Brasilien: Regierung stellt Aktionsplan zur Re-Industrialisierung vor

Maßnahmen sollen nationale Produktion ankurbeln und diese stärker als bisher an der Wertschöpfungskette teilhaben lassen

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Lula verkündete den Plan für die NIB bei der Sitzung des Nationalen Rates für Industrielle Entwicklung
Lula verkündete den Plan für die NIB bei der Sitzung des Nationalen Rates für Industrielle Entwicklung

Brasília. Die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat eine neue Industriepolitik namens "Nova Industria Brasil" (Neue Industrie Brasilien, NIB) angekündigt.

Der Aktionsplan will mit Investitionen und Förderungen, Steuervergünstigungen und zinsgünstigen Darlehen in Höhe von insgesamt 300 Milliarden Reais (rund 56,5 Milliarden Euro) den Re-Industrialisierungsprozess des Landes voranbringen und bis 2033 nachhaltiges und innovatives Wachstum konsolidieren.

Innovation und Nachhaltigkeit stehen laut Regierung im Mittelpunkt der NIB. Die strategische Investitionsbereiche sind entsprechend den potenziellen Auswirkungen auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes festgelegt. 

Die Maßnahmen zielen darauf, die nationale Produktion anzukurbeln und diese stärker als bisher an der Wertschöpfungskette teilhaben zu lassen. Sie sollen sich auf sechs Schwerpunktbereiche konzentrieren: Agroindustrie, Gesundheitssektor, Infrastruktur, digitale Transformation, Energiewende und nationale Souveränität.

Im Agrarbereich soll unter anderem der Mechanisierungsanteil bei Familienbetrieben auf 70 Prozent erhöht werden. Im Gesundheitswesen ist geplant, dass 70 Prozent der Medikamente und Impfstoffe aus nationaler Produktion stammen. In der Infrastruktur sollen Investitionen in Bahnindustrie, Elektromobilität und kohlenstoffreduzierten digitalen Tiefbau erfolgen. Die notwendige Fahrzeit zum Arbeitsplatz soll sich um 20 Prozent reduzieren. 90 Prozent der brasilianischen Unternehmen sollen auf digital gesteuerte Produktion umrüsten, bisher sind es 23 Prozent. Die Hälfte statt momentan 21 Prozent der öffentlichen Verkehrsmittel soll durch Biokraftstoffe betrieben werden, womit die Karbonemissionen um 30 Prozent gesenkt würden. Beim Militär ist geplant, dass zukünftig die Hälfte der für die Landesverteidigung notwendigen Produkte aus nationaler Produktion kommen werden.

Die NIB soll von der Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES), der Forschungs- und Projektfinanzierungsagentur Finep und dem Staatsunternehmen für industrielle Forschung und Innovation (EMPRAPII) administriert werden. Die BNDES-Finanzierungen im Zusammenhang mit Innovation und Digitalisierung werden einen unter dem Marktzins liegenden Zinssatz verlangen.

Die NIB-Verkündung erfolgte bei der zweiten Sitzung des Nationalen Rates für industrielle Entwicklung, der Vertreter von Regierung, Unternehmen und Zivilgesellschaft zusammenbringt. Diese Instanz wurde 2023 von Präsident Lula reaktiviert. Bei der Sitzung im Juli 2023 wurden Investitionen von 106 Milliarden Reais (20 Milliarden Euro) angekündigt, nun sollen 194 Milliarden Reais auf den Weg gebracht werden. "Das Ziel besteht darin, in drei Jahren etwas konkretes zu erreichen", betonte Lula.

Ziel der NIB ist es, die technologische Entwicklung anzukurbeln, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Qualifizierung der Arbeitskräfte zu fördern. Geplant ist unter anderem die Erneuerung des Maschinenparks, um höhere Produktivität und geringere Umweltbelastung zu gewährleisten. Geförderte Maßnahmen sollen vier Kriterien erfüllen: Produktivitätssteigerungen, Forschungs- und Innovationsprojekte zur technologischen Entwicklung sowie Nachhaltigkeit und Anreize für den Zugang zum internationalen Markt.

Unter den ökonomischen Eliten Brasiliens stößt der NIB-Plan meist auf Zustimmung. Der mächtige Industrieverband des Bundesstaates São Paulo, in dem mehr als ein Drittel der brasilianischen Industrie ansässig ist, erklärte sich "bereit, mit der Regierung zusammenzuarbeiten und bei der Umsetzung zu helfen". Es sei zu loben, dass "die Regierung die Bedeutung der verarbeitenden Industrie anerkennt und die heimische Wirtschaft stärken will", so der Verband.

Auch der nationale Industrie- und Unternehmerverband CNI lobte das Programm als "modern und nachhaltig" und begrüßte, dass Lula die brasilianische Industrie wieder in den Mittelpunkt der Entwicklungsstrategie des Landes gerückt habe.

Sogar ehemalige Verbündete des ultrarechten Ex-Präsidenten Jaír Bolsonaro, wie der Abgeordnete Ricardo Barros aus Paraná, unter Bolsonaro Führer der Regierungsfraktion im Parlament, begrüßten das Maßnahmenbündel der NIB als "verdienstvoll".

Allein von freihandelsorientierten Kreisen ist der von der Regierung vorgesehene bevorzugte Einkauf von nationalen Produkten kritisiert worden, da er die Verhandlungen zur Annahme des Handelsabkommens zwischen dem regionalen Wirtschaftsbündnis Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) und der Europäischen Union erschweren würde. Europäische Unternehmen könnten die gleichen Bedingungen wie brasilianische Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen für den Kauf von Waren oder die Ausführung von Dienstleistungen verlangen.

Der Staatssekretär für industrielle Entwicklung, Innovation, Handel und Dienstleistungen, Uallace Moreira, wies diese Kritik zurück. Er sagte, die neue Industriepolitik folge einem "globalen Trend". Im Interview auf dem YouTube-Kanal des Politmagazins Carta Capital erklärte Moreira, dass auch die USA, China und die Europäische Union mit Subventionen, Steueranreizen und öffentlichen Vorzugskäufen arbeiteten.