Lateinamerika nach Corona: Armut und Ungleichheit nach wie vor auf hohem Niveau

Neuer Cepal-Bericht: Region steckt in "doppelter struktureller Falle aus geringem Wachstum und hohem Maß an Armut und Ungleichheit"

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Der Bericht der Cepal zeigt, dass eine inklusive Arbeitswelt entscheidend ist, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern
Der Bericht der Cepal zeigt, dass eine inklusive Arbeitswelt entscheidend ist, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern

Santiago. Nach der Covid-19 Pandemie ist die Armut in den meisten Ländern Lateinamerikas und der Karibik leicht gesunken. Nach dem Rekordwert von 201 Millionen betroffenen Menschen in 2021 waren es im letzten Jahr 181 Millionen. Auch die Ungleichheit ist in einigen Ländern gesunken. Einkommen und Vermögen sind aber nach wie vor höchst ungleich verteilt. Dies geht aus dem neuen Sozialbericht der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) hervor.

Laut dem Bericht sank die Armutsquote in der Region in 2022 auf 29 Prozent von zuvor 32,1 Prozent. Damit lebt nach wie vor fast ein Drittel der Bevölkerung in Armut. Kinder und Jugendliche (42,5 Prozent), die ländliche Bevölkerung (41 Prozent) und Indigene (43,1 Prozent) sind besonders von Armut betroffen, "eine Realität, die wir nicht tolerieren können", erklärte José Manuel Salazar-Xirinachs, Exekutivsekretär der Cepal, bei der Präsentation des Berichts.

Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. In Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Ecuador, El Salvador, Mexiko und Panama sind die Armutszahlen mindestens auf das Niveau vor der Pandemie (2019) oder stärker gesunken, während Kolumbien, Argentinien, Paraguay und Honduras ihre Vorpandemiewerte nicht erreichten.

Auch die extreme Armut ist 2022 auf 70 Millionen betroffenen Menschen gesunken, 2021 waren es noch 86 Millionen. Als extrem arm gilt nach Definition der Weltbank eine Person, die am Tag weniger als umgerechnet 2,15 US-Dollar zur Verfügung hat.

Grund für den Rückgang der Armut sind vor allem gestiegene Einkommen infolge einer besseren Wirtschaftsentwicklung nach den Krisenjahren. Diese hatte die Region besonders schwer getroffen und die Arbeitslosigkeit historisch steigen lassen.

Dennoch, erklärt Salazar-Xirinachs, stecke die Region "nach wie vor in einer doppelten strukturellen Falle, die aus geringem Wachstum und einem hohen Maß an Armut und Ungleichheit besteht".

Für das laufende Jahr 2023 schätzt die Cepal die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts auf nur 1,7 Prozent und damit deutlich unter die 3,8 Prozent aus dem Vorjahr, was "keine weitere Verbesserung der Armut erwarten lässt".

Gleiches gilt für die Ungleichheit. Zwar habe die Einkommensverteilung, gemessen am Gini-Index, in neun von zwölf Ländern im Vergleich zu 2019 abgenommen, zeigt aber nach wie vor ein hohes Maß an Ungleichheit. So verdienen die einkommensstärksten zehn Prozent der Gesellschaft 21-mal mehr als die einkommensschwächsten zehn Prozent.

Bei den Vermögen ist die Konzentration in der Region sogar noch höher. Im Jahr 2021 machte das Vermögen der 105 Milliardäre fast vier Prozent des Vermögens der Gesamtbevölkerung aus und überstieg die Werte von 2019 und 2020.

Dieses hohe Maß an Ungleichheit könne nicht verringert werden, wenn die Regierungen nicht gegen die Lücken auf dem Arbeitsmarkt vorgingen, warnen die Autoren in dem Bericht.

Während der Corona-Pandemie verloren Millionen Menschen ihre Beschäftigung und die Anzahl neuer Jobs ging in 2020 um einen Rekordwert von 8,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück – der einzige Rückgang in den letzten 70 Jahren.

"Die Eingliederung in die Arbeitswelt ist der Schlüssel zur Armutsbekämpfung, zur Verringerung des informellen Sektors und der Ungleichheit und zum Übergang zu einer integrativen sozialen Entwicklung", so der Bericht, der sich in diesem Jahr auf die "inklusive Beschäftigung" fokussiert. Das Thema stelle für die Region allerdings eine Herausforderung dar und genieße daher höchste Priorität.

Zwar sei die Arbeitslosenquote 2022 auf sieben Prozent gesunken, nach zehn Prozent im Jahr 2020, dem Höchstwert während der Pandemie. Nichtsdestotrotz war von 292 Millionen Erwerbstätigen jeder zweite Arbeiter in der Region in informellen Arbeitsverhältnissen tätig und fast ein Fünftel lebte in Armut. 40 Prozent verdienten weniger als den Mindestlohn und die Hälfte zahlte nicht in die Rentensysteme ein. Frauen sind unverhältnismäßig stark betroffen.

Aber auch Migrant:innen seien betroffen, die oft am Rande des Arbeitsmarktes unter prekären Bedingungen arbeiten, was sie besonders anfällig für Ausbeutung mache, erklärte der Exekutivsekretär der Cepal.

Der Bericht belegt auch das Fortbestehen enormer geschlechtsspezifischer Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt. So lag die Erwerbsquote von Männern im Jahr 2022 bei 74,5 Prozent, während nur 51,9 Prozent der Frauen eine Beschäftigung hatten. Diese Diskrepanz zeigte sich auch bei der Arbeitslosenquote: 8,6 Prozent bei Frauen und 5,8 Prozent bei Männern.