Kolumbien: Hilfeschrei wegen Gewaltwelle in Buenaventura

Drogenbanden verursachen Massenflucht aus betroffenen Vierteln. Einwohner:innen organisieren sich und verlangen nach strukturellen Lösungen

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Plakat: "Schwarze Leben zählen". Die Gewalt in der afrokolumbianisch geprägten Stadt Buenaventura nahm 2021 rapide zu
Plakat: "Schwarze Leben zählen". Die Gewalt in der afrokolumbianisch geprägten Stadt Buenaventura nahm 2021 rapide zu

Buenaventura. Seit Ende Dezember versetzen Spaltungen der lokalen Drogenstruktur "La Local" die Hafenstadt Buenaventura in Angst und Schrecken. Sie haben in diesem Jahr dort 30 Morde verübt und 18 Menschen verschwinden lassen. Circa 400 Personen mussten laut der regionalen Ombudsstelle für Menschenrechte aus ihren Vierteln fliehen. Bürgermeister Víctor Hugo Vidal spricht sogar von 3.000 Flüchtlingen. Die Einheimischen haben deshalb eine SOS-Kampagne mit mehreren Protestaktionen gestartet.

Die Gewaltherrschaft der Drogenbanden in der Pazifikküstenstadt ist nicht neu. Die kriminellen Strukturen entstanden aus paramilitärischen Gruppen wie der Golf-Klan (Clan del Golfo). Die Hafenstadt liegt für die Ausfuhr von Drogen nach Mittelamerika und Chile strategisch günstig. Zuletzt hatte La Local die Vormachtstellung in Buenaventura übernommen. Die Erschießung von sieben Jugendlichen am 30. Dezember löste jedoch interne Kämpfe aus. Darauf folgten tägliche Schießereien in den ärmeren Vierteln der Stadt. Tatsächlich wurden in den ersten 33 Tagen 33 Gefechte gezählt.

Durch Querschläger getötet zu werden, ist nicht die einzige Angst, mit der die Bewohner:innen Buenaventuras täglich konfrontiert werden. Jugendliche werden rekrutiert, Groß- und Kleinhandel muss den Banden Schutzgeld zahlen – wer nicht gehorcht wird ermordet. Von den Banden als Feinde betrachtete Personen werden bisweilen gar zerstückelt und in die Mangroven geworfen.

Auf diese Situation wollen lokale Bürger:innenorganisationen wie die Jugendinitiative "Buenaventura im Widerstand" (Buenaventura Resiste) mit der SOS-Kampagne aufmerksam machen. Sie fordern "strukturelle Lösungen". In Phasen des Anstiegs der Waffengewalt der Drogenbanden hat die Zentralregierung bislang immer die Sicherheitskräfte von Buenaventura ausgebaut – so auch dieses Mal. Bürger:innen und die lokalen Behörden sehen allerdings in der Verelendung der stark afrokolumbianisch geprägten Stadt die Wurzel der Gewalt.

Dass mehr Sicherheitskräfte das Problem nicht lösten, zeige sich zum einen in der Untätigkeit der Polizei bei Angriffen der Drogengruppen. "Sie benehmen sich, als wäre es nicht ihr Problem", sagt der junge Aktivist Leonard Rentería. Es komme häufig vor, dass die lokalen Drogenkartelle die Polizist:innen kaufen, erklärt auch der Bischof von Buenaventura, Rubén Darío Jaramillo. Meistens werden nicht die obersten Köpfe der Organisationen, die selbst außerhalb der Region leben, sondern die mittleren Anführer festgenommen, versichert der Ombudsmann für die Gemeinde, Edwin Patiño.

Zum anderen ist das Problem, dass die Drogenstrukturen den Jugendlichen viel mehr zu bieten haben als der Staat, so Patiño. Bildungs- oder Arbeitsgelegenheiten seien kaum vorhanden. Die extreme Armut unter der Stadtbevölkerung beträgt 82 Prozent. Circa 66 Prozent der Einwohner sind arbeitslos. Auch gibt es keine kontinuierliche Wasserversorgung. Einige Stadteile bekommen lediglich jeden zweiten Tag Wasser und nur für ein paar Stunden.

Gleichzeitig machen die Unternehmen, die den Hafen besitzen, jährlich über zwei Milliarden US-Dollar Gewinn, wie der Senator Alexander López am Montag berichtete. Durch den Hafen gehen circa 50 Prozent der Exporte und Importe des Landes. Der Staat nimmt dank des Hafens jährlich 17 Billionen Pesos an Steuern (circa 4,2 Milliarden Euro) und 62 Milliarden Pesos (circa 15,5 Millionen Euro) durch Konzessionen ein.

Die Einwohner:innen fordern von der Regierung Iván Duque deshalb Sozialinvestitionen. Die Forderung wird nicht zum ersten Mal gestellt. Sozialpolitische Maßnahmen hatte die Regierung Juan Manuel Santos nach großen Mobilisationen 2014 und 2017 bereits beschlossen, aber nur minimal umgesetzt.

Unter den Protestaktionen der letzten Wochen gab es eine Menschenkette, an der 80.000 Stadtbewohner:innen teilnahmen, sowie mehrere angekündigte und spontane Demonstrationen in Buenaventura und Cali. Jugendliche von "Buenaventura im Widerstand" blockierten außerdem die Brücke El Piñal, die zum Hafen führt.

Großen Anklang in den kolumbianischen Medien fand dabei die Antwort des afrokolumbianischen Aktivisten Leonard Rentería auf die vorwurfsvolle Frage eines Journalist:innenteams, ob die Blockade der Wirtschaft des Landes nicht schade: "Anscheinend interessiert es Sie nur, dass die Waren rein und rauskommen, aber wer denkt an die Schwarzen Männer und Frauen, die Indigenen und Mestizen von hier? Sie sollten sich schämen, so was zu sagen."