Santiago. Der chilenische Präsident Gabriel Boric will eine Reform erwirken, durch die die Rechte der indigenen Völker in der Verfassung festgeschrieben werden. Das teilte der Präsident am Donnerstag im Vorfeld des Nationalen Tages der indigenen Völker in einer auf X veröffentlichten Videobotschaft mit. Chile ist eines der wenigen Länder Lateinamerikas, in denen der Status der ursprünglichen Bevölkerung nicht in der Verfassung geregelt wird. Vielmehr werden die Rechte der elf Völker durch das sogenannte Indigen-Gesetz festgelegt.
"Mit der Vorlage des Verfassungsreformgesetzes zur Anerkennung der indigenen Völker im Nationalkongress erkennen wir auch die individuellen und kollektiven Rechte an, die für ihre Existenz, ihr Wohlergehen und ihre Entwicklung unverzichtbar sind", so der Präsident. Er versicherte, dass die Initiative "die Rechte der indigenen Völker erweitert und besser schützt".
Der Gesetzesentwurf sieht auch einen Grundsatz der Interkulturalität vor, der den Reichtum und die kulturelle Vielfalt Chiles anerkennt und wertschätzt. Grundlage sei ein ständiger Dialog und gegenseitiger Respekt zwischen den Völkern.
Die Verfassungsänderung ist das erste Ergebnis der Kommission für Frieden und Verständigung, die ihren Bericht Anfang Mai vorgelegt hatte. Die von Boric 2023 eingesetzte Arbeitsgruppe bestand aus Politikern der Regierung und der Opposition, Vertretern der indigenen Völker sowie Persönlichkeiten aus der Wirtschaft. Ziel war es, Lösungsmöglichkeiten für den seit Jahrzehnten andauernden Konflikt im Süden des Landes zu erörtern. Hintergrund sind Ansprüche der Mapuche auf Land, das sie jahrhundertelang bewohnten, bevor es Ende des 19. Jahrhunderts durch den chilenischen Staat gewaltsam besetzt wurde und heute größtenteils Forstunternehmen gehört.
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Immer wieder kommt es in diesem Zusammenhang zu Brandanschlägen auf Maschinen und Land in den südlichen Regionen. Der Konflikt hat zahlreiche Mapuche-Gemeindemitglieder das Leben gekostet, die von staatlichen Akteuren angegriffen wurden, auch Polizeibeamte wurden getötet. Ende Mai kündigte Boric daher die Schaffung eines neuen indigenen Landsystems an. Die Einzelheiten hierzu sollen in der zweiten Jahreshälfte geregelt werden.
Der Vorsitzende der Mapuche-Berufsvereinigung Hugo Alcaman begrüßte die mögliche Verfassungsänderung. Es sei "sehr notwendig", dass der Präsident diese Maßnahme vorantreibt. "Wir sind ein lebendiges Volk: Wir existieren und sind da, und es ist inakzeptabel, dass wir in der Grundrechtscharta nicht anerkannt werden", so Alcaman. "Heute sind wir auf den guten Willen der Behörden angewiesen, um Bildung, Gesundheit und Wirtschaft entsprechend unserer Weltanschauung anzuerkennen."
Die Völker der Mapuche, Aymara, Diaguita, Atacameño / Lickanantay, Quechua, Rapanui, Colla, Kawésqar, Chango, Vagán und Selk'nam machen zusammen fast 13 Prozent der chilenischen Bevölkerung. Nachdem die Bevölkerung den Entwurf einer neuen Verfassung abgelehnt hatte, blieb es bei der Magna Charta von Diktator Pinochet. Ob sie dieses Mal erfolgreich sein werden, bleibt angesichts der fehlenden Mehrheit von Präsident Boric im Parlament abzuwarten.