Soziale Bewegungen in Brasilien fordern: Schluss mit Bolsonaro!

Die MST fordert zusammen mit anderen sozialen Organisationen, die ein breites Spektrum der Gesellschaft repräsentieren, den Rücktritt des Präsidenten

brasilien_kampagne_fora_bolsonaro.jpg

"Schluss mit Bolsonaro". Die Forderung nach Rücktritt des Präsidenten wird lauter
"Schluss mit Bolsonaro". Die Forderung nach Rücktritt des Präsidenten wird lauter

Brasilien leidet nicht nur unter der Corona-Pandemie, sondern auch unter einer schweren politischen Krise. Innerhalb eines Monats haben zwei Minister für öffentliche Gesundheit den Hut genommen. Seit drei Wochen leitet ein Armeegeneral provisorisch dieses Ressort.

"Präsident Jair Bolsonaro ist zu einer Bedrohung für das Volk geworden, denn er hat keinerlei Plan, um die Pandemie einzudämmen", sagt Miguel Stedile vom Führungsgremium der Landlosenbewegung (Movimento dos Sem Terra, MST). "Statt die Ausbreitung des Virus zu bremsen, hilft er mit seiner Politik der Ausbreitung." Am 9. Juni 2020 wurden landesweit rund 700.000 Fälle von Ansteckung registriert und 37.000 Tote gezählt. Brasilien hat 209 Millionen Einwohner und ist 200 mal größer als die Schweiz.

Verantwortungslose Regierung

Die MST fordert zusammen mit anderen sozialen Organisationen, die ein breites Spektrum der brasilianischen Gesellschaft repräsentieren, den Rücktritt des Präsidenten. Die Parole "Schluss mit Bolsonaro!" vereint immer weitere Bevölkerungskreise bis hin zu bürgerlichen Sektoren, die sich an der sorglosen Politik der Regierung stoßen. Auch wenn nicht alle dasselbe taktische Rezept zum Machtwechsel verfolgen, ist es offensichtlich, dass der Staatschef unter dem Druck einer klaren Mehrheit der Bevölkerung seit Monaten immer mehr wankt.

"Es fehlt am nötigen Material, um das Ausmaß der Ansteckungen zu erfassen", bemerkt der MST-Vertreter. "Die Anzahl der infizierten Personen könnte das Zehnfache der offiziell Festgestellten erreichen. Seit Anfang Juni lässt die Regierung nur noch über die tagsüber registrierten Fälle informieren, unterschlägt aber die Gesamtbilanz der Pandemie."

Nach Ansicht der MST-Führung ist die humanitäre Tragödie das Ergebnis einer leichtsinnigen Politik. Bolsonaro versuche, die Wichtigkeit der Pandemie herunterzuspielen und stattdessen nur noch die Wiederankurbelung der Wirtschaft zu forcieren. Zudem binde er den Gouverneuren der Bundesstaaten, die eine weitere Ausbreitung des Virus verhindern wollen, die Hände, indem er ihnen die nötige finanzielle Unterstützung verweigere.

"In meinem Heimatort Veranópolis im Bundesstaat Rio Grande do Sul stehen zum Beispiel für rund 25.000 Einwohner nur zwei Geräte für künstliche Beatmung zur Verfügung. Das nächste größere Krankenhaus ist 30 Kilometer weit entfernt", sagt Stedile.

Notstandspläne

Die Losung "Schluss mit Bolsonaro!" betrifft nach den Ausführungen des Vertreters der Landlosenbewegung die erste Phase des nationalen Notstands. Nach der Entmachtung des Staatspräsidenten sollen die meistgefährdeten Bezirke des Landes isoliert werden, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen. Danach müsse man die Produktion von gesunden Nahrungsmitteln fördern und vor allem an die notleidende Bevölkerung in den Städten verteilen.

Zum "Tag der Umwelt" am 5. Juni hatte die MST einen "Dringlichkeitsplan für eine Landreform" (Plano de Emergência para uma Reforma Agraria Popular) angekündigt, ohne den eine Überwindung der schweren Krise nicht möglich wäre. Im Vordergrund müssten dabei die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Produktion von gesunden Lebensmitteln stehen. An die fünf Millionen Menschen haben nach ihrer Einschätzung seit Ausbruch der Pandemie in Brasilien ihren Job verloren. In den kommenden Monaten könnte die Arbeitslosenzahl 20 Millionen erreichen und damit etwa ein Fünftel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter erfassen.

Die Behauptung aus Regierungskreisen, dass die finanziellen Möglichkeiten für ein solches Projekt viel zu begrenzt seien, widerlegt Stedile, Sohn des Mitbegründers der MST, João Pedro Stedile, und Dozent des "Instituto de Estudos Contemporâneos" in Porto Alegre, mit Zahlen. Es gebe 729 Firmen, die sechs Millionen Hektar Land besäßen und dem Staat 40 Milliarden US-Dollar schuldeten. Der nationale Notstand würde es ermöglichen, diese Schulden mit der Liquidierung von Landbesitz zu begleichen und diesen sofort an Besitzlose zu verteilen.

Damit würden die Agrarreformpläne, die im Übrigen schon 2014 vorgelegt worden seien, ohne weitere Verzögerung durchführbar. Sie seien umso dringlicher, als sich für Brasiliens Wirtschaft im laufenden Jahr laut diversen Schätzungen ein Absturz des Bruttoinlandprodukts um fünf bis sieben Prozent ankündige.