Bericht zur Venezuela-Reise im April 2019

Andrej Hunko, Mitglied des Deutschen Bundestags und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für die Partei Die Linke, über seinen Venezuela-Besuch

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Andrej Hunko mit Laetitia Courtois, Leiterin Internationales Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) in Venezuela.
Andrej Hunko mit Laetitia Courtois, Leiterin Internationales Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) in Venezuela.

Einleitung

Vom 16. bis zum 27. April 2019 habe ich mich in Venezuela aufgehalten, um mir vor Ort ein Bild von der Lage zu machen und Gespräche mit diversen Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Gesellschaft zu führen. In diesem Bericht möchte ich die wichtigsten Eindrücke zusammenfassen, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seit meiner Rückkehr habe ich bereits auf zahlreichen Veranstaltungen und in Interviews über die Reise und meine Einschätzungen gesprochen. Dieser Bericht soll das Erlebte etwas systematischer zusammenfassen.

Ich hatte bereits im Februar dieses Jahres geplant, nach Venezuela zu reisen. Im letzten Moment musste ich die Reise jedoch aus gesundheitlichen Gründen verschieben. Im Nachhinein betrachtet war dies eine gute Entscheidung, weil die Reise ursprünglich wesentlich kürzer geplant war. Dadurch, dass ich schließlich elf Tage vor Ort war, boten sich mehr Möglichkeiten für Einblicke in die Politik, aber auch den Alltag in Venezuela.

Der Anfang des Jahres eskalierte politische Konflikt in Venezuela war konkreter Anlass meiner Reise und omnipräsent. Nachdem Präsident Nicolás Maduro im Mai 2018 wiedergewählt wurde, der Großteil der Opposition aber die Wahlen boykottiert hatte, kam es rund um die Amtseinführung am 10. Januar zur Eskalation, die wochenlang auch die deutschen Medien beherrscht hat.1. Am 23. Januar erklärte sich Parlamentspräsident Juan Guaidó bei einer öffentlichen Versammlung selbst zum Präsidenten Venezuelas. Seitdem versucht die derzeit von ihm geführte Opposition mit massiver Unterstützung der US-Regierung von Donald Trump, Präsident Maduro zu stürzen. Wochenlang beherrschten Drohungen mit einer Militärintervention das Bild, ein Krieg schien wahrscheinlich. Parallel versuchen die USA, durch Wirtschaftssanktionen und ein Öl-Embargo die venezolanische Wirtschaft zu erdrosseln, die sich ohnehin schon seit mehreren Jahren in einer historischen Krise befindet. Allen Anstrengungen zum Trotz hat die Regierung Maduro dem enormen Druck bislang jedoch standgehalten.

Gesprächspartnerinnen und -partner

Während des elftägigen Aufenthaltes konnte ich mit fast 30 verschiedenen Akteurinnen und Akteuren aus sehr verschiedenen Bereichen sprechen, darunter die Folgenden (Reihenfolge etwa so, wie die Gespräche zeitlich stattgefunden haben):

- Liliana Buitrago, Soziologin und Sprachwissenschaftlerin, begleitete mich bei den Gesprächen und übersetzte, wo es nötig war. Als langjährige Aktivistin in Basisbewegungen konnte sie darüber hinaus viel des Erlebten politisch einordnen.

- Daniela Vogl, Geschäftsträgerin der deutschen Botschaft in Caracas, hatte während meiner Besuchszeit die Aufgaben des Botschafters Daniel Kriener übernommen, der wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas ausgewiesen worden war. Frau Vogl und das Botschaftsteam unterstützten mich vor Ort an zwei Tagen und organisierten mehrere Treffen, u.a. mit oppositionellen Abgeordneten der Nationalversammlung.

- Baltazar Porras, Erzbischof von Mérida, ist eines der bekanntesten Gesichter der katholischen Kirche in Venezuela und in der Vergangenheit immer wieder als vehementer Gegner der Regierung aufgetreten. Mit ihm sprach ich über mögliche friedliche Lösungen der Krise.

- Laetitia Courtois, Leiterin Internationales Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) in Venezuela. Beim Gespräch ging es vor allem um die humanitäre Situation in Venezuela und die Arbeit des Roten Kreuzes.

- José Federico Hernández, Leiter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO/OPS), die zur UNO gehört. Die PAHO hat wiederholt Hilfslieferungen von Medikamenten und medizinischem Material nach Venezuela gebracht.

- Rafael Uzcátegui, General-Koordinator von Provea, einer der ältesten Menschenrechtsorganisationen in Venezuela. In den 1980er Jahren gegründet, kommt sie aus einer linken Tradition. Schon lange ist sie aber oppositionsnah, was zu mehreren Links-Abspaltungen kleinerer Organisationen geführt hat. Mit dem General-Koordinator, der sich selbst als Anarchist versteht, sprach ich über Menschenrechte, aber auch über generelle politische Einschätzungen der Lage.

