Uruguay / Politik

International gesuchter Drogenboss gibt Interview auf TV-Kanal von Uruguay

Regierung von Lacalle Pou in erfolgreiche Flucht des Drogenhändlers Marset verstrickt. Rücktritte von Ministern und hohen Funktionären

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Sebastián Marset will sich unter bestimmten Bedingungen in Uruguay stellen
Sebastián Marset will sich unter bestimmten Bedingungen in Uruguay stellen

Montevideo. Ein Interview mit dem uruguayischen Staatsbürger und Drogenhändler Sebastián Marset hat das südamerikanische Land elektrisiert. Der TV-Kanal 4 sendete die Aufzeichnung des Treffens am vergangenen Sonntag in seinem Programm "Santo y Seña", das in "einer versteckten Villa im Dschungel" von Paraguay stattgefunden haben soll. Der zweite Teil des Interviews soll am kommenden Sonntag ausgestrahlt werden.

Nach dem Drogenhändler wird seitens Uruguays, Boliviens und Paraguays aktiv gefahndet. Die Vorwürfe sprechen von Handel mit mehr als 40 Tonnen Kokain allein für den europäischen Markt, Geldwäsche und Beauftragung der Ermordung des paraguayischen Staatsanwalts Marcello Pecci im Mai vorigen Jahres während seinen Flitterwochen auf der kolumbianischen Halbinsel Barú.

In Uruguay schwelte seit mehr als einem Jahr ein Skandal, nachdem Alejandro Astesiano, der Leiter des Sicherheitsdienstes des neoliberalen Präsidenten Luis Lacalle Pou unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verhaftet wurde (amerika21 berichtete). Dabei zeigten sich erste Verbindungen zum Fall Marset. Dieser konnte mit einem neu ausgestellten uruguayischen Reisepass, den eine Botschaftsmitarbeiterin von Uruguay ihm Ende 2021 in der Haft in Dubai überreichte, mit unbekanntem Ziel entkommen.

Erst Anfang November nahm die Affäre Fahrt auf, als die ehemalige Außenministerin von Uruguay, Carolina Ache, berichtete, dass ihr Nachfolger im Amt, Francisco Bustillo, und der Präsidentenberater Roberto Lafluf sich abgesprochen hätten, kompromittierende Chats über die Ausgabe des Passes an Marset zu löschen. Zwei Minister und weitere hochrangige Regierungsmitglieder räumten daraufhin ihre Posten (amerika21 berichtete).

Im ersten Teil des Interviews betonte Marset, dass er sich in Uruguay stellen wolle, falls die Behörden den Haftbefehl gegen seine Ehefrau Gianina García Troche aufheben und seine Familie nicht weiter verfolgen würden. Er sei aus dem Drogenhandel ausgestiegen und im Fall des Mordes an Staatsanwalt Pecci läge nichts gegen ihn vor.

Für seinen Fluchtpass in Dubai, habe er "keinen einzigen Dollar" gezahlt. Die Aushändigung des Passes sei heute lediglich "umstritten, weil die Politik es so wollte". Der Drogenboss erklärte, dass Uruguay "in Lateinamerika das am wenigsten korrupte Land ist", und fügte hinzu, dass von seiner Seite "niemals Geld an einen Politiker in Uruguay geflossen ist".

Andererseits sagte Marset, dass er der Justiz in Bolivien und Paraguay "überhaupt nicht" vertraue.

Er belastete die Regierung von Bolivien, wo ihm Anfang August eine weitere Flucht gelang. Er entkam wenige Stunden, bevor eine großangelegte Polizeiaktion gegen ein Haus in Santa Cruz startete, das ihm als Versteck gedient haben soll. Marset erklärte, dass er informiert worden sei, kurz bevor die Einsatzkräfte vor seinem Haus ankamen. Marset sagte in diesem Zusammenhang, dass "der Drogenhandel nicht nur von den Drogenhändlern abhängt". Bolivien verfolge "unschuldige Menschen strafrechtlich", so würde sein Bekannter "Tío Rico in Isolationshaft gehalten, weil er viele Wahrheiten über korrupte Politiker in Bolivien aufdecken könnte".

Dies sieht das uruguayische Online-Portal LaRed21 als Replik darauf, dass der bolivianische Regierungsminister Eduardo del Castillo Marset kürzlich als Lügner bezeichnet hatte.

Nach der Sendung zeigte sich der PolitikerYamandú Orsi von der Partei Movimiento de Participación Popular, die der Frente Amplio angehört, "überrascht", dass die "Geschichte" von Marset über den Reisepass "fast zu 100 Prozent" mit der der uruguayischen Regierung übereinstimme.

Präsident Lacalle Pou äußerte sich am Dienstag auf einer Pressekonferenz zu dem am Sonntag ausgestrahlten Interview, indem er vorausschickte, dass er die Sendung nicht gesehen habe. Die Regierung treffe jedoch keine Absprachen mit Drogenhändlern, "das ist glasklar, das sollte nicht einmal gesagt werden müssen". Vielmehr beteuerte der Präsident, dass die Polizeibehörden weiter fahnden.

Indes gibt es Berichte, dass das uruguayische Innenministerium mit der Staatsanwaltschaft über die Möglichkeit der Rückkehr von Marset und seiner Familie nach Uruguay verhandelt.

Auf die Äußerungen von Orsi angesprochen, sagte Lacalle Pou, er habe "keine Zeit", um "jedem zu antworten, der etwas sagt".

Der bolivianische Journalist Wilson Garcia Mérida schätzt nach dem Auftritt von Marset ein, dass "die Regierung von Luis Lacalle Pou in den Seilen hängt, da sie nicht in der Lage ist, die Aushändigung eines offiziellen Passes im November 2021 zu rechtfertigen".

Aus Marsets Sicht sei das Interview wohl eine Gelegenheit, sich als "Drogenkapitalist mit denselben Rechten wie die Machthaber, die sich auf seine Kosten bereichern", zu legitimieren. Er betrachte die Schmiergelder, die er an korrupte Politiker zahlt, als Steuern an den Staat. In diesem Rahmen halte Marset die Möglichkeit seiner Legalisierung für politisch durchsetzbar.

Mit seiner Legitimationsstrategie werde Marset von dem einflussreichen Fernsehsender Kanal 4 präsentiert, der mit der uruguayischen Regierung verbunden sei.