Mexiko: Die Autobahn San Cristóbal – Palenque in Chiapas stößt auf Widerstand

Basisbewegung kritisiert Vorhaben scharf und befürchtet Vertreibung der indigenen Bevölkerung von ihren Ländereien

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Bei ihrer Pressekonferenz am 31. März begründete und bekräftigte Modevite den Widerstand gegen die Autobahn
Bei ihrer Pressekonferenz am 31. März begründete und bekräftigte Modevite den Widerstand gegen die Autobahn

Ein neues, altes Megaprojekt

Im April 2024 kündigte die neu gewählte Regierung des Bundesstaates Chiapas unter Gouverneur Eduardo Ramírez Aguilar (Morena) mit Unterstützung der mexikanischen Bundesregierung die Wiederaufnahme eines Autobahnprojekts unter dem Namen "La Autopista es Nuestra - Ruta de las Culturas Mayas" (Die Autobahn ist unsere - Route der Maya-Kulturen) an. Es soll laut der Regierung eine sichere und schnelle Verbindung zur Förderung des Handels und des Tourismus zwischen der Regenwaldregion im Norden und dem zentralen Hochland von Chiapas herstellen1.

Der Gouverneur Ramírez Aguilar gab an, die betroffene Bevölkerung an Mauteinnahmen, Tankstellen und weiteren Geschäften entlang der neuen Route beteiligen zu wollen. Im Unterschied zu vorherigen Versuchen solle das Megaprojekt nun staatlich finanziert werden2.

Verschiedene Vorgängerregierungen des Bundesstaates (PRD, Partido Verde, Morena) versuchten den Autobahnbau bereits seit 2009 durchzusetzen – ohne Erfolg. Das lag vor allem am hartnäckigen Widerstand der indigenen Gemeinschaften entlang des geplanten 153 Kilometer langen Streckenverlaufs durch zehn Landkreise, bevölkert u.a. von indigenen Tzeltales und Tzotziles.

Die Namensgebung des Megaprojekts spricht dieser Vorgeschichte Hohn und symbolisiert die historische Vereinnahmung der indigenen Gemeinschaften, deren verfassungsmäßige und internationale Rechte auf Selbstbestimmung und eine freie, vorherige und informierte Konsultation bei der Planung einmal mehr nicht beachtet wurden. Zudem existieren bis heute keine öffentlichen Informationen über die sozialen-, kulturellen- und Umweltauswirkungen sowie die Finanzierung des Projekts.

Auswirkungen und Risiken

Die indigene Basisbewegung Modevite (Movimiento en Defensa de la Vida y el Territorio - Bewegung zur Verteidigung des Lebens und des Territoriums) steht seit ihrer Gründung 2013 in Opposition zur geplanten Autobahn und anderen Megaprojekten in der Region. Sie vereint die Stimmen indigener Tzeltales, Tzotziles und Ch´oles aus 13 Landkreisen von Chiapas und steht linksgerichteten Teilen der katholischen Kirche nahe. In einem Kommuniqué vom 17. Februar kritisieren sie das Vorgehen der Regierung scharf3. Entgegen der Darstellung der Regierung betonen sie, dass die indigene Bevölkerung durch die Autobahn in keiner Weise profitieren würde.

Es ginge ihnen nicht um die pauschale Ablehnung jeglicher "Entwicklung", jedoch sei die Vertreibung von ihren Ländereien durch transnationale Unternehmen, den mexikanischen Staat und das organisierte Verbrechen zu befürchten, welche sie als wahre Nutznießer des Megaprojektes ausmachen. Neben den Gewinnen aus dem Tourismus gehe es dabei auch um die Plünderung der Holz- und Wasserressourcen in der Region.

