Argentinien / Politik

Argentinien: Staatsanwalt im Prozess gegen Kirchner der Erpressung beschuldigt

Anklage wegen Erpressung könnte größten Korruptionsprozess gegen Mitglieder der Kirchner-Regierung zu Fall bringen

kirchner_korruption_argentinien_2019.jpg

Kirchner weist alle Vorwürfe zurück und wird - wie hier im letzten Jahr - von vielen Anhängern unterstützt
Kirchner weist alle Vorwürfe zurück und wird - wie hier im letzten Jahr - von vielen Anhängern unterstützt

Buenos Aires. Alejo Ramos Padilla, ein Bundesrichter in der argentinischen Provinz Buenos Aires, hat eine strafrechtliche Untersuchung gegen Staatsanwalt Carlos Stornelli und weitere Personen eröffnet. Stornelli ist Ankläger in einem umstrittenen Verfahren gegen zahlreiche Unternehmer und Mitglieder der früheren Regierung, darunter auch Ex-Präsidentin Cristina Kirchner. Sie wird von Stornelli und Untersuchungsrichter Claudio Bonadío als vermeintliches Haupt einer kriminellen Vereinigung angeklagt.

Wie vergangenen Donnerstag durch einen Artikel des Journalisten Horacio Verbitsky bekannt wurde, basiert die Untersuchung gegen Stornelli auf einer Anzeige des Agrarunternehmers Pedro Etchebest. Dieser sei von dem ihm flüchtig bekannten Anwalt Marcelo D’Alessio kontaktiert worden. D’Alessio teilte ihm mit, er sei im Zuge eines laufenden Prozesses von einem früheren Funktionär einer Agrarbehörde als vermeintlicher Eintreiber von Bestechungsgeldern beschuldigt worden. Obwohl Etchebest diese Beschuldigung als völlig haltlos bezeichnete, verlangte D’Alessio von ihm 300.000 US-Dollar Schutzgeld, um dafür zu sorgen, dass Staatsanwalt Stornelli ihn nicht anklagt und in Untersuchungshaft nimmt.

D'Alessio ist der argentinischen Öffentlichkeit nicht völlig unbekannt: Sein Onkel Carlos D’Alessio ist offizieller Regierungsnotar. In den Medien tritt Marcelo D’Alessio häufig als Experte für Drogenhandel und Terrorismus auf, er schreibt unter anderem für die regierungsnahe Tageszeitung Clarin und gibt sich gerne als Regionalvertreter der US-amerikanischen Antidrogenbehörde DEA aus. Dies wurde jedoch von der US-Botschaft nach Bekanntwerden dieses Skandals umgehend dementiert.

Um Etchebest zur Zahlung zu drängen, bemühte sich D’Alessio ihm zu beweisen, dass er mit dem Staatsanwalt gut befreundet sei und häufig mit diesem kooperiere. Dazu teilte er ihn vertrauliche Daten über den laufenden Prozess mit und übersendete ihm Screenshots von seiner Whatsapp-Kommunikation mit Stornelli. Er bewies ihm, dass er über Kenntnisse über die Reisen und Finanzen von Etchebest verfügte. Diese Informationen konnten nur von Behörden eingeholt werden. Zuletzt arrangierte D’Alessio ein Treffen an Stornellis Ferienort an der Atlantikküste und begleitete Etchebest dorthin. Während der Fahrt gab D’Alessio offenbar über seine früheren Aktivitäten mit Stornelli und Mitgliedern der Regierung Auskunft, auch mit der Sicherheitsministerin Patricia Bullrich.

Etchebest nahm jedoch die gesamte Konversation auf. So kam eine massive Beweislast zusammen: Insgesamt 22 Stunden Tonaufnahmen, zahlreiche Fotos und Videoaufnahmen. Daraus gehen auch zahlreiche Informationen über andere Verfahren hervor, an denen D’Alessio beteiligt war, in denen er Beweise "organisierte", Zeugen bereitstellte und sogar bezahlte. Dieses betraf unter anderem den Prozess gegen den früheren Infrastrukturminister Julio de Vido, gegen den wegen vermeintlicher Geldwäsche untersucht wird. Mehrere bekannte Anwälte wie Jose Manuel Ubeira wollen deshalb nun am Montag ihrerseits Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung ihrer Mandanten stellen und die Einstellung der Verfahren verlangen. Ubeira hat zwei Mandanten, die zurzeit von Stornelli und Bonadío in Untersuchungshaft gehalten werden und gegen die ermittelt wird.

Der Megaprozess gegen die ehemalige Regierung ist heftig umstritten. Es wurden zahlreiche Festnahmen getätigt, auch in Fällen, in denen nach argentinischem Recht keine Untersuchungshaft verhängt werden kann. Einige Angeklagte durften sofort gehen, andere dagegen wurden laut Menschenrechtsorganisationen willkürlich über Monate festgehalten.

Die Aufnahmen D’Alessios könnten eine Erklärung dazu bieten: Er erläuterte eine Art Pyramidenspiel: Wenn Etchebest andere Unternehmer belasten würde, könnte er ein Teil des Bestechungsgeldes aus den Zahlungen anderer Opfer zurückbekommen. Stornelli und Richter Bonadío hätten – laut Mitschnitt – mit dieser Methode bereits rund zwölf Millionen US-Dollar eingenommen.

Stornelli war bereits vor der Verwicklungen in den Fall um die ehemalige Regierung unter Kirchner eine umstrittene Person: Er ist der Sohn eines Oberleutnants, der während der Diktatur einen Radiosender kommissarisch leitete. Carlos Stornelli war Sicherheitschef der Fußballmannschaft Boca Juniors, als Mauricio Macri dessen Präsident war. Seine Neutralität wurde auf Grund dieser Vergangenheit immer wieder in Frage gestellt.