Venezuela

Wie ist die PSUV einzuschätzen?

Vom 23. Februar bis zum 16. März veranstaltet der Studierendenverband DIE LINKE.SDS eine Delegationsreise. Grund genug, sich mit der neuen Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) zu beschäf

Schon in der Wahlkampagne im Jahre 2006 hatte dr venezolansiche Präsident Hugo Chávez seinen Anhängern vorgeschlagen, eine neue politische Kraft zu schaffen, welche sich auf internationale Kämpfer der Revolutionsgeschichte wie Marx, Lenin, Gramsci, Ché Guevara und auf Freiheitskämpfer wie Simón Bolívar stützt. Die Gründung der PSUV soll dabei einhergehen mit der gesamtgesellschaftlichen Veränderung durch die "bolivarische Revolution", welche ebenso die Umstrukturierung der venezolanischen Streitkräfte sowie eines "auf die Basis ausgerichteten" Staatsapparates im Blick hat.

Gründe für die Gründung der PSUV

Die Politik war in Venezuela traditionell klientelistisch geprägt. Nach Meinung vieler bolivarianischer Basisaktivisten hat sich daran auch bei den Parteien, die Chávez unterstützen, nicht viel geändert. Dies führte dazu, dass bei der Aufstellung von notwendigen Wahlbündnissen die Kandidaten des Chávez-Lagers bei den Regionalwahlen 2004, den Wahlen zur Nationalversammlung und den Kommunalwahlen 2005 durch Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien aufgestellt wurden. Dies widersprach dem von Chavez geforderten basisdemokratischen Anspruch, was auch von vielen Anhängern Chavez´ kritisiert wurde. Mit der Gründung der PSUV sollen solche Kandidatenaufstellungen mehr und mehr der Vergangenheit angehören und einer basisdemokratischen Entscheidungsfindung weichen. Zudem stellt die bisherige Zersplitterung der Parteien des Regierungslagers eine der größten Schwachstellen dar, da etliche Machtkonflikte vor allem in den staatlichen Institutionen ausgetragen wurden und dadurch der Kern der Revolution bedroht war. Als weiterer Grund für die Vereinigung wird die bisherige weitestgehende Nichtbeachtung sozialer Basisbewegungen Lateinamerikas durch die Politik genannt, welche sich auf Grund ihrer Klientelpolitik nicht in der Pflicht sah, deren Forderungen auf die eigenen politische Grundsätze zu übertragen. Die PSUV soll als eine Massenpartei diese Klientelpolitik überwinden und als ständiger Ansprechpartner für die sozialen Bewegungen fungieren.

Beteiligung der Parteien

Es verwundert nicht, dass die von Hugo Chávez gegründete Bewegung Fünfte Republik (MVR) vollständig in der neuen Partei aufgehen und ihr gesamtes Eigentum der neuen Kraft übergeben wird. Wie der Organisationsverantwortliche der MVR, Willian Lara, mitteilte, werden nun Schritte unternommen, um den Namen und die Symbolik der MVR zu schützen, damit nach der Auflösung der Partei niemand anderes diese Symbole verwenden kann. Neben der MVR treten etliche Parteien des Regierungslagers Chavez´ wie die Sozialistische Liga (LS) und die Venezolanische Volkseinheit (Unidad Popular) der neuen Partei bei. Die Kommunistische Partei (PCV) hatte dagegen vor einigen Monaten einen außerordentlichen Kongress einberufen, um über die Frage zu entscheiden, ob sie sich der neuen Bewegung anschließen wolle. Dabei wurde zwar die Bildung der PSUV als revolutionärer Einheitspartei begrüßt, jedoch beschlossen, die KP nicht aufzulösen. Dennoch stellt die Kommunistische Partei Funktionäre für die Vorbereitungskommission der PSUV und beteiligt sich somit aktiv an deren Gründung. Die links-sozialdemokratischen Parteien PPT und PODEMOS, welche bisher ebenfalls dem Regierungslager Chavez´ angehörten, forderten weitere Diskussionen und unterstrichen, dass eine eventuelle Auflösung ihrer Organisationen Parteitagen vorbehalten bleibt. Eine Auflösung beider Parteien zugunsten der PSUV ist derzeit nicht zu erwarten, zumal gerade PODEMOS verstärkt Kritik an der Parteigründung geäußert hat und seit der Diskussion über eine Verfassungsreform Ende 2007 erst einmal nicht mehr mit der Regierung kooperiert. Von Seiten der MVR wird dabei betont, dass Parteien, die sich der neuen Einheitspartei nicht anschließen, nicht notwendigerweise in die Opposition gehen müßten.

