Santiago de Chile/Temuco. In Chile haben sich zehn weitere Gefangene aus der militanten Organisation Coordinadora Arauco Malleco (Cam) einem Hungerstreik angeschlossen. Am 4. November hatten fünf Cam-Mitglieder die Protestaktion begonnen. Die Politik reagiert abweisend gegenüber ihren Forderungen.
Die Gefangenen, die sich in Untersuchungshaft befinden, kündigten am 11. Dezember zudem an, nur noch Wasser zu sich zu nehmen. Sie sind in der Stadt Temuco, Hauptstadt der Region La Araucanía, inhaftiert.
Gegenüber amerika21 berichtete Pamela Pezoa, die Mutter von zwei Gefangenen, dass sich der Protest vor allem gegen die Art und Weise richtet, wie bisher gegen die Mitglieder der Organisation vor der Justiz verhandelt wurde. Anfang November hatte ein Gericht die fünf ersten Hungerstreikenden in erster Instanz für einen Anschlag auf einen Forstbetrieb für schuldig gesprochen. Pezoa meinte, "die Beweislast war äußerst gering. Die Staatsanwaltschaft konnte einzig beweisen, dass sich die vier Angeklagten in etwa 15 Kilometer Entfernung zum Tatort befanden". Außerdem sei die Haftstrafe äußerst hart ausgefallen: Mehr als 15 Jahre wegen Brandstiftung und versuchter Tötung, weil Forstarbeiter bedroht wurden. "Hier handelt es sich um eine politische Verurteilung, weil es sich um Mitglieder der Cam handelt", sagte Pezoa. Gegen das Urteil wurde Einspruch eingelegt, bis dahin bleiben die Angeklagten in Untersuchungshaft.
Am 11. Dezember schloss sich auch der Sprecher der Cam, Hector Llaitúl, dem Hungerstreik an. Llaitúl wurde im August 2022 festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Bereits Ende November berichtete Radio Kurruf, dass das Verfahren gegen Llaitúl verfahrenstechnischen Standards widerspreche, mit dem Ziel, die Untersuchungshaft länger hinauszuziehen.
Der Präsidialvertreter der Provinz La Araucanía, José Montalva, meinte gegenüber Radio BioBio, "[der Hungerstreik] ist keine gute Form des Protests und ich empfehle ihn nicht". Sofern die Angeklagten mit dem Urteil unzufrieden seien, sollten sie an die nächsthöchste Instanz gehen. Ein Schritt, den die Betroffenen aber bereits unternommen haben. Bezüglich der Verurteilung der fünf Mitglieder der Cam sagte Rodrigo Díaz Wörner, Regionalgouverneur der angrenzenden Region Bíobío: "Wir müssen viel für die Mapuche unternehmen, aber Brandstiftung oder das Töten von Personen ist niemals gerechtfertigt".
Die Cam ist eine militante Mapuche-Organisation, die mit Anschlägen auf Forstbetriebe und Ländereien von Siedlern für die Rückgabe der indigenen Ländereien kämpft. Sie verlangt politische Autonomie der Mapuche und lehnt es ab, sich innerhalb der Institutionen des chilenischen Staates für die eigenen Rechte einzusetzen. So zeigte sich die Cam ablehnend gegenüber dem ersten verfassungsgebendem Prozess, der Chile in einen plurinationalen Staat verwandelt hätte.
Mit kurzer Ausnahme hat die Regierung unter Gabriel Boric mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes und der Entsendung vom Militär auf Aktionen, wie die der Cam und weiteren militanten Organisationen, reagiert.
Rafael Pichún, ein weiterer Sprecher der Cam, erklärte gegenüber amerika 21: "Diese Regierung ist eine der schlimmsten in Bezug auf die Repression gegen die Mapuche". Dutzende Mitglieder der Cam befinden sich derzeit in den Gefängnissen, regelmäßig gehen sie in den Hungerstreik, um gegen ihre Haftbedingungen und politisch motivierte Haftstrafen zu protestieren.
Derzeit tagt außerdem eine von der Regierung ins Leben gerufene Kommission für Frieden und gegenseitiges Verständnis. Diese besteht aus Vertreter:innen von Siedler:innen, der Regierung und der Mapuche. Die Cam lehne solche Kommissionen ab, äußerte Pichún. "Wir haben klare Forderungen: Rückgabe der Ländereien und territoriale Autonomie". Es sei Sache des Staates, diese historische Schuld rückgängig zu machen. Kommissionen dieser Art hätten einzig das Ziel, die Mapuche weiter in den chilenischen Staat zu integrieren.
Pichún und Pezoa sprechen gegenüber amerika21 von einer politischen Verfolgung gegen ihre Organisation. Die lange Untersuchungshaft käme vorgezogenen Haftstrafen ohne gültiges Urteil gleich. Dies mit dem Ziel, die Organisation und ihren Kampf zu schwächen.
Der Streitpunkt des Konfliktes sind die Ländereien der Mapuche. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts eroberte der chilenische Staat deren Gebiete und vergab einen Großteil der Ländereien an Siedler:innen. In den folgenden Jahrzehnten kam es häufig zur weiteren Aneignungen übrig gebliebener Ländereien. Die Militärdiktatur von 1973 bis 1990 förderte zudem die Ansiedlung von Forstunternehmen, deren Landwirtschaft aufgrund des großen Wasserbedarfs der Eukalyptusbäume zu Trockenheit führt.