Berlin. Organisationen der Zivilgesellschaft und Oppositionsvertreter haben eine Neuausrichtung der deutschen Lateinamerika-Politik gefordert. Anlässlich einer Lateinamerika-Reise von Außenminister Heiko Maas (SPD) warnten die in Freiburg ansässige Kooperation Brasilien und das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt vor allem vor einer Annäherung an die rechtsextreme brasilianische Regierung.
Mit Jair Bolsonaro sei in dem südamerikanischen Land ein Politiker zum Präsidenten gewählt worden, der während seiner gesamten politischen Laufbahn aus seiner Verachtung für Demokratie, Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten nie einen Hehl gemacht habe, schreiben die beiden Organisationen in einem offenen Brief an Maas. "Vor diesem Hintergrund wenden wir uns nachdrücklich mit der dringenden Bitte an Sie, alle zur Verfügung stehenden Kanäle zu nutzen, um unmissverständlich klarzumachen, dass die Bundesregierung von der neuen Regierung Brasiliens die Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit, den Schutz von Minderheiten und die Bewahrung der Menschenrechte erwartet." Man hoffe darauf, dass sich die Bundesregierung für den Erhalt der Handlungsspielräume von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften mit Nachdruck einsetzt.
"Wir sehen die mühsam errungenen Fortschritte in der Festigung der jungen Demokratie gefährdet", schreiben die Kooperation Brasilien und Brot für die Welt. Diesem zu begegnen sei in erster Linie Aufgabe der brasilianischen Gesellschaft. "Jedoch kann sie durch das solidarische Handeln der internationalen Zivilgesellschaft wie auch der internationalen Staatengemeinschaft eine wichtige Unterstützung erhalten", heißt es in dem Schreiben.
Nach Ansicht von Heike Hänsel, der stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, versucht die Bundesregierung mit ihrer Lateinamerika-Politik seit Jahren, progressive Regierungen zu schwächen. Sie übe zudem den Schulterschluss mit neoliberalen Kräften wie der rechtsgerichteten Pazifik-Allianz. Damit habe die deutsche Regierung zur Spaltung des Kontinents und Schwächung progressiver Bewegungen beigetragen. "Während die Bundesregierung in Venezuela Seite an Seite mit Donald Trump eine Regime-Change-Politik betreibt, hat Heiko Maas keine Probleme mit der Zusammenarbeit mit dem rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien", so Hänsel.
Die Bundesregierung betreibt nach Auffassung der Linken-Politikerin in Lateinamerika eine ideologisch und wirtschaftspolitisch motivierte Interessenpolitik. "Eine Neuausrichtung ihrer Lateinamerika-Politik ist überfällig. Die Bundesregierung sollte dringend die Menschenrechte in Kolumbien stärken helfen, wo im Jahr 2018 mindestens 155 Aktivisten ermordet und insgesamt über 800 Gewaltdelikte gegen Oppositionelle und Menschenrechtsaktivisten gezählt wurden", heißt es in einer Erklärung Hänsels.
Die Vereinigung von Kolumbianern in Deutschland "Unidos por la Paz" betonte auf Amerika21-Anfrage die Notwendigkeit, dass Maas auf die schwere humanitäre Krise in Kolumbien eingeht, "in der der Staat das Leben seiner Bürger nicht garantiert". Der deutsche Außenminister müsse von der amtierenden kolumbianischen Regierung den Schutz des Lebens aller Kolumbianer einfordern und sich für ein Ende außergerichtlicher Hinrichtungen durch die Streitkräfte einsetzen. In Bezug auf die Krise in Venezuela beharrten die in Deutschland organisierten Kolumbianer auf einer eigenständigen politischen Lösung: "Wir bitten die deutsche Regierung, nicht länger eine Intervention zu fördern."
Mit einer viertägigen Lateinamerika-Reise startet Maas eine diplomatische Offensive, um die lange vernachlässigten Beziehungen zu dieser Region neu zu beleben. Neben Brasilien will der SPD-Politiker in den nächsten Tagen auch Kolumbien und Mexiko besuchen. Bei seinen Gesprächen will er eine groß angelegte Lateinamerika-Konferenz in Berlin vorbereiten, zu der am 28. Mai Außenminister aus bis zu 30 Ländern kommen sollen. Zu Beginn seiner Reise gab Maas mit einer Rede den Startschuss für das Frauennetzwerk bei einem Workshop im Goethe-Institut in Salvador da Bahia. Damit setze er "ein starkes Zeichen für Vielfalt und Toleranz und ein klares Statement gegen Rassismus und Sexismus, auch in der politischen Auseinandersetzung", hieß es auf der Seite des Auswärtigen Amtes.