Linker Präsidentschaftskandidat in Kolumbien führt Umfragen mit großem Vorsprung an

Vorkandidat:innen der Ultrarechten verlieren bei den Umfragen. Koalition der politischen Mitte zweitstärkste Kraft

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Gustavo Petro im Oktober in Cartagena
Gustavo Petro im Oktober in Cartagena

Bogotá. Der favorisierte Vorkandidat der progressiven Koalition "Pacto Histórico", Gustavo Petro, ist aktuell der aussichtsreichste Präsidentschaftsanwärter in Kolumbien. Dies belegt die jüngste Umfrage der Firma Invamer fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl. Bei neun unterschiedlichen Zusammenstellungen von Kandidaten der anderen zwei Koalitionen würde Petro beim ersten Wahlgang zwischen 42 und 48 Prozent der Stimmen bekommen. Die verschiedenen Kandidaten auf dem zweiten Platz kämen dabei zwischen 15,7 und 25,5 Prozent.

Bei den zweitmeistgewählten Vorkandidaten schnitt Sergio Fajardo von der Koalition "Centro Esperanza" (Zentrum Hoffnung) am besten ab. Diese Wahlkoalition versteht sich selbst als politische Mitte. Bestenfalls 25,5 Prozent der Stimmen würde Fajardo laut der Umfrage in einem ersten Wahlgang bekommen, sollten die Wahlen jetzt sein.

Bei einer Stichwahl zwischen Petro und Fajardo würden 56,8 Prozent der Befragten für den ersten und 39,8 Prozent für den zweiten stimmen. Die Tendenz im Vergleich zur gleichen Umfrage im April und August ist für Petro aufsteigend und für Fajardo absteigend.

Neben "Pacto Histórico" und "Centro Esperanza” gibt es die Wahlkoalition "Equipo Colombia" (Team Kolumbien), bei der sich rechtskonservative bis ultrarechte Kandidat:innen der Regierungspartei "Centro Democrático" zusammengeschlossen haben. Bei jeder der drei Koalitionen wählt die Wählerschaft im März, wer von den jeweiligen sechs Vorkandidat:innen sie bei den Präsidentschaftswahlen im Mai vertreten darf.

Bei der Sonntagsfrage, an welcher der drei Koalitionswahlen die befragten Personen teilnehmen würden, antworteten 43,1 Prozent mit dem "Historischen Pakt". An den internen Wahlen der Koalition "Centro Esperanza" würden sich 30,9 Prozent und an den Wahlen von "Equipo Colombia" 26,0 Prozent der Befragten beteiligen.

Der "Pacto Histórico" ist ein immer breiteres Bündnis geworden. Zunächst ist er als Zusammenschluss von linken Parteien und Organisationen der sozialen Bewegungen entstanden, die nicht nur den nächsten Präsidenten oder die nächste Präsidentin sondern auch eine Mehrheit von Senator:innen und Abgeordneten im März 2022 stellen will.

Dazu zählen die Bewegung "Colombia Humana" (Menschliches Kolumbien), Union Patriótica (UP), die Partei "Polo Democrático" (PD), die indigene Partei Mais, die Kommunistische Partei, die Partei der Ex-Farc-Angehörigen Comunes unter anderen. Ebenso Organisationen wie "Congreso de los Pueblos" (Kongress der Völker) und "Marcha Patriótica" (Patriotischer Marsch) und linke politische Persönlichkeiten wie Francia Márquez, Piedad Córdoba und der PD-Senator Iván Cepeda.

Im Laufe der Zeit haben sich einzelne traditionelle Politiker angeschlossen, die einen Bruch mit dem Establishment verkündeten. Das ist der Fall von Roy Barreras, der zur Regierungspartei "Unidad Nacional", auch als "U" bekannt, während der Präsidentschaft Juan Manuel Santos gehörte und Regierungsdelegierter bei den Friedensverhandlungen mit der Farc-Guerilla war. Auch das Ex-Mitglied der "U-Partei" und frühere Anhänger des ultrarechten Ex-Präsidenten, Álvaro Uribe, Armando Benedetti ist heute Mitglied des "Pacto Histórico".

Ebenfalls haben sich ein Flügel der Liberalen Partei (PL) sowie Mitglieder der Grünen Allianz dem "Pacto" angeschlossen. Umstritten innerhalb des progressiven Bündnisses ist die Annährung, die der Ex-Gouverneur des Departamento de Antioquia, Luis Pérez, sucht. Ihm werden Verbindungen mit lokalen Eliten nachgesagt, die wiederum mit dem Paramilitarismus zu tun hatten. Petro als Hauptfigur des "Pacto" hat argumentiert, das Bündnis solle Personen, die ideologisch Uribe nahe standen, die Chance geben, ihre anachronischen Prinzipien in progressive zu ändern.

Zur politischen Agenda von Petro und seiner Bewegung "Colombia Humana" (Menschliches Kolumbien) gehört die Energiewende, eine Umwandlung des aktuellen Gesundheitssystems der privaten Krankenkassen (EPS) in ein komplett öffentliches System. Die private Altersvorsorge, die in Kolumbien vorherrscht, soll durch ein öffentliches Rentensystem ersetzt werden, zu dem alle Zugang haben. Der produktive Sektor soll durch mittelgroße und Kleinunternehmen sowie vernetzte Kooperativen angekurbelt werden. Auch eine Agrarreform, die Umsetzung des Friedensvertrags und kostenlose Bildung für alle gehören zu einer langen Liste der Vorhaben Petros.

Sein politisches Programm findet in Zeiten der starken Protestbewegung viel mehr Gehör als die weniger bahnbrechenden Diskurse der Koalition "Centro Esperanza", auch wenn viele junge Aktivist:innen der "sozialen Explosion" gegenüber den Wahlen skeptisch sind.

Bekannte Persönlichkeiten wie Íngrid Betancourt oder der damalige Leiter der Friedensdelegation, Humberto de La Calle,unterstützen das Bündnis der politischen Mitte.

Die Koalition will eine Alternative zur traditionellen korrupten Politik sein. Sie wirbt mit neuen Formen, "Politik zu machen", bei denen die "Transparenz" und "der Respekt vor Differenzen" vorherrschen soll. Auch wenn keine konkreten Aussagen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik bekannt sind, sehen die meisten Kandidaten der Koalition – es gibt keine Frauen dabei – Petros Vorschläge als "populistisch" und "autoritär". Sie streben keine strukturellen Reformen des Gesundheits-, Bildungs- und Rentensystems an. Einige von ihnen verteidigen ganz klar die neoliberal ausgerichteten Gesetze, die diese Systeme aktuell regeln.

Darüber hinaus gilt Fajardo bei Basisbewegungen in Antioquia als mitverantwortlich für das verheerende Megaprojekt Hidroituango, das große Umweltschäden und die Vertreibung von Tausenden Familien mit sich brachte. Missbilligung bekommt die Koalition "Zentrum Hoffnung" auch von den Kritiker:innen der grünen Bürgermeisterin von Bogotá, Claudia López, die vor ihrem Amtsantritt die Koalition gefördert hatte und deren Ehefrau aktiv dabei ist. López hat bei den Protesten autoritär gehandelt und soll Polizeigewalt befürworten.