Inhaltliche Ausrichtung der PSUV

Obwohl über die inhaltliche Ausrichtung der PSUV erst auf dem Gründungsparteitag von den Delegierten entschieden wird, hat Präsident Hugo Chávez bereits betont, dass die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas PSUV "nicht die Banner des Marxismus-Leninismus ergreifen wird, weil er ein Dogma ist, weil er schon vorbei ist". In seiner regelmäßigen Radio- und Fernsehsendung "Aló Presidente" meinte Chávez zudem: "Wer nicht damit einverstanden ist, hat alle Freiheit, wenn er nicht hier bleiben will, mag er zur Kommunistischen Partei gehen". Chávez ging auch auf die Rolle der Werktätigen bei der Umgestaltung der Gesellschaft und dem Aufbau des Sozialismus ein: "Und jenes mit der Arbeiterklasse als Motor der Geschichte ist vorbei, schon jetzt ist die Arbeit eine ganz andere Sache, ganz anders". Er fügte an, dass der Präsident Kubas, Fidel Castro, eine ganz andere Meinung über die Rolle der Arbeiterklasse bei der Umgestaltung der Gesellschaft habe. Dabei führte Chavez nicht aus, welches die Klasse sei, die die Rolle übernimmt, welche der Marxismus der Arbeiterklasse bei der Zerschlagung des Kapitalismus und dem Aufbau des Sozialismus zuweist. Aber deutlich brachte er zum Ausdruck, dass er kein Marxist, sondern Sozialist sei.

Parteiaufbau

Indem eine kontinuierliche Debatte mit der Basis aufrechterhalten wird, soll die neue Partei durch ihren Aufbau von unten nach oben verhindern, dass sich eine kleine Elite herausbildet, die den gesamten Apparat kontrolliert. Von Seiten der Initiatoren der neuen Partei ist hierbei zu hören, dass die neue Partei nicht das Volk, sondern das Volk die Partei kontrollieren solle. Die neue Partei soll demnach eine Organisationsplattform für Bauern, Studenten, Arbeiter, Frauen oder Indigene sein. Die Anwärter auf eine Mitgliedschaft organisieren sich bereits in 20.000 sogenannten "sozialistischen Bataillonen", von denen jedes aus bis zu 300 Aktivisten besteht. In jeder Region beschäftigt sich eine Kommission mit den gesamten Projektarbeiten, welche bei der Gründung der PSUV anfallen, indem sie die Bataillone technisch berät und unterstützt.