- Antonio González Plessman von SurGentes, einer linken Menschenrechtsorganisation, deren Mitglieder ursprünglich aus derselben Tradition kamen wie Provea. Sie hat einen besonderen Fokus auf die soziale Frage. Antonio González Plessman arbeitet auch in Projekten in den Armenvierteln (Barrios). So waren Menschenrechtsfragen Thema, aber auch die Situation in den Barrios, wo die Unterstützung für die Regierung bzw. den "Bolivarischen Prozess" weiterhin am höchsten ist.

- Jorge Arreaza und Yvan Gil, Außenminister und Vizeaußenminister Venezuelas. Mit ihnen sprach ich in erster Linie über die internationale Lage, die Sanktionen und Kriegsdrohungen gegen Venezuela sowie mögliche Lösungen der politischen und institutionellen Krise. Ebenso war die Rückführung des Kueka-Steins aus dem Berliner Tiergarten ein Thema.

- Oly Millán, Héctor Navarro und Gustavo Márquez, Plattform zur Verteidigung der Verfassung. Die drei waren unter Chávez MinisterInnen und haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit der Regierung gebrochen. Sie werfen Maduro vor, die Verfassung verletzt zu haben. Zur Lösung der Krise fordern sie ein Referendum darüber, ob es Neuwahlen für Präsidentschaft und Parlament geben soll. Sie sehen sich in der politischen Tradition des Chavismus und nicht als Teil der Mitte-Rechts-Opposition.

- Andrés Antillano, Movimiento de Pobladores, ist Psychologe und arbeitet als Dozent an der Fakultät für Kriminologie an der Zentraluniversität von Venezuela (UCV). Darüber hinaus ist er seit langem Aktivist in verschiedenen Organisationen, unter anderem beim Movimiento de Pobladores, einer Bewegung vor allem der ärmeren Stadtteile, die für stadtpolitische Forderungen kämpfen. Er bemüht sich um eine Vermittlung einer politischen und friedlichen Lösung des Konfliktes.

- Kommunistische Partei (PCV) – Carolus Wimmer kommt aus Deutschland und ist in den 1970er Jahren nach Venezuela migriert. Mit ihm und anderen Mitgliedern des Politbüros sprach ich über die politische Einschätzung der aktuellen Lage und Lösungsmöglichkeiten.

- Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV). Im Laufe der Reise konnte ich mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der Regierungspartei PSUV sprechen. Dazu gehörte die Abgeordnete der Verfassungsgebenden Versammlung (ANC) Tania Díaz.

- Saúl Ortega von der Regierungspartei PSUV ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Verfassungsgebenden Versammlung (ANC) und Gladys Requena zweite Vizepräsidentin der ANC (ebenfalls PSUV). Julio Chávez ist Vertreter der internationalen Abteilung der PSUV.

- Opposition in der Nationalversammlung (Asamblea Nacional, AN). In der Nationalversammlung konnte ich mit Abgeordneten verschiedener Parteien sprechen. Dazu gehörte der Vizepräsident der AN, Edgar Zambrano von der eher sozialdemokratischen Partei Acción Democrática (AD). Sie regierte in den Jahrzehnten vor Chávez mehrfach. Mit dabei war der Generalsekretär der Partei, Henry Ramos Allup. Er ist eine politische Größe in Venezuela und war schon in den 1990 Jahren Abgeordneter.

- Juan Guaidó von der Partei Voluntad Popular (VP) ist durch ein Rotationsprinzip seit Jahresbeginn Präsident der Nationalversammlung. Beim Besuch in der Nationalversammlung hatte ich die Möglichkeit, ihn zu sprechen. Darüber hinaus traf ich zahlreiche Abgeordnete, u.a. Marialbert Barrios von der Partei Primero Justicia (PJ), stellv. Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Ihrer Partei gehört auch der mehrfache Präsidentschaftskandidat der Opposition Henrique Capriles Radonski an.

- Weitere Gespräche mit Francisco Sucre von der Guaidó-Partei VP, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, Stalin González von der moderateren Partei Un Nuevo Tiempo (UNT), Vizepräsident der AN, sowie Luis Augusto Romero, Generalsekretär der Avanzada Progresista von Henri Falcón. Falcón hatte trotz des Boykottaufrufs der radikaleren Teile der Opposition als Kandidat an den Wahlen 2018 teilgenommen. Außerdem waren Vertreter von oppositionellen Gewerkschaften anwesend.

- Nicolás Maduro, Präsident Venezuelas. Nach dem Treffen mit dem Außenminister lud mich Präsident Maduro ebenfalls zu einem Gespräch ein. Diese Möglichkeit wollte ich nicht verstreichen lassen. Das Treffen drehte sich vor allem um internationale Politik, aber auch ein möglicher Dialog mit der Opposition und Lösungen für die tiefe Krise des Landes waren Themen.

- Manuel Sutherland, Ökonom. Zur wirtschaftlichen Situation unterhielt ich mich mit dem Wirtschaftswissenschaftler Manuel Sutherland, der sich als Marxist versteht. Er ist gegenüber der Wirtschaftspolitik der Regierung sehr kritisch, aber ebenso gegenüber den neoliberalen Konzepten der Opposition.

