Ernüchternde Bilanz vier Jahre nach der sozialen Revolte in Chile

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Wandschrift in Chile: Vier Jahre nach der Revolte ist alles gleich und schlimmer
Wandschrift in Chile: Vier Jahre nach der Revolte ist alles gleich und schlimmer

Santiago. Vier Jahre, nachdem Millionen Chilenen auf der Straße soziale Reformen einforderten, ist alles beim Alten. Die Verfassung schreiben rechte und ultrarechte Politiker und die Opfer der Polizeiübergriffe warten auf gerechte Entschädigung.

Am 18. Oktober 2019 übersprangen Schüler die U-Bahneingänge, um gegen die Fahrpreiserhöhung von 30 Pesos zu protestieren. Sie lösten damit eine Protestwelle aus, wie sie Chile seit der Rückkehr zur Demokratie nicht gesehen hatte. Schnell ging es nicht länger nur um die Fahrpreise. Soziale Forderungen wie nach kostenloser Bildung und Gesundheitsfürsorge, sicheren Renten und erschwinglichem Wohnraum rückten in den Vordergrund und gipfelten in die Forderung nach einer neuen Verfassung. Darin sollten diese Rechte verankert und die Verfassung aus der Zeit der Diktatur unter Augusto Pinochet überwunden werden.

Vier Jahre später ist nichts davon Wirklichkeit geworden und auf Chiles Straßen ist es still. Nur in Santiago kam es zu einigen kleinen, spontanen Demonstrationen, die die Polizei sehr schnell auflöste.

Im ersten Anlauf erarbeitete eine paritätisch besetzte verfassungsgebende Versammlung einen Verfassungsentwurf, der weitgehend die Forderungen der Protestbewegung berücksichtigte. Er wurde jedoch in einem Volksentscheid mit Wahlpflicht mehrheitlich abgelehnt und anschließend ein zweiter verfassungsgebender Prozess in Gang gesetzt.

Während in der ersten verfassungsgebenden Versammlung die indigenen Minderheiten und parteiunabhängige Personen aus allen sozialen Bereichen vertreten waren, wurden jetzt nur Vertreter der im Parlament vertretenen Parteien zugelassen. Da bei der Wahl der Vertreter Wahlpflicht bestand, konnten sich rechte und ultrarechte Parteien nach einem aufwendigen und rechtspopulistischen Wahlkampf eine Dreiviertelmehrheit sichern und bestimmen heute den Inhalt des Verfassungsentwurfes, der Anfang Dezember zur Abstimmung kommt.

In den Medien werden die damaligen Ereignisse kaum kommentiert. In einem Interview äußerte Präsident Gabriel Boric: "Mir ist klar, dass das Unbehagen, welches das chilenische Volk während jener Monate zum Ausdruck gebracht hat, ein Unbehagen ist, das die Politik lösen muss".

Sebastian Piñera, amtierender Präsident im Jahr 2019, meinte, dass die Linke damals einen "nicht-traditionellen Staatsstreich" durchführen wollte. Innenministerin Caroline Toha hielt dagegen, dass niemand einen Überfall unternommen habe, um die Staatsmacht zu übernehmen. Man dürfe nicht einzelne gewalttätige Ausschreitungen mit einem Staatsstreich vergleichen.

Während der Proteste kam es zu massiven Polizeiübergriffen mit schwerwiegenden Folgen. Amnesty International (AI) kritisiert, dass von den 10.568 klagenden Betroffenen nur wenige eine Wiedergutmachung erstreiten konnten.

Laut Regierungsangaben bekommen 418 Geschädigte eine lebenslange Rente. Im höchsten Fall, etwa beim bleibenden Verlust des Augenlichtes, sind es jedoch nur 516.000 Pesos, etwas mehr als der gesetzliche Mindestlohn.

Auf der Ebene der Strafverfolgung wurden gerade einmal 27 Uniformierte wegen Gewaltanwendung verurteilt.

AI mahnt eine überfällige Reform der Polizei an, um in Zukunft massive Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, wie sie während der Proteste von den Kommandostrukturen der Polizei wissentlich in Kauf genommen worden seien.