Santiago. Drei ehemalige kommandierende Generäle der Carabineros (chilenische Polizei) sind angeklagt, nichts unternommen zu haben, um die schweren Menschenrechtsverletzungen während der sozialen Proteste im Oktober 2019 zu verhindern. Die Angeklagten bestreiten jede Schuld, während Opfer und Angehörige der Polizeigewalt protestieren.
Bei den Angeklagten handelt es sich um den bisherigen Oberbefehlshaber der Carabineros Ricardo Yañez, seinen Amtsvorgänger Mario Rozas und den ehemalige stellvertretenden Chef Diego Olate. Die Anklagen lauten auf Unterlassungen, die schwere Körperverletzungen und Tötungen zur Folge hatten. Die Generäle hätten die Pflicht und die Möglichkeit gehabt, diese schweren Vergehen zu erkennen und zu verhindern, so die Anklage.
Die Staatsanwaltschaft wirft der Polizei systematische Verletzung der internen Handlungsanweisungen zur Kontrolle der öffentlichen Ordnung vor. Des Weiteren seien die Betriebsanleitungen für nicht letale Waffen, Schrotmunition, Gummigeschosse und Tränengasgranaten missachtet worden. In vielen Fällen sei ihr Einsatz ungerechtfertigt gewesen oder es wurden die Mindestabstände zu Demonstranten erheblich unterschritten. Da nicht entsprechend gehandelt wurde, sei massenhafter Amtsmissbrauch mit schwerwiegenden Folgen begünstigt worden.
So wartete im November 2019 die Arbeiterin Fabiola Campillai auf den Bus, um ihre Schicht in einer Lebensmittelfabrik anzutreten. Ohne jeden Grund feuerte ein Bereitschaftspolizist eine Tränengasgranate ab, die Fabiola Campillai im Gesicht traf. Campillai verlor ihr Sehvermögen und den Geschmackssinn, zudem wurde ihr Gesicht wegen der vielen Frakturen entstellt.
Zwei Jahre später wurde sie als unabhängige Kandidatin in den Senat gewählt. Am Tag der Prozesseröffnung trafen sich Campillai und ihre Angehörigen mit anderen Opfern vor dem Justizgebäude. Vor der Presse sagte sie: "Hier sind die Kriminellen, die die Befehle zu Menschenrechtsverletzungen gaben oder sie nicht verhindert haben. Wir erwarten, dass die Gerichte ermitteln und verurteilen, weil nur so die Menschenrechtsverletzungen gesühnt werden können."
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Ihr Fall ist die Nummer 188 von 229, die von der Staatsanwaltschaft als Beweise für die Anklagen anführt werden. Jeder Fall ist mit Tag, Uhrzeit, Beteiligten, Zeugen und Begleitumständen bis ins Kleinste dokumentiert. Die 229 Fälle sind nur ein Bruchteil von insgesamt 3.777, die das Institut für Menschenrechte offiziell registriert hat.
Die Verteidigung hat angekündigt, jeden einzelnen Fall zu untersuchen, um sie als Beweismittel zu akzeptieren oder abzulehnen. Präsident Gabriel Boric hat General Yañez bis zu seinem Rücktritt gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bescheinigt. Politiker aus dem rechten Lager loben die Arbeit der Generalität und der Polizei im Allgemeinen. In einem Brief an General Yañez schreiben Abgeordnete der Unabhängigen Demokratischen Union: "Die Polizei hat eine wichtige Rolle zum Schutz von Staat und Demokratie gespielt."
Aus dem Regierungslager wird lediglich positiv hervorgehoben, dass der General vor Prozessbeginn seinen Rücktritt eingereicht hat, um das Image der Polizei zu schützen. Nach der Verfassung ernennt der Präsident zwar die Oberbefehlshaber, er kann sie aber nicht abberufen. Vor Ablauf der Amtszeit, im Fall von General Yañez wäre das im November dieses Jahres gewesen, können sie nur persönlich ihren Rücktritt einreichen.
Nach zwei Verhandlungstagen hat sich das Gericht auf den 14. Oktober vertagt. Dann kommt die Verteidigung zu Wort und von ihrer Erklärung wird eine Entscheidung über den weiteren Verlauf des Verfahrens abhängen. Üblicherweise wird bis zur Hauptverhandlung Untersuchungshaft oder Hausarrest verhängt.