Bisheriger Verlauf

Der bereits mehrfach verschobene Gründungsparteitag der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) soll nun im Januar stattfinden. Als Grund für die erst jetzt stattfindende Gründung wurde die Durchführung des Referendums über die Verfassungsreform genannt, welche allerhand Ressourcen des Regierungslagers Chávez` gebunden hätte. Die über 1400 Delegierten des Gründungsparteitages, welcher vier Wochen dauern soll, sind bereits von den "sozialistischen Bataillonen" gewählt. Die zwei Hauptaufgaben der Delegierten auf dem Gründungsparteitag werden erstens die Erarbeitung von Thesen und politischen Prinzipien der neuen Partei und zweitens die Verabschiedung der Statuten sein. Die hierfür zum Parteitag vorliegenden Dokumente mussten in mindestens drei Mitgliederversammlungen diskutiert werden, um eine möglichst große Beteiligung der Basis zu gewährleisten. Bisher haben sich über 5 Millionen Venezolaner in die Beitrittslisten für die neue Partei PSUV eingetragen, wovon sich schätzungsweise 2 Millionen an Versammlungen der "sozialistischen Bataillone" beteiligt haben. Die Zahl der Beitrittskandidaten liegt in der Grössenordnung der Bevölkerung eines Landes wie der Schweiz, womit sich die PSUV, von allen Parteien auf der Welt, die sich sozialistisch nennen, größenmäßig auf Platz zwei hinter der Kommunistischen Partei Chinas befindet.

Nahe Zukunft der PSUV

Nach der Gründung der neuen Partei soll ein Kandidat der PSUV dem derzeitigen Amtsinhaber und Oppositionsführer Manuel Rosales den brisanten Gouverneursposten im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Zulia streitig machen. Nicht nur wegen seiner reichen Ölvorkommen und der Lage an der Grenze zu Kolumbien kommt dem Bundesstaat besondere Bedeutung zu. Als einer der letzten oppositionell regierten Landesteile gab es dort auch immer wieder Sezessionsbestrebungen, die durch die Wahl eines PSUV-Vertreters der Vergangenheit angehören könnten.

Ausblick

Die Gründung der PSUV birgt ebenso Chancen wie Gefahren für die Fortführung der bolivarianischen Revolution im Sinne der Menschen in Venezuela. Einerseits sind die positiven Effekte einer Vereinigten Partei, welche die Klientelpolitik überwindet und dabei revolutionäre Potentiale zusammenführt und damit auch zum Meinungsaustausch bringt, absehbar. Jedoch bedeutet eine Partei in dieser Stärke, mit ihrer Masse an Mitgliedern, ihrem Einfluss in alle staatlichen Institutionen und dem damit verbundenen Zugriff auf technische und humane Ressourcen, eine absolute Dominanz einer einzigen Organisation gegenüber allen anderen Organisationen eines Landes. Die Ansätze eines Einheitsprojektes durch die gleichzeitig stattfindende Neuorganisation der Parteienlandschaft, der Gewerkschaften und des Staates bieten dabei nicht nur Hoffnungen, sondern rufen auch böse Erinnerungen wach. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Partei mit diesen Möglichkeiten zu einer Staatspartei mutiert, welche ihren permanenten Machtanspruch institutionalisiert. Verwirklicht sich der geäußerte Anspruch auf basisdemokratische Mitbestimmung innerhalb der Parteistrukturen, so scheint es durchaus möglich, die genannten Gefahren einzudämmen und die Partei als breite von unten getragene Massenbewegung zu etablieren. Dazu ist jedoch auch eine Entwicklung der Partei von unten nötig, während sich außerhalb befindene Beobachter derzeit häufig den Eindruck haben, dass es sich hierbei um ein von oben und dabei insbesondere maßgeblich von Präsident Chávez initiiertes Projekt handelt. Inwieweit sich der Vorwurf bewahrheitet, wonach Chávez mit der Gründung der PSUV lediglich seine Einflussphäre ausdehnt, wird sich erst noch zeigen. Solange jedoch nicht ersichtlich ist, ob sich die groß angekündigte "Basisdemokratie" auch tatsächlich verwirklicht, gilt es den bolivarianischen Revolutionsprozess kritisch und solidarisch zu beobachten und dabei die Entwicklung Venezuelas auch mit der Vergangenheit anderer Revolutionsprozesse zu vergleichen. Dieses Ziel verfolgt DIE LINKE.SDS bei der Delegationsreise nach Venezuela.

Erik Richter
Bundesvorstand DIE LINKE.SDS und Delegierter der Delegationsreise nach Venezuela