- Víctor Álvarez, Wirtschaftswissenschaftler. Auch Víctor Álvarez hat sich intensiv und sehr kritisch mit der Wirtschaftspolitik der Regierung beschäftigt. Er war unter Chávez unter anderem Minister für Industrie und Minen. Er schlägt eine Koalitionsregierung aus aktueller Regierung und Opposition vor, die sich primär um die Lösung der Wirtschaftskrise kümmert.

- Projekt "El Otro Beta". In Petare, einem der größten Armenviertel (Barrios) Lateinamerikas im Osten von Caracas, konnte ich das Projekt "El Otro Beta" besuchen. Neben Kulturveranstaltungen werden dort soziale Projekte verfolgt und es gibt auch Ausbildungsmöglichkeiten für die Bevölkerung der Barrios.

- Pemón-Gemeinde, Gran Sabana. Zum Ende meines Besuches hatte ich die Möglichkeit, in den Süden des Landes zu reisen und Santa Cruz de Mapaurí zu besuchen, eine Gemeinde der indigenen Pemón an der Grenze zu Brasilien. Von dort wurde Ende der 1990er Jahre der "Kueka-Stein" entwendet, der seitdem im Rahmen eines Kunstprojektes im Berliner Tiergarten liegt. Venezuela fordert, dass er zurückgegeben wird. Vor Ort sprach ich mit Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinde.

- Isabel Brilhante Pedrosa, EU-Vertreterin. Am Tag meiner Abreise traf ich die Vertreterin der EU in Venezuela und sprach mit ihr über Auswege aus der Krise und die Rolle der EU.

Humanitäre Lage

Im Vorfeld der Reise war die humanitäre Lage in Venezuela eines der großen Themen, wenn über das südamerikanische Land berichtet wurde. Insbesondere um den 23. Februar 2019 erlangte es weltweite Aufmerksamkeit, als die US-Regierung mit Militärflugzeugen Hilfsgüter nach Kolumbien brachte und ankündigte, diese notfalls gewaltsam über die Grenze zu bringen. Das dabei bemühte Narrativ war einfach: Die venezolanische Regierung lasse ihre Bevölkerung hungern und verhindere sogar, dass humanitäre Hilfe das Land erreiche. Zwar musste man dafür ausblenden, dass sehr wohl Hilfslieferungen nach Venezuela gebracht wurden. Aber das hinderte auch viele deutsche Medien und die Bundesregierung nicht, die längst widerlegte Behauptung zu wiederholen. Dies war einer der Gründe, aus denen ich Venezuela persönlich besuchen wollte. Ich wollte mir ein eigenes Bild von der Situation machen.

Diese stellte sich dann deutlich anders dar, als es der von Einseitigkeit und Halbwahrheiten geprägte Blick der meisten internationalen Medien vermuten ließe. Ohne Zweifel steckt Venezuela in einer schweren Krise, die zum starken Anstieg der Armut und zu Versorgungsengpässen geführt hat. Aber der häufig medial vermittelte Eindruck geht an der Realität vorbei. Trotz aller Widrigkeiten findet in Venezuela ein relativ "normales" Leben statt. Das Land ist wesentlich weniger chaotisch als die dramatischen Warnungen des Auswärtigen Amtes nahelegten. Die Straßen sind nicht von hungerleidenden Menschen gesäumt. Es gibt Unterernährung und mangelnde Versorgung, vor allem auch im medizinischen Bereich. Aber es zeigte sich deutlich, dass die meisten der katastrophalen Darstellungen das Bild überzeichnen.

Es gibt Lebensmittel in den Supermärkten, die aber sehr teuer sind. Die Hyperinflation ist eines der größten Probleme im Alltag der Menschen. Die Regierung verteilt durch sogenannte Clap-Kisten subventionierte Lebensmittel, von denen ein Großteil der Bevölkerung profitiert. Laut Datanálisis, dem bekanntesten oppositionsnahen Umfrageinstitut, gaben im Dezember 86 Prozent der Befragten an, dass ihr Haushalt die Lebensmittelkisten erhält – unabhängig davon, ob es sich um RegierungsanhängerInnen oder Oppositionelle handelt. Dennoch reicht dies nicht, um Notlagen zu vermeiden. Das Gesundheitssystem ist in einem kritischen Zustand, es fehlt an vielem.

Im Zuge der aktuellen Konfrontation und insbesondere seit den großen Stromausfällen Ende März 2019, deren Ursachen noch nicht abschließend geklärt sind (die Regierung macht unter anderem Cyberangriffe für die Ausfälle verantwortlich), hat sich die Lage weiter verschlechtert. Immer wieder kommt es zu Stromausfällen bzw. zu Rationierungen, weil das Stromnetz labil ist. Besonders im Bundesstaat Zulia, an der Grenze zu Kolumbien, ist die Versorgung mit Strom katastrophal. Diese Probleme ziehen andere nach sich. So muss das Trinkwasser für Caracas aus dem tiefer gelegenen Umland auf circa 800 Meter gepumpt werden. Fällt der Strom länger aus, dann bleibt auch das Wasser weg. Krankenhäuser, die nicht mit ausreichenden Notstromaggregaten ausgerüstet sind, können nicht angemessen arbeiten. All dies erschwert den Alltag der Menschen ungemein und hat teilweise dramatische Konsequenzen.

