Emissionshandel in Brasilien: Agrarwirtschaft profitiert von neuem Gesetzentwurf

Handel mit CO2-Zertifikaten soll möglich sein, ohne Reduktionszielen zu unterliegen. Agrarindustrie will sich für vermiedene Entwaldung bezahlen lassen

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Nach der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer muss der Senat dem Gesetzesvorschlag zustimmen
Nach der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer muss der Senat dem Gesetzesvorschlag zustimmen

Brasília. Kurz vor Ende des Legislaturjahres 2023 hat die Abgeordnetenkammer einen Gesetzentwurf (PL 2148/15) zur Abstimmung eingebracht, der das brasilianische System für den Handel mit Treibhausgasemissionen (SBCE) regeln soll. Der Gesetzestext, mit 299 Ja- und 103 Nein-Stimmen angenommen, würde in Brasilien die paradoxe Situation schaffen, dass der emissionsstärkste Wirtschaftssektor CO2-Zertifikate handeln kann, ohne der Obergrenze an Treibhausgasemissionen zu unterliegen.

Durch das Gesetz müssen Unternehmen mit einem jährlichen Ausstoß von mehr 10.000 Tonnen CO2 zukünftig ihre Emissionen melden und ab 25.000 Tonnen diese reduzieren. Bei einer Abstimmung des Umweltausschusses des Senats über einen ersten Gesetzesvorschlag im Oktober 2023 hatte die parlamentarische Agrarfraktion (bancada ruralista) jedoch erreicht, dass die Agrar- und Viehwirtschaft ausgenommen wird.

Als Begründung führte sie das Fehlen geeigneter Messungen der Emissionen aus landwirtschaftlichen Aktivitäten an. Das Problem dabei: So würden 75 Prozent der nationalen Emissionen, die hauptsächlich aus der Abholzung von Wäldern und der Viehzucht stammen, von der Regulierung ausgenommen.

Die Regierung zog es zunächst vor, keinen Sektor zu diskriminieren und die Tür für eine spätere Einbeziehung der Agrarindustrie offenzulassen, bis eine Einigung darüber getroffen wird, wie effizient ein Emissionshandelssystem für die Reduzierung von Landnutzungsemissionen ist.

Bei der Debatte im Repräsentantenhaus gingen die Abgeordneten jedoch über die Ausnahmeregelung hinaus. Ein neuer Antrag des Abgeordneten Aliel Machado sah eine Reihe von Bestimmungen vor, die es Landwirten und anderen Akteuren ermöglichen sollen, CO2-Zertifikate aus dem Erhalt von Wäldern zu generieren. Landeigentümer sollen damit verhindern, dass ihre Grundstücke abgeholzt werden, sodass die geschützten Bäume weiterhin Kohlendioxid binden. Für jede eingesparte Tonne CO2 werden Emissionsgutschriften ausgestellt und im Emissionshandel zum Kauf angeboten.

Zudem könnten die Zertifikate über den internationalen "freiwilligen Kohlenstoffmarkt" gehandelt werden. Dieser Markt ist unabhängig von nationalen Vorschriften und bisher existieren keine einheitlichen Standards für die Zertifizierung.

Dies ist ein lang gehegter Wunsch der Agrarindustrie und der Entwickler von Kompensationsprojekten, um über Marktmechanismen für den Schutz des Waldes bezahlt zu werden – und das, obwohl Landeigentümer auf ihren Grundstücken durch das Waldschutzgesetz (Código Florestal) ohnehin dazu verpflichtet sind.

Der Gesetzesvorschlag würde die Landwirtschaft von der Regulierung befreien, ihr aber gleichzeitig die Möglichkeit einräumen, CO2-Zertifikate zu generieren, um für vermiedene Entwaldung finanziell kompensiert zu werden. Hinzu kommt, dass auch erlaubt würde, Zertifikate für dem Walderhalt in indigenen oder Naturschutzgebieten zu generieren.

Studien und Recherchen haben zuletzt jedoch gezeigt, dass sich viele der zertifizierten Waldschutzprojekte als intransparent, zweifelhaft oder sogar betrügerisch erwiesen haben. Unter anderem, weil Projektentwickler die prognostizierte zukünftige Entwaldung deutlich überbewerteten, was vermeintlich mehr Emissionen vermeidbar macht. Dadurch können wiederum mehr Zertifikate verkauft werden.

Umweltorganisationen und Expert:innen befürchten, dass der nun ausgehandelte Entwurf die Bemühungen Brasiliens zur Bekämpfung des Klimawandels teilweise gefährden würde.

Alexandre Prado, Leiter des WWF Brasilien im Bereich Klimawandel, sieht in dem Vorhaben ein Einfallstor für zweifelhafte Kompensationsprojekte: "Brasilien wird zu einer Wäscherei für faule Emissionsgutschriften. Damit stehen die Chancen auf dem internationalen Markt, dass ein solches System Käufer findet, gering.

Die brasilianische Klimabeobachtungsstelle schreibt in einer Pressemitteilung, dass "die Gier der Landwirte und der Entwickler von Kohlenstoffprojekten, Gutschriften auf ländlichen Grundstücken generieren zu können, zu einem Gesetzestext geführt hat, der die Glaubwürdigkeit von REDD+ im Land untergräbt und es schwierig machen könnte, internationale Gelder für den Wald- und Klimaschutz zu beschaffen". REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) ist ein internationaler Wald- und Klimaschutzmechanismus, der darauf abzielt, über finanzielle Anreize die Abholzung von Wäldern zu begrenzen und die Wiederaufforstung zu fördern.

Vor dem Hintergrund, dass die Agrarfraktion noch vor wenigen Wochen das Veto von Präsident Lula da Silva beim Gesetz zur Festlegung des Zeitrahmens für die Demarkierung indigener Gebiete (Marco Temporal) ablehnte, erscheine es verwunderlich, dass diese nun auf das Vertrauen der internationalen Märkte hoffe, so die Beobachtungsstelle.

Seit Beginn der Debatte um das Gesetz im Kongress waren die Rechte indigener und traditioneller Bevölkerungsgruppen eine der größten Sorgen von Umwelt- und Indigenenorganisationen. Wie die brasilianische NGO Instituto Socioambiental (ISA) berichtet, werden diese vor allem im Amazonasgebiet von Unternehmen gedrängt, Projekte für Waldkohlenstoffzertifikate zu entwickeln, die auf dem "freiwilligen Markt" verkauft werden sollen.