UN-Ausschuss: Mexiko muss dringend Maßnahmen gegen das Verschwindenlassen ergreifen

Beamte auf Bundes-, Landes-, Gemeindeebene und organisiertes Verbrechen für Verschwindenlassen verantwortlich. Straflosigkeit strukturelles Problem

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In Mexiko sind 95.121 Menschen offiziell als "verschwunden" registriert
In Mexiko sind 95.121 Menschen offiziell als "verschwunden" registriert

Genf/Mexiko-Stadt. Das Komitee der Vereinten Nationen gegen gewaltsames Verschwindenlassen (Committee on Enforced Disappearances) fordert von Mexikos Regierung sofortige Maßnahmen zur Verhinderung dieses Verbrechens und zur Beendigung der Straflosigkeit.

Das unabhängige Expertengremium hatte das Land im vergangenen November besucht, um die Situation des Verschwindenlassens zu dokumentieren. Die Vorsitzende des Komitees, Carmen Roda Villa Quintana, stellte nun den Bericht bei einer virtuellen Pressekonferenz in Genf vor und bezeichnete die staatliche Strategie zur Bekämpfung dieser Straftat als "unzureichend und unangemessen". Die Zahl der "Verschwundenen" betrage in Mexiko derzeit 95.121.

Als Verantwortliche für die Zunahme des Verschwindenlassens identifiziert der Ausschuss neben Beamten auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene vor allem das organisierte Verbrechen. Öffentliche Bedienstete seien durch Mittäterschaft, Duldung oder Unterlassung zu unterschiedlichen Graden beteiligt.

Ein bedeutendes Problem in diesem Zusammenhang sei die mangelnde Verfolgung und die damit einhergehende Straffreiheit dieser Verbrechen.

Die Untersuchungen des Ausschusses haben ergeben, dass Männer zwischen 15 und 40 Jahren am häufigsten verschwinden. Es wurde jedoch ein bemerkenswerter Anstieg des Verschwindens von Kindern ab zwölf Jahren, Jugendlichen und Frauen beobachtet. Oftmals sei die Verschleierung von sexueller Gewalt, Femizid, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung der Grund für das Verschwinden lassen, sagte Villa Quintana.

Der Bericht stellte weiter fest, dass die Straflosigkeit ein strukturelles Problem darstellt. Das gewaltsame Verschwindenlassen werde hierdurch begünstigt und nehme ständig weiter zu. Bis zum 26. November letzten Jahres wurden nur zwei bis sechs Prozent der Fälle strafrechtlich verfolgt, landesweit kam es nur zu 36 Verurteilungen.

Besonders die damit einhergehende Viktimisierung von Frauen hält das Komitee für "sehr besorgniserregend". In der Regel sind sie es, die beim Verschwinden von Personen die Verantwortung für die Familien tragen und die Suche nach ihren Angehörigen selbst in die Hand nehmen müssen. "Neben den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sind sie darüber hinaus auch Opfer von Gewalt, Verfolgung, Stigmatisierung, Erpressung und Repressalien", heißt es weiter.

Die passive Haltung der Behörden und die fehlende Verfolgung der Straftaten senke das Vertrauen der Opfer und ihrer Angehörigen in die Behörden deutlich. Infolgedessen werden viele Fälle von Verschwindenlassen nicht gemeldet.

Auch die forensischen Dienste des Landes seien nicht ausreichend, so der Bericht. Öffentlichen Angaben zufolge befinden sich mehr als 52.000 nicht identifizierte Verstorbene in Massengräbern, forensischen Einrichtungen und Universitäten.

Das Verschwinden von Personen nahm seit 2006 exponentiell zu. Der Bericht weist darauf hin, dass die Daten "den engen Zusammenhang zwischen der Zunahme des Verschwindenlassens und der verfolgten Militarisierungsstrategie" der Regierungen seitdem belegen.

"Die ständige Beteiligung der Streitkräfte an der Arbeit der öffentlichen Sicherheit in Mexiko lässt Zweifel an ihrer Achtung der verfassungsmäßigen und internationalen Standards für Menschenrechte und Sicherheit der Bürger aufkommen", heißt es in dem Bericht. Die zivilen Ordnungskräfte müssten gestärkt und ein "sofortiger und überprüfbarer" Rückzug des Militärs aus den Aufgaben der öffentlichen Sicherheit umgesetzt werden.

Die Militarisierung wurde seit der Amtszeit von Felipe Calderón (2006-2012) vorangetrieben, der die Armee zur Bekämpfung der Drogenkartelle auf die Straße brachte. Dieser Zustand änderte sich mit dem Amtsantritt von Andrés Manuel López Obrador nicht, obwohl dieser versprochen hatte, dagegen vorzugehen. 2020 erließ er ein Präsidialdekret, in dem er den Streitkräften auferlegte, weiterhin Aufgaben der inneren Sicherheit wahrzunehmen.

Das Komitee forderte die Regierung auf, "dringend" eine nationale Politik zur Verhinderung des Verschwindenlassens zu entwickeln. Dabei müssten föderale, staatliche und kommunale Behörden, autonome Einrichtungen, die Opfer und die Kollektive, die sie vertreten, einbezogen und die Ursachen des gewaltsamen Verschwindenlassens bekämpft werden.

"Damit das Verschwindenlassen in Mexiko nicht länger ein Inbegriff des perfekten Verbrechens ist, muss die Prävention im Mittelpunkt der nationalen Politik zur Verhinderung und Beendigung des Verschwindenlassens stehen", schlussfolgert der Ausschuss.