In Caracas konnte ich mit VertreterInnen von zwei Organisationen aus dem Bereich humanitäre Hilfe sprechen. Gleich zu Beginn traf ich die Leiterin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC) in Venezuela, Laetitia Courtois. Beim Roten Kreuz muss man beachten, dass es verschiedene Strukturen gibt. Einerseits werden über das "Rote Kreuz Venezuela" mehrere Krankenhäuser betrieben. Andererseits koordiniert das „Internationale Komitee“ Programme, die direkte Hilfen für die Bevölkerung bieten. Ich fragte Frau Courtois sehr konkret, ob die Organisation bei ihrer Arbeit durch die Regierung oder sogenannte "Colectivos" behindert würde, wie es die deutsche Bundesregierung immer wieder behauptet hat. Sie verneinte dies ganz klar. Im Gegenteil: Die "Colectivos" – Basisorganisationen vor allem in den Armenvierteln – seien für sie eher Schutz als Bedrohung.

Der Leiter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO/OPS) der UNO, José Federico Hernández, äußerte sich ähnlich in Bezug auf die Arbeit seiner Organisation. Die PAHO hat wiederholt Medikamente und medizinisches Material nach Venezuela gebracht, und – seiner Aussage zufolge – hat sie dabei keine Restriktionen der Regierung erlebt.

Die Gespräche zeigten vor allem, dass der Diskurs über die Lieferung humanitärer Hilfe propagandistisch aufgeladen ist. Es ist eine Lüge, dass die Regierung Maduro keine Hilfslieferungen ins Land lasse. Sicherlich wäre es gut, wenn noch mehr Hilfen das Land erreichten. Aber es finden Lieferungen statt, die auch die Regierung akzeptiert. Die Rolle der Bundesregierung ist hier übrigens zynisch: Sie wirft der Regierung Maduro vor, keine Hilfe zuzulassen, blockiert aber selbst die versprochenen fünf Millionen Euro, weil angeblich die Bedingungen für deren Verwendung nicht gegeben sind.

Im Hintergrund gibt es auch ein "kommunikatives" Problem. Die Regierung Venezuelas hat es bislang immer vermieden, von einer "humanitären Krise" zu sprechen. Dahinter steckt die berechtigte Befürchtung, dass die humanitäre Lage als Rechtfertigung für eine Militärintervention genutzt werden könnte. Die Opposition beruft sich nicht umsonst auf die sogenannte "Schutzverantwortung" (Responsibility to Protect, R2P) der UNO. Auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, hat eine Intervention auf dieser Grundlage gefordert. Die Regierung versucht deshalb, Begrifflichkeiten zur Beschreibung der sozialen Krise zu vermeiden, die eine solche Intervention rechtfertigen könnten. Das führt teilweise dazu, dass sie Missstände nicht angemessen anerkennt.

Menschenrechte

Ein ähnliches Bild wie bei der humanitären Situation ergibt sich, wenn man sich die Lage der Menschenrechte ansieht. Diese werden aktuell wieder bemüht, um die massive Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas zu rechtfertigen. Das ist nicht neu, aber sehr durchschaubar. Ohne Zweifel gibt es Menschenrechtsverletzungen in Venezuela und man muss sie verurteilen und strafrechtlich aufarbeiten. Das gilt insbesondere für Foltervorwürfe und in Bezug auf Berichte über außergerichtliche Hinrichtungen. Man sollte aber schon sehr genau hinschauen, um was es geht. Denn Menschenrechtsverletzungen kommen leider in allen Ländern Lateinamerikas vor, nur werden sie ignoriert, wenn das jeweilige Land von einer "genehmen" Regierung geführt wird. Die doppelten Standards sind hier offensichtlich. Die Frage ist darüber hinaus, inwieweit sie systematisch geschehen, welches Ausmaß sie haben und wie sie aufgearbeitet werden.

Man darf auch den Kontext nicht ausblenden. Wenn ich in den hiesigen Medien beispielsweise zu den Protesten in Venezuela lese, dann bekomme ich manchmal das Gefühl, als dürften für die Opposition keine Gesetze gelten. Die Proteste waren teilweise extrem gewalttätig. Bei der Protestwelle 2014 wurden an verschiedenen Stellen Drähte über Straßen gespannt, um Motorradfahrer zu verletzen oder gar zu töten, was auch passierte. Es ist dort geradezu normal, dass bei Demonstrationen Molotow-Cocktails geworfen werden, teilweise wurden auch Schusswaffen benutzt. Mindestens einmal wurde ein Mensch bei lebendigem Leibe verbrannt, weil die Demonstranten der Meinung waren, er sei Regierungsanhänger. Auch die Protestwelle 2017 war in Teilen extrem gewalttätig. Von Seiten der Polizei und der Nationalgarde ist es beim Umgang mit diesen – und auch mit friedlichen – Protesten immer wieder zu überzogener Gewalt gekommen, die ich verurteile und die verfolgt werden muss. Aber so zu tun, als würden die Sicherheitskräfte immer grundlos brutal gegen friedliche DemonstrantInnen losgehen, geht an der Realität vorbei.