Simulierte Konsultationen und zurückgehaltene Informationen

Im Februar dieses Jahres kündigte die Regierung von Chiapas eine sogenannte consulta pública (öffentliche Konsultation) über die Zustimmung oder Ablehnung des Megaprojekts entlang des ersten Bauabschnitts zwischen Palenque und Ocosingo an4. Ein paar Tage später zeigte sich der Gouverneur Ramírez Aguilar in Bachajón5 vor einer großen Menschenmenge, die angeblich einstimmig die Zustimmung zum Autobahnbau beschloss. Nach Aussagen eines Modevite-Mitglieds aus Chilón handelte es sich dabei jedoch um eine inszenierte Abstimmung, für die Menschen von außerhalb des Landkreises von lokalen Autoritäten nach Chilón gebracht wurden. Die vom Autobahnbau direkt betroffenen Einwohner:innen seien hingegen nicht beteiligt gewesen6.

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Am 23. März fand schließlich eine Konsultation in den Landkreisen Palenque, Salto de Agua, Chilón und Ocosingo statt. Im Nachgang verkündete die Regierung, eine deutliche Mehrheit der Anwohner:innen habe für den Autobahnbau gestimmt7. Insgesamt wirkte das Vorgehen der Regierung willkürlich und uneinheitlich. Die Ankündigung der Konsultationen erfolgte kurzfristig im Abstand von wenigen Tagen und ausschließlich über die sozialen Medien.

Modevite legt nun rechtliche Mittel gegen die aus ihrer Sicht verfassungswidrige Konsultation und gegen die verweigerte Respektierung des Rechts ihrer Gemeinschaften auf eine vorherige, freie und informierte Konsultation ein.

Hintergrund

Würde die Autobahn tatsächlich gebaut, verliefe sie direkt durch 1994 mit dem zapatistischen Aufstand zurückerobertes Land und viele ejidos8, die so stärker ins Visier von (transnationalen) Unternehmen, z.B. der Agrar- oder Tourismusindustrie, geraten könnten. Dies würde den Privatisierungsdruck auf das Rückgrat der zapatistischen Autonomie wohl deutlich erhöhen und mehr Landraub und Vertreibung für die betroffenen Gemeinden bedeuten. In der Region aktive Regierungsprogramme wie "Sembrando Vida" (Leben säen) wurden bereits im Kontext von ähnlichen Megaprojekten eingesetzt und stehen ebenfalls in der Kritik, die Privatisierung von Gemeindeland und Landkonflikte zu fördern.

Einen weiteren einflussreichen Akteur in der Region stellt das organisierte Verbrechen dar, das ebenfalls ein Interesse an einer schnellen Autobahnverbindung zwischen der nördlichen und der zentralen Autobahn in Chiapas haben dürfte. Beide Schnellstraßen verbinden die umkämpfte Grenzregion zu Guatemala mit dem Inland und stellen zugleich zwei strategisch wichtige Korridore für Migration, Menschenhandel und den Fluss illegaler Waren dar.

Hinzu kommen weitere Geschäftsinteressen, denn der Tourismus bietet den Kartellen Absatzmärkte, zudem sind sie auch im Kerngeschäft des Tourismus längst involviert. Nicht nur bei zukünftigen Auseinandersetzungen zwischen kriminellen Gruppierungen könnte die Autobahn für die betroffenen Gemeinden deshalb noch mehr Gewalt bedeuten.

Das Megaprojekt muss außerdem in Zusammenhang mit der Aufstandsbekämpfung in dem am stärksten militarisierten Bundesstaat Mexikos verstanden werden. Die Interessen des Staates sowie der legalen und illegalen Unternehmen überschneiden sich in ihrem Anliegen, die territoriale Kontrolle und Verfügung über selbstverwaltetes Gemeindeland und dessen Bevölkerung auszuweiten. Die Selbstorganisierung der indigenen Bevölkerung ist ihnen dabei ein Dorn im Auge und hat vom Staat daher auch keinen nennenswerten Schutz zu erwarten.

Es sind mehr und mehr die Kartelle und immer weniger die alten paramilitärischen Gruppen, die widerständige indigene Gemeinden und Organisationen angreifen oder kooptieren. Die stark erhöhte Präsenz von Polizei, Nationalgarde und Militär änderte daran bisher wenig. Weder wurde das organisierte Verbrechen durch sie entscheidend zurückgedrängt, noch konnte die historische Straflosigkeit in Chiapas zuletzt vermindert werden9.