Santiago. Chiles Präsident Gabriel Boric hat den Austausch der fünf Kabinettsposten für Kultur, soziale Entwicklung, Öffentliche Güter, Bildung und Bergbau bekannt gegeben. Dies aufgrund zunehmender Kritik an den ehemaligen Minister:innen und um den abgebrochenen Dialog mit der Opposition über verschiedene Reformprojekte der Regierung im Parlament wieder aufzunehmen.
Der Präsident erklärte in seiner Rede: "Chile wird uns nicht vergeben, wenn wir es nicht schaffen, dort Lösungen voranzutreiben, wo schon seit Jahren klar ist worin das Problem besteht. Niemand – weder die Regierung noch die Opposition – gewinnt, wenn wir keine Einigung etwa im Bereich des Dramas der unwürdigen Renten finden."
Zuvor hatte die Opposition jeglichen Dialog mit der Regierung im Parlament abgebrochen und damit seit mehreren Monaten diskutierte Reformen im Bereich der Gesundheit und Renten auf Eis gelegt.
Als Grund nannte der Senator und Präsident der rechten Partei Unión Democrática Independiente (UDI), Javier Macaya, das Verbleiben von Giorgio Jackson an der Spitze des Ministeriums für soziale Entwicklung. "Es wird keinen Dialog geben, solange der Minister auf seinem Posten bleibt", sagte er gegenüber den Medien. Mittlerweile hat Javiera Toro von der Partei Comunes das Ministerium übernommen.
Jackson, der ehemalige Studierendenführer und Mitbegründer der Partei Revolución Democrática (RD), geriet ins Zentrum der Kritik, als innerhalb seiner Partei bekannt wurde, dass die Stiftung von Daniel Andrade, eines Parteimitglieds und Partner der Parlamentarierin Catalina Peréz (RD), umgerechnet über eine halbe Million Euro an Direktfinanzierung durch die regionale Vertretung des Ministeriums für Urbanismus in der nördlichen Region von Arica und Parinacota erhalten hatte. Die Stiftung konnte weder die Ausgaben korrekt rechtfertigen noch hatte sie vorherige Erfahrung in dem ihr aufgetragenem Arbeitsbereich. Jackson wurde als Führungsperson innerhalb der Partei für die Vorgänge verantwortlich gemacht.
Der Skandal weitete sich schnell auf andere Parteien, Ministerien und Gemeinden aus. Es stellte sich heraus, dass die Vergabe von Geldern an Stiftungen, die von Mitgliedern regierender Parteien geleitet wurden, eine allgemeine Praxis war. Möglich ist das auf Basis der chilenischen Verfassung, die die Rolle des Staates als rein subsidiär definiert und ihn somit dazu auffordert, öffentliche Aufgaben an private Stiftungen und Unternehmen zu vergeben. Dies sollte mit der Verfassungsreform geändert und um gesellschaftlich relevante sozioökonomische Aufgaben erweitert werden.
Der Rechnungshof, die "Contraloria", stoppte daraufhin vorübergehend alle Auszahlungen an Stiftungen, bis diese auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft seien.
Der Politikwissenschaftler Rodrigo Espinoza bezeichnete in einem Meinungsbeitrag in der Onlinezeitung El Mostrador den Missbrauch dieser Praxis als "ernstzunehmenden Vertrauensbruch" für die Gesellschaft und den Staat. Hier sei ein Mechanismus, der eigentlich geschaffen wurde, um den Wettbewerb und das Fachwissen in staatlichen Aufgaben zu stärken, zu einem gut bezahlten Arbeitsmarkt für Parteifreunde umgewandelt worden.
Allerdings gibt es schon seit Jahren Kritik an der bestehenden Praxis, da Stiftungen häufig einen unzureichenden Service anboten und damit staatliche Aufgaben vernachlässigten. Gerade im "Dienst für Minderjährige" (Sename), der via Stiftungen diverse Kinderheime betreibt, kam es immer wieder zu Skandalen über ungeklärte Todesfälle, eine hohe Suizidrate und Missbrauch.
Das öffentliche Interesse wandte sich erneut dem Minister Jackson zu, als aus seinem Ministerium am 19. Juli 23 Computer und ein Tresor mit Dokumenten gestohlen wurden. Aus einem Gefängnis heraus hatte ein Häftling den Nachtwächter angerufen, ihm gesagt, er sei der Minister, und ihn gebeten die Computer auszuhändigen.
Die Regierung verurteilte damals den Diebstahl und gab an, es seien keinerlei Dokumente verloren gegangen, die in Zusammenhang mit dem Stiftungsskandal standen. Die Opposition sah allerdings im Diebstahl einen Versuch, Beweise zu unterschlagen und forderte den Rücktritt des Ministers.
Nach dem Kabinettswechsel traf sich die Regierung am 17. August mit der Opposition zu ersten Gesprächen, die allerdings größtenteils ergebnislos ausfielen. Es wurde einzig verkündet, man habe sich auf weitere Sitzungen geeinigt.
Seit Monaten sind Opposition und Regierung im Konflikt, wobei erstere immer wieder neue Gründe nennt, weshalb ihr die Regierungspolitik missfalle. Dabei scheint sie die Regierung vor sich her zu treiben und verhindert, dass diese ihre eigene Agenda umsetzen kann.