Gerade im Zuge der zunehmenden Konfrontation in den letzten Jahren ist die Politik der Regierung Maduro autoritärer geworden. Das beinhaltet auch, dass im Zusammenhang mit politischen Aktivitäten wesentlich mehr Menschen inhaftiert werden, als es unter Chávez der Fall war. Das macht sie nicht automatisch zu politischen Gefangenen. Aber es ist deutlich zu sehen, dass derartige Inhaftierungen zugenommen haben. Allerdings muss man auch dabei vorsichtig sein. Denn es hat in den letzten Jahren nicht nur friedliche Proteste gegeben, sondern (wie bereits erwähnt) auch viel Gewalt von Seiten der Opposition und zahlreiche Putschversuche. Im August 2018 gab es einen Attentatsversuch auf Präsident Maduro mit Hilfe einer mit Sprengstoff bestückten Drohne. Und kurz nach meiner Reise, am 30. April, hat der selbsternannte Präsident Guaidó versucht, mit Teilen des Militärs zu putschen. Dabei fand er auch Unterstützung bei weiten Teilen der Opposition. Zu erwarten, dass man mit Unterstützung der USA und unter permanenter Bedrohung einer Militärintervention straffrei einen Militärputsch versuchen kann, ist reichlich naiv.

Ein anderer Aspekt ist da meines Erachtens wesentlich problematischer. Da sich die Opposition aber fast ausschließlich aus der Mittel- und Oberschicht rekrutiert, findet er bei ihr in der Regel wenig Beachtung. Es geht um die Politik gegenüber den Barrios, insbesondere die Arbeit von Polizei und Nationalgarde. Denn während unter Chávez einige repressive Strategien zumindest teilweise zurückgedrängt werden konnten, scheinen sich in diesem Bereich in Venezuela ehemals verbreitete Praktiken wieder durchzusetzen. So agieren Polizei (hier insbesondere die FAES-Sondereinheit der Nationalpolizei) und Nationalgarde sehr repressiv und gewalttätig bei der Kriminalitätsbekämpfung in den Armenvierteln. Die Folge ist, dass viele Menschen bei Polizeiaktionen erschossen werden, anstatt sie festzunehmen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen vor Gericht zu stellen. In der Statistik heißt es dann in der Regel, dass diese Menschen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" geleistet hätten. Ein Gesprächspartner sagte mir, dass die offiziellen Zahlen über 5.000 solcher Fälle in einem Jahr (2018) beinhalten, von denen seinen Schätzungen zufolge 70 Prozent Hinrichtungen sind. Dies passiert zwar in vielen Ländern Lateinamerikas und in der Regel ist die internationale Aufregung nicht sonderlich groß, weil es sich bei den Opfern um Arme handelt. Aber dies ist kein Grund, es im Falle Venezuelas zu verschweigen. Zugleich muss man beachten, dass es sich dabei nicht um politisch motivierte Operationen handelt, sondern um Opfer von Missbrauch bei der Kriminalitätsbekämpfung.

Wirtschaft und strukturelle Probleme

Neben der politischen und institutionellen Krise ist die wirtschaftliche Lage das größte Problem in Venezuela. Diese ist wirklich desaströs, was kürzlich veröffentlichte Zahlen der Zentralbank (BCV)2 noch einmal verdeutlicht haben. Demnach ist die Wirtschaftsleistung (BIP) des Landes seit 2013 um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Das ist ein Ausmaß, das selbst viele Länder in jahrelangen Kriegszeiten nicht erreichen. Auch die Erdölproduktion, das Rückgrat der venezolanischen Wirtschaft, ist in diesen Jahren massiv eingebrochen.

In der Deutung der Ursachen für diese Lage ist die Gesellschaft ähnlich gespalten wie politisch. Die Regierung macht fast ausschließlich andere für die Probleme verantwortlich. Sie beklagt seit Jahren einen Wirtschaftskrieg gegen das Land, verweist auf die Rolle der Privatunternehmen und auf die Sanktionen der USA. Im Zusammenhang mit den Stromausfällen macht sie Cyberangriffe und Sabotage verantwortlich.

Für die Opposition ist all dies vorgeschoben. Ihrer Ansicht nach ist allein die Regierung schuld, weil sie eine falsche Wirtschaftspolitik betrieben habe, die Infrastruktur nicht ausreichend instandgehalten habe und korrupt sei. Manche machen auch den Sozialismus verantwortlich. Dieses letzte Argument ist absurd, denn Venezuela ist eine kapitalistische Rentenökonomie mit all ihren Problemen geblieben. Mit Sozialismus hat das nicht viel zu tun.

