Bolivien / Politik / Medien

Medienrummel um Diplomatenpässe

Private Nachrichtenkonzerne in Bolivien machen massiv Stimmung gegen die Linksregierung von Präsident Evo Morales

Auf Teufel komm raus versucht Boliviens Opposition die Linksregierung der "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) und die Führung der katholischen Kirche des Andenlandes gegeneinander aufzuwiegeln, um so den "Prozess des Wandels" zu torpedieren. Ob Bildungsreform, Steuernovellen oder wie letzte Woche die Neuregelung der Diplomaten-Begünstigungen, Kommentatoren, TV-Berichte und Regierungsgegner stilisieren den Anpassungsprozess nationaler Gesetzgebung an die neue Verfassung zu einem "Krieg" oder "Feldzug" des Palacio Quemado gegen den Klerus hoch. Der jüngste Versuch des Krisen-Erfindens war die Neuregelung bei der Vergabe von Diplomatenpässen, die von der MAS-Regierung unter schärfere Kontrolle gestellt worden war. Kassiert wurde neben den teils lebenslangen Reise-Privilegien für Politiker-Familien von Präsidenten und Ministern auch der Diplomatenstatus des bolivianischen Kardinals Julio Terrazas. Zwar konnte die Geistlichkeit darin "keine Probleme" erkennen, doch vermelde die von der Opposition kontrollierte Medienlandschaft einen "Frontalangriff auf die katholische Kirche".

Dieses Schüren von Konflikten ist nicht neu. Zuletzt Anfang Dezember war ein Zitat des Erzbischofs von Cochabamba durch private TV-Sender und Tageszeitungen hochgekocht worden. In einem Interview hatte Tito Solari Bauernkinder aus der Koka-Anbauregion im Chapare als Drogenverkäufer bezeichnet. Die landesweiten Aufmacher über die "Kinder-Kokainhändler", die darauf gefolgt waren hatten zwischen katholischer Kirche und regierungstreuen Koka-Bauern heftige Spannungen provoziert. Der Medienrummel habe zur "Stigmatisierung der Kinder" geführt, so der Vorwurf der Cocaleros, die prompt eine "Einmischung der Kirche in die Politik" beklagten, was die von ihrer Wählerbasis unter Druck gesetzte MAS-Regierung schließlich zu einer Verurteilung des "Solari-Skandals" veranlasste.

Ein unnötiger Sturm war im Wasserglas entfacht worden. Und das in seltenen ruhigen Zeiten, hatte der MAS die Parlamentswahlen Dezember 2009 doch mit einer das politische Klima beruhigenden Zweidrittelmehrheit für sich entschieden. Keiner der Seiten schien ernsthaft an einem Duell interessiert, stattdessen suchte man den Dialog. Nach einem Treffen mit Regierungsvertretern folgte eine Entschuldigung Solaris. Er habe " Gutes gesucht", aber einen "negativen Effekt" erreicht. Auch fühle er sich deswegen "schlecht". Dieser Geste folgte ein Appell des Erzbischofs an die Medienvertreter. Sie sollten endlich ihre Sprache ändern. Dem Aufbau des Landes sei es "nicht dienlich", wenn die Katholische Kirche in permanente Konfrontation zu La Paz gebracht werde. "Sie sollten eine Sprache gebrauchen, die uns hilft sich einander anzunähern, und sehen, dass es das Gute auf beiden Seiten gibt", so Solari. Auch Präsident Evo Morales, der die großen Verlagshäuser und Medienkonzerne für ihr Kriegsgetrommel in der Vergangenheit wiederholt kritisiert hatte, war darauf bedacht, die Lage rasch wieder zu beruhigen.

Doch der Appell des Kirchenmanns scheint auf taube Ohren gestoßen zu sein. Erste Medienreaktionen auf den "Entzug der Diplomatenrechte für den Klerus" hatten unmittelbar damit begonnