Parlament in Brasilien debattiert neoliberale Rentenreform

Gewerkschaften und soziale Bewegungen rufen zu Generalstreik auf. Weniger Rente für Frauen und ärmere Bevölkerungsschichten befürchtet

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Aufruf zum Generalstreik am Tag der Debatte über die Rentenreform im Kongress in Brasilien
Aufruf zum Generalstreik am Tag der Debatte über die Rentenreform im Kongress in Brasilien

Brasília. In Brasilien hat Interimspräsident Michel Temer einen überarbeiteten Gesetzesentwurf der umstrittenen Rentenreform (PEC 287/2016) vorgestellt, der am heutigen Dienstag in der Abgeordnetenkammer debattiert werden soll. Vergangene Woche präsentierte er den Reformentwurf ausgewählten Bundesabgeordneten bei einem Abendessen in seiner Residenz Palácio da Alvorada. Bisher ist noch nicht klar, ob der De-facto-Präsident die notwendige Mehrheit erreichen wird. Soziale Bewegungen und Gewerkschaften rufen zum Generalstreik im ganzen Land gegen das Vorhaben auf.

Nachdem sich gegen den ursprünglichen Gesetzestext Widerstand unter den Parlamentariern formiert hatte, wurde der Vorschlag überarbeitet. Der neue Text soll weniger drastische Änderungen enthalten. Allerdings zeichnet im Kongress wegen des Einfrierens des Staatshaushaltes, die umstrittene Initiative zur Arbeitsreform sowie der Korruptionsvorwürfe gegen Temer weiterhin Widerstand ab. Dies könnte es der Regierung erschweren, die notwendigen Stimmen zusammenzubekommen.

Die Reform sieht vor, dass die Rentenbeiträge erhöht und das Renteneintrittsalter für Frauen bei 62 Jahren und für Männer bei 65 Jahre liegen soll, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Bisher liegt es bei 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren für Männer. Die minimale Beitragszeit soll von 15 auf 25 Jahre erhöht werden und eine Rentenzahlung des vollen Gehalts nur möglich sein, wenn man 49 Jahre eingezahlt hat. Die Abgeordnete Jandira Feghali sagte: "Der neue Vorschlag bestraft besonders die Klassen, die die Leistungen am meisten benötigen."

Gewerkschaften und soziale Bewegungen mobilisieren indes für den heutigen Dienstag zu einem landesweiten Generalstreik, um gegen die geplante Rentenreform zu protestieren. Sie befürchten, dass besonders Frauen und ärmere Bevölkerungsschichten deutlich weniger Rente bekommen und länger arbeiten müssen.

In einem in dieser Woche veröffentlichten Artikel warnte der Vorsitzende der Central Única dos Trabalhadores (CUT), dem größten gewerkschaftlichen Dachverband Brasiliens, Vagner Freitas: "Wenn sich der Kongress mit der Rentenreform befasst, wird Brasilien stillgelegt."

Laut Gilmar Mauro, einem der Koordinatoren der Landlosenbewegung, werden gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen aus dem ländlichen Raum, wie der Bewegung der Kleinbauern, landesweit Straßensperrungen und Aktionen in den großen Städten organisiert: Die Reform "wäre eine weitere Niederlage für das brasilianische Volk", sagte er. Die Regierung zerstöre alle historischen Errungenschaften der Arbeiterklasse.

Zu den am meisten kritisierten Maßnahmen des ursprünglichen Vorschlags gehört das Ende der Sonderregelung der ländlichen Rente, die es Landarbeitern ermöglicht, mit einer geringeren Beitragszeit in Rente zu gehen. Laut Mauro würden mit der Änderung Millionen von Arbeitnehmern nicht in der Lage sein, sich zur Ruhe zu setzen: "Die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen beginnen in der Regel in einem frühen Alter zu arbeiten. Aufgrund der harten Arbeit erreichen viele dieser Menschen nicht das 55. Lebensjahr", erläuterte er.

Für die Vizepräsidentin der CUT, Carmen Helena Ferreira Foro, würde die Rentenreform vor allem auch Frauen benachteiligen: "Gegenwärtig ist die Rentenregelung die einzige Anerkennung des brasilianischen Staates gegenüber Frauen, die fast doppelt so viel wie Männer arbeiten und dafür fünf Jahre früher in Rente gehen können."

Verfassungsänderungen wie die geplante Reform des Rentensystems erfordern in zwei getrennten Wahlgängen die Unterstützung von drei Fünftel der Abgeordneten (308 Stimmen). Im Falle einer Zustimmung folgt Anfang 2018 eine Abstimmung im Senat über das Projekt. Dabei müssten ebenfalls mindestens drei Fünftel zustimmen, um den Gesetzestext zu verabschieden.