Ich denke, dass die Ursachen vielschichtig sind. Die Sanktionen der USA sind real und haben seit August 2017 die ohnehin schon schwierige Lage weiter verschärft. Das Ende Januar verhängte Öl-Embargo hat diesen Prozess beschleunigt und wird voraussichtlich katastrophale Konsequenzen für die Bevölkerung haben. Ein kürzlich erschienener Bericht des US-amerikanischen Centre for Economic and Policy Research (CEPR)3 ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Sanktionen schon jetzt für mehrere zehntausend Tote verantwortlich sind, weil sie den Zugang zu Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischem Material erschweren. Nach dem vorerst gescheiterten Putschversuch scheint es die Strategie der USA zu sein, Venezuela wirtschaftlich zu strangulieren und so die Menschen gegen die Regierung aufzubringen. Diese Kollektivstrafe kann man nicht ignorieren, wenn man über die Probleme Venezuelas spricht.

Aber die Sanktionen sind nur ein Teil. Sie haben eher bestehende Probleme verschärft, als sie zu verursachen. Die Wirtschaftskrise hat schon lange vor den ersten für die wirtschaftliche Entwicklung relevanten Sanktionen begonnen. Politische Entscheidungen der Regierung bzw. das Ausbleiben von Entscheidungen haben in den letzten Jahren maßgeblich zur Entfaltung der wirtschaftlichen Krise beigetragen. Hier ist zuallererst die Währungs- und Wirtschaftspolitik zu nennen, aber auch die weitverbreitete Korruption ist ein Riesenproblem. Über Jahre wurden Milliardensummen durch Korruption, Betrug bei den Importen und durch absurde Subventionen wie beim Benzin verschleudert.

Hinzu kommen aber auch strukturelle Probleme, die die venezolanische Wirtschaft und Gesellschaft seit Jahrzehnten durchziehen und die unter Chávez und dann Maduro nicht gelöst wurden. In gewisser Hinsicht sind die wirtschaftlichen Probleme Ausdruck des Endes des zweiten Erdölbooms in der venezolanischen Geschichte. Im Gegensatz zum Beginn der 1980er Jahre kommen aktuell aber noch die politische Polarisierung, die institutionelle Krise und die Intervention von außen hinzu, die sich im Machtkampf der Staatsgewalten ausdrückt. All dies macht die Krise so komplex.

Das große Problem ist aktuell, dass eine wirtschaftliche Erholung ohne Aufhebung der Sanktionen kaum möglich scheint. Auch deshalb ist es extrem wichtig, zu einer politischen – und das heißt friedlichen – Lösung des Konfliktes zu gelangen, die beiden politischen Lagern eine Existenz garantiert und die Aufhebung der Sanktionen beinhaltet.

Lösungsszenarien

Die venezolanische Krise kann jederzeit zu einem bewaffneten Konflikt auswachsen, wenn die aggressive Einmischung von außen nicht beendet wird und die politisch Verantwortlichen nicht zu einer Lösung kommen, die von beiden Seiten akzeptiert werden kann. Ein Gesprächspartner sagte mir, dass es auf jeden Fall eine Verhandlungslösung geben werde. Die Frage sei aber, ob diese vor oder nach einem Bürgerkrieg komme. Ich befürchte, dass diese Einschätzung leider sehr realistisch ist. Auch wenn die Gefahr einer direkten Militärintervention der USA aktuell wieder geringer scheint, sind in Venezuela alle "Zutaten" für einen bewaffneten Konflikt vorhanden. Sollte es dazu kommen, dann würden sicherlich auch die internationalen Verbündeten in ihm eine Rolle spielen. Das kann niemand wollen.

Ich hoffe weiterhin auf eine friedliche Lösung des Konfliktes auf Grundlage von Verhandlungen. Die jüngste Vermittlungsinitiative Norwegens zeigt zumindest, dass eine gewisse Bereitschaft für Gespräche da ist. Aber es ist noch ein langer Weg. Entscheidend ist, dass es eine Lösung der Venezolanerinnen und Venezolaner gibt – unter Achtung der Souveränität des Landes und des Völkerrechts. Es ist wichtig, dass ein Verhandlungsprozess international begleitet und vermittelt wird. Die Interventionspolitik, die wir in den letzten Monaten in extremer Weise beobachten konnten, ist hierfür völlig kontraproduktiv und zu verurteilen.

Das Grundproblem ist, dass es in der Vergangenheit schon verschiedene Dialogformate gab, die dann in letzter Minute von der Opposition abgebrochen wurden. So etwa vor den Präsidentschaftswahlen 2018 unter Beteiligung des ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero.

Im Zuge der Eskalation Anfang des Jahres entstanden zwei neue Gesprächsformate, die aber bislang wenig erreichen konnten. Einerseits stießen Mexiko und Uruguay den sogenannten Montevideo-Prozess an. An dessen Ende können auch Neuwahlen stehen, zunächst sieht er jedoch keine Vorbedingungen für Gespräche vor. Er wird von Guaidó abgelehnt. Und andererseits gibt es die von der EU initiierte "Internationale Kontaktgruppe", die Neuwahlen als Voraussetzung ansetzt, was wiederum von Maduro abgelehnt wird. Verheißungsvoller ist bislang die Oslo-Initiative, bei der es zumindest schon direkte Gespräche zwischen Regierung und Opposition gegeben hat.

