Über 100.000 Verschwundene in Mexiko

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Zahlen der Fälle von Verschwindenlassen nach Regierungsperioden seit 2006
Zahlen der Fälle von Verschwindenlassen nach Regierungsperioden seit 2006

Mexiko-Stadt. In Mexiko sind 100.012 Personen als verschwunden gemeldet. Dies hat das Nationale Register vermisster oder nicht gefundenen Personen (RNPDNO) bekanntgegeben. Laut der Behörde beziehen die Zahlen sich auf den Zeitraum von März 1964 bis Mai 2022. 75 Prozent aller Verschwundenen sind Männer, 25 Prozent Frauen.

Nach Angaben des RNPDNO wurden mit dem Beginn des "Krieges gegen die Drogen" unter der Regierung von Felipe Calderón in der Zeit von Dezember 2006 bis November 2012 16.897 Fälle von Verschwindenlassen registriert.

Die starke Militarisierung des Landes, die mit der Amtszeit von Calderon begann und von seinem Nachfolger Enrique Peña Nieto fortgesetzt wurde, trug zu einer immensen Steigerung der Gewalt bei, mit den Folgen von 35.092 Verschwundenen zwischen Dezember 2012 und November 2018.

In den ersten vier Jahren der aktuellen Regierung von Andrés Manuel López Obrador wurden von Dezember 2018 bis Mai 2022 31.271 verschwundene Personen gemeldet.

Für das mexikanische Netzwerk von Menschenrechtsorganisationen "Alle Rechte für Alle" (Red Nacional de Organismos Civiles de Derechos Humanos "Todos los Derechos para Todas y Todos", Red TDT) repräsentieren diese Zahlen nur die Oberfläche einer schweren Menschenrechtskrise in Mexiko. "Gewalt und Fälle von Verschwindenlassen steigen Tag für Tag. Die aktuelle Regierung besteht darauf das zu leugnen, was tausende von Familien jeden Tag erleben", so Red TDT in seinem Kommuniqué.

Das Netzwerk prangert an, dass unter der heutigen Regierung hinsichtlich der nationalen Sicherheitspolitik keine Verbesserungen sichtbar sind: "Die Aufgaben der Armee bei der öffentlichen Sicherheit verursachten eine Steigerung der Gewalt sowie der Straflosigkeit und verhindern den Zugang zu Gerechtigkeit für die Bürger".

Auf Grund des Ausmaßes der langjährigen Krise der Menschenrechte reiste 2021 eine Delegation des UN-Ausschusses gegen das Verschwindenlassen nach Mexiko. Die vierköpfige Delegation besuchte vom 15. bis 26. November 2021 die 13 von 32 mexikanischen Bundesstaaten, die am meisten von dieser Gewalt betroffenen sind. Sie sprach mit Regierungsvertretern, mit Kollektiven und Organisationen von Angehörigen der Opfer. Außerdem war sie bei Exhumierungen von menschlichen Überresten präsent, welche in den meisten Fällen von den Familien selbst durchgeführt werden.

In ihrem Abschlussbericht, der am 12. April 2022 veröffentlicht wurde, macht die Delegation auf eine dramatische Steigerung von mehr als 98 Prozent der Fälle von Verschwindenlassen im Zeitraum zwischen 2006 und 2021 aufmerksam. "Diese Daten beweisen den engen Zusammenhang zwischen der Steigerung der Fälle von Verschwindenlassen und dem Krieg gegen die organisierte Kriminalität", heißt es darin.

Weiterhin stellte die Delegation fest, dass während der zweiten Hälften des letzten Jahrhunderts das Verschwindenlassen als "politisch repressiver Mechanismus" genutzt wurde. Seit 2006 sind Opfer nicht nur politisch aktive Personen.

Laut offizieller Information werden nur zwei bis sechs Prozent der Fälle von Verschwindenlassen aufgeklärt. Bis November 2021 ergingen im ganzen Land wegen diesem Verbrechen nur 36 Urteile.

Es sind in erster Linie die Angehörigen, die die Suchaktionen und Exhumierungen übernehmen. Sie berichten von 52.000 bis jetzt nicht identifizierten menschlichen Überresten.

Am 9. Mai haben Angehörige von Verschwundenen gegen die Untätigkeit des Staates protestiert, indem sie an einem stark befahrenen Kreisverkehr im Zentrum von Mexiko-Stadt ein Denkmal für die Opfer des Verschwindenlassens errichtet haben.