung mit Destabilisierungs-Taktiken. Der 1972 geborene Sohn einer reichen Unternehmerfamilie aus Caracas ist seit den 1990er Jahren politisch aktiv. Im Jahr 2000 beteiligte er sich daran, die 1992 gegründete Gruppierung "Primero Justicia" als politische Partei in Opposition zum damaligen Präsidenten Hugo Chávez zu formieren. Seither gilt er als maßgeblicher Anführer der Organisation. Capriles wurde zunächst Bürgermeister des wohlhabenden Hauptstadt-Distrikts Baruta - und beteiligte sich 2002, gemeinsam mit weiteren Funktionären von Primero Justicia, am Putsch gegen Chávez. Insbesondere wird ihm vorgeworfen, im Verlauf des Putschs in den Sturm auf die in Baruta angesiedelte kubanische Botschaft involviert gewesen zu sein. 2004 wurde Capriles wegen seiner Aktivitäten im Rahmen des Putschs angeklagt und inhaftiert; weltweites Aufsehen rief im November 2004 der Mord an dem Staatsanwalt hervor, der Capriles vor Gericht gebracht hatte. Die Ermittlungen gegen die Täter brachten ein Netzwerk ultrarechter Aktivisten zutage, von denen zumindest einige gleichermaßen in den Putsch involviert gewesen waren.7 Capriles konnte seine politische Karriere trotz allem fortsetzen - seit 2008 nicht mehr als Bürgermeister von Baruta, sondern als Gouverneur des Bundesstaats Miranda, zu dem Baruta gehört.

Nur ein Generalsprotest

Capriles' Partei Primero Justicia wird dabei nicht nur aus den USA, sondern auch aus Deutschland unterstützt, vor allem von der Konrad Adenauer-Stiftung, die die Partei seit 2001 stärkt: Sie wollte damals eine "größere Notwendigkeit" erkannt haben, in Venezuela "politisch anzupacken". Sofort nach der Niederschlagung des Putschs im April 2002 erklärte der damalige Filialleiter der Stiftung in Venezuela, Michael Lingenthal, in offenkundiger Anspielung auf interne Kenntnisse, in Caracas habe der Putschpräsident "in wenigen Stunden alles verspielt": "Die Idee war, eine Regierung mit einer breiten demokratischen Basis zu bilden. Das ist nicht geschehen."8 Noch im selben Jahr verlangte der Mann, man müsse eine "kritisch-unvoreingenommene Einschätzung" des Putschs anstreben, den er als simplen "Generalsprotest" einstufte.9 Im Sommer 2003 war die Adenauer-Stiftung an der Organisation einer Veranstaltung beteiligt, bei der Primero Justicia-Mitglieder über die "Modernisierung politischer Parteien" unterrichtet wurden.10 Im Sommer 2004 wurden erneut Putschpläne bekannt; wieder waren Angaben aus Caracas zufolge Mitglieder von Primero Justicia involviert.11

Langfristige Beratungsprozesse

Die Adenauer-Stiftung setzt ihre Unterstützung für die Partei bis heute fort. 2010 berichtete die Venezuela-Expertin Eva Golinger unter Berufung auf eine Analyse des Madrider FRIDE-Instituts, die Stiftung zahle "rund 500.000 Euro jährlich" für gemeinsame Projekte mit den rechten Parteien in Venezuela, darunter Primero Justicia.12 Ein Beispiel für derlei Projekte ist eine Veranstaltung, bei der am 4. Februar 2010 "den führenden Mitgliedern der venezolanischen Partei Primero Justicia" eine konkrete Methodologie der "politischen Kommunikation" vorgestellt werden sollte: Es gehe dabei, erläuterte die Stiftung, um "die langfristig angelegte Stärkung" der entsprechenden Kapazitäten und "langfristige Beratungsprozesse".13 Weil die direkte Finanzierung politischer Parteien durch die deutschen Stiftungen aber eigentlich unzulässig ist, wählt die Adenauer-Stiftung eigenen Angaben zufolge "primär" den Umweg über Beihilfen für die parteinahe "Fundación Justicia y Democracia".14 Schließlich öffnet die Stiftung der venezolanischen Opposition Türen in Berlin und der EU. Laut einem Bericht des Webportals amerika21 hatte sie zu Jahresbeginn 2011 Vertreter der Opposition nach Brüssel und in die deutsche Hauptstadt eingeladen, wo sie Gespräche unter anderem mit Bundestagsabgeordneten führen konnten. Der Delegation, die der Bürochef der Stiftung in Caracas leitete, gehörte auch ein Primero Justicia-Aktivist an - ein Mann aus dem unmittelbaren Umfeld von Enrique Capriles.15