Maduro hat mir gesagt, dass er immer offen für Dialog sei. Es dürfe aber nicht so sein, dass die Gespräche wie Anfang 2018 auf Druck der USA von der Opposition abgebrochen werden. Guaidó und seine UnterstützerInnen sehen Gespräche gegenwärtig nur als Taktik der Regierung, Zeit zu gewinnen. Letztlich wird es auch davon abhängen, ob die internationale Gemeinschaft – und damit meine ich nicht nur die EU und die USA, sondern auch China, Russland, Indien, und die Staaten Afrikas – an einer solchen Lösung interessiert ist. Sanktionen und militärische Interventionsdrohungen werden die innenpolitische Lage nur weiter verhärten. Letzteres wird sogar von moderaten Teilen der Opposition so gesehen. Entscheidend ist, dass eine Lösung gefunden wird, die von beiden Seiten akzeptiert werden kann.

Ein Problem ist, dass in weiten Teilen der Opposition die Vorstellung herrscht, die Regierung habe keine Unterstützung in der Bevölkerung und stütze sich allein auf das Militär. Das stimmt aber nicht. Auch wenn der Zuspruch zur Regierung stark zurückgegangen ist, hat der Chavismus weiterhin eine starke soziale Basis. Manche sehen es als politisches Ziel, den Chavismus auszurotten. Es gibt da teilweise ernsthafte Vernichtungsfantasien. Bei vielen UnterstützerInnen der Regierung, auch bei sehr kritischen, war eine Angst vor einem solchen Szenario spürbar. Deshalb muss eine politische Lösung eine Art Abkommen über die gegenseitige Anerkennung beinhalten und garantieren, dass beide Lager eine Existenzberechtigung haben.

Es gibt verschiedene "Knackpunkte", die für eine Lösung wichtig sind. Die Opposition beharrt bislang darauf, dass als erstes Maduro abtreten muss, bevor weitere Schritte möglich sind. Dies lehnt der Präsident verständlicherweise ab. Es gibt aber auch Stimmen wie Víctor Álvarez, der für eine Koalitionsregierung plädiert. Dies scheint angesichts der verhärteten Fronten derzeit völlig unrealistisch. Aber, so argumentiert auch der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und UNO-Berater Jeffrey Sachs,4 auch in anderen historischen Fällen hat es solche unwahrscheinlichen Konstellationen gegeben.

Andere Akteure wie die Allianz für ein konsultatives Referendum berufen sich hingegen auf direktdemokratische Elemente der Verfassung Venezuelas. Diese erlauben Referenden über wichtige politische Fragen des Landes. So könnte zunächst in einem Referendum darüber entschieden werden, ob es zu Neuwahlen kommen soll. Falls eine Mehrheit zusammenkommt, würden sie durchgeführt.

Unabhängig von diesen Szenarien sind auch die Besetzung des Wahlrats (CNE) und des Obersten Gerichtshofs (TSJ) wichtige Fragen für ein Abkommen. Denn beide sind derzeit überwiegend mit AnhängerInnen der Regierung besetzt und wurden teilweise in zweifelhaften Verfahren ernannt. Schließlich muss auch die Rolle der Verfassungsgebenden Versammlung (ANC) geklärt werden. Ihre Wahl war zweifelhaft, sie beendete allerdings im Sommer 2017 schlagartig die monatelange Gewalt der Opposition. Seitdem hat sie aber als paralleles Parlament agiert und Kompetenzen der Nationalversammlung übernommen. Einen Entwurf für eine neue Verfassung gibt es hingegen auch nach zwei Jahren des Bestehens nicht.

Kueka

Jenseits des politischen und institutionellen Konfliktes, hatte ich in Venezuela noch die Möglichkeit, ein anderes Problem aus direkter Nähe zu betrachten. Ich reiste in die Gemeinde Santa Cruz de Mapaurí im südlichen Bundesstaat Bolívar. Es handelt sich um eine Gemeinde der indigenen Pemón an der Grenze zu Brasilien, inmitten des Canaima-Nationalparks, der 1994 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Von dort wurde 1998, kurz vor der Wahl von Hugo Chávez, ein tonnenschwerer Stein nach Deutschland gebracht und liegt seitdem im Rahmen des Kunstprojektes "Global Stone" im Berliner Tiergarten.

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde und die Regierung Venezuelas fordern den Stein, den sie "Kueka" nennen, zurück. Sie argumentieren, dass er rechtswidrig entwendet wurde. Der Künstler Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld hingegen sieht sich im Recht, weil er von venezolanischen Behörden die Autorisierung erhalten habe. Die deutsche Bundesregierung stellt sich weitgehend hinter ihn. Venezuela hingegen führt an, dass die Behörden, die die Dokumente ausgestellt haben, nicht dazu autorisiert gewesen seien.

In den letzten Jahren hat es zwar Verhandlungen gegeben und der Künstler sowie die Bundesregierung haben sich grundsätzlich bereit erklärt, den Stein zurückzugeben. Bürokratische Hürden und überhöhte Forderungen Krakers haben die Rückführung jedoch bislang verhindert, obwohl die venezolanische Regierung bereit ist, die Kosten für diese zu übernehmen.

In der Gemeinde in Venezuela sprach ich auf einer Versammlung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, die mir beschrieben, welche Bedeutung der Stein für sie hat. Ebenso besuchte ich den Ort, von dem er entwendet wurde. Zurück in Deutschland bemühe ich mich darum, dass dieses Kapitel endlich beendet werden kann und der Stein nach Venezuela zurückkommt.

Auch wenn es sich in diesem Fall nicht um Kulturraub im Rahmen des Kolonialismus oder eines Krieges handelt: Er erinnert sehr an derartige Fälle. Fast immer gibt es Dokumente, die den Raub solcher Güter "legal" machen sollten. Aber Legitimität erhalten sie dadurch nicht.

Fazit

Wenn eines bei der Reise deutlich geworden ist, dann ist es die Zerrissenheit Venezuelas in der aktuellen Krise. Lange vor Chávez war das Land sozial gespalten und dies hat sich in eine politische Spaltung übertragen, die immer präsent, aber nie so extrem war wie heute. Umso wichtiger ist es, eine friedliche und politische Lösung des Konfliktes zu erreichen. Ein Krieg wäre die schlechteste aller denkbaren Optionen, die das Land und die ganze Region über Jahre oder gar Jahrzehnte ins Chaos stürzen könnte.

Nichtsdestotrotz ist für Teile der Opposition in Venezuela und für die Scharfmacher in den USA (die sogenannten Falken) eine Militärintervention eine Variante, die sie für den Sturz der verhassten Regierung in Betracht ziehen. Derartige Pläne werden immer von Propaganda begleitet. So ist die mediale Darstellung der Entwicklungen in Venezuela seit langem ein Paradebespiel für manipulative und einseitige mediale Darstellungen durch Halbwahrheiten, Auslassungen und teilweise sogar platte Lügen. Es ist deshalb äußerst wichtig, die Darstellung in den Medien immer kritisch zu hinterfragen. Das trifft selbstverständlich nicht allein auf Venezuela zu, aber hier besonders.

Darüber hinaus scheint es mir wichtig, dass wir nicht zulassen dürfen, dass Regionen und Länder zu einer Art "No-Go-Area" werden. Gerade Abgeordnete, aber auch Journalistinnen und Journalisten und andere Menschen, sollten es sich niemals nehmen lassen, sich ein eigenes Bild zu machen. Dies wird durch aufgebauschte Empörung und teilweise durch regelrechte Medienkampagnen zu verhindern versucht. Es kommt aber darauf an, sich nicht beeindrucken zu lassen. Die Isolation zu durchbrechen, ist häufig ein wichtiger Schritt, um vorgefertigte Denkmuster und Narrative zu hinterfragen.

Für die Lösung der venezolanischen Krise bedarf es vieler, auch internationaler Anstrengungen. Meiner Meinung nach sind dafür zwei Punkte von besonderer Bedeutung:

Erstens muss es eine Lösung der Venezolanerinnen und Venezolaner sein, keine von außen aufgezwungene. Die Form, in der zuletzt das Völkerrecht mit Füßen getreten wurde und sich viele Länder skrupellos in die inneren Angelegenheiten Venezuelas und anderer Länder eingemischt haben, darf keine Schule machen. Selbstverständlich muss auch die Regierung und der Chavismus als Ganzer bereit sein, große Zugeständnisse zu machen und eigene Fehler zu korrigieren, um zu einer Einigung mit der Opposition zu gelangen. Aber dies muss immer unter Respektierung der Prinzipien des Völkerrechts geschehen.

Zweitens halte ich es für extrem wichtig anzuerkennen, was wie eine Banalität klingen mag: Der Chavismus existiert und wird weiter existieren. Auch wenn er nicht wie früher die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich hat, ist er eine relevante politische und soziale Kraft, die nicht ignoriert werden darf. Eine Lösung des Konfliktes wird es nur geben können, wenn auch die Opposition bereit ist, dies zu akzeptieren und dem Chavismus einen Platz in der venezolanischen Gesellschaft und Politik einzuräumen. Dies ist bislang in radikalisierten Teilen der Opposition und bei ihren AnhängerInnen nicht der Fall und ein Grund, weshalb die Umsturzversuche immer wieder gescheitert sind und eine Lösung nicht erreicht werden konnte.

Andrej Hunko, 8. Juli 2019

Pressespiegel (Auswahl):

Vorsicht, Doppelmoral
Aachener Nachrichten, 26.04.2019

Hunkos verdienstvoller Besuch
Neues Deutschland, 27.04.2019

Gewaltsames Szenario verhindern
Neues Deutschland, 28.04.2019

Verlierer des Tages: Springer-Presse
junge Welt, 29.04.2019

"Maduro ist kein Diktator"
Deutschlandfunk, 02.05.2019

"Lage ist ernst, aber nicht dramatisch"
junge Welt, 03.05.2019

Mich kritisieren die Unterstützer des Putschversuchs in Venezuela
Die Freiheitsliebe, 04.05.2019

"Bundesregierung setzt auf Eskalation"
RT Deutsch, 07.05.2019

Im Zangengriff des Imperiums
Rubikon, 31.05.2019