Den Haag/Caracas. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat die Einwände Venezuelas in einem von Guyana angestrengten Verfahren über die Souveränität über den Esequibo-Streifen zurückgewiesen.
Die beiden benachbarten südamerikanischen Länder haben einen ungelösten Grenzstreit, der bis in die Kolonialzeit zurückreicht. Im Jahr 2018 beantragte Guyana beim IGH, die Gültigkeit einer 1899 von einem Pariser Gericht gezogenen Grenze zu bestätigen.
Nun gab die Vorsitzende Richterin Joan Donoghue, bekannt, dass das Gericht mit einer Mehrheit von 14 zu 1 Stimmen beschlossen hat, den Einwand Venezuelas zurückzuweisen, dass das Vereinigte Königreich als Machthaber im ehemaligen Britisch-Guayana im Jahr 1899 ebenfalls an dem Fall beteiligt werden sollte.
Venezuela muss nun sein "Counter-Memorial" vorlegen, um seinen Standpunkt zu untermauern. Ein Termin für die Anhörung ist noch nicht bekannt.
Das Gericht hatte bereits zuvor gegen Caracas entschieden und festgestellt, dass es für die Anhörung von Argumenten in dem Streitfall zuständig ist. Die Regierung von Nicolás Maduro hat die Befugnis des IGH, in dieser Angelegenheit zu entscheiden, stets zurückgewiesen.
Venezuela lehnt die Grenzen von 1899 als "betrügerisch" ab, da das fünfköpfige Gericht die Beteiligung venezolanischer Verhandlungsführer verweigerte. Caracas argumentiert, dass der 160.000 Quadratkilometer große Streifen in der Kolonialzeit zu Spanien gehörte und Anfang des 19. Jahrhunderts von der unabhängigen Republik Venezuela geerbt wurde. Im Gegensatz dazu behauptet Guyana, dass Großbritannien das Gebiet nach einem Vertrag mit den Niederlanden im Jahr 1814 kolonisiert habe.
Die Grenzen wurden jedoch nie festgelegt und Venezuela weist die Esequibo-Region in seinen Karten als "Beanspruchtes Gebiet" (Zona En Reclamación) aus. Die Regierung Maduro verweist auf das Genfer Abkommen von 1966, in dem sich die beiden Länder zu einer Verhandlungslösung verpflichtet haben und das zudem den Schiedsspruch von 1899 außer Kraft setzt und das einzig gültige Instrument zur Beilegung des Konflikts darstellt.
In einer Stellungnahme zum jüngsten Urteil erklärte die Regierung, das Land werde "alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen, um seine legitimen Rechte und seine territoriale Integrität zu verteidigen".
Die Hoheit Venezuelas über den Essequibo-Streifen ist seit historisch eine nahezu einhellige Position im gesamten politischen Spektrum. Das von den USA unterstützte Bündnis "Einheitliche Plattform", dem einige der größten Oppositionsparteien angehören, rief nach dem Urteil zur nationalen Einheit in dieser Frage auf. "Der strategische Wert des Esequibo sollte der Schlüssel für den Kampf um die Rechte unserer Nation sein", hieß es in einem Kommuniqué der Plattform. Während der Verhandlungen 2021 in Mexiko-Stadt betraf eine der gemeinsamen Vereinbarungen zwischen Regierung und Opposition den Souveränitätsanspruch auf den Esequibo-Streifen.
Der seit langem ungelöste Territorialstreit flammte in den letzten Jahren auf, nachdem Guyanas Regierung Offshore-Energieprojekte in den Hoheitsgewässern des Streifens vorantrieb. Washington stellte sich hinter das Urteil von 1899 und Exxon Mobil hat seit 2015 fünf große Ölfelder mit insgesamt mehr als 11 Milliarden Barrel entdeckt. Der Konzern plant in den kommenden Jahren über 60 Bohrungen, zusätzlich zu den 30, die derzeit in Betrieb sind.
Caracas hat seinem Nachbarn vorgeworfen, gegen das Abkommen von 1966 zu verstoßen und seine Haltung von Unternehmensinteressen abhängig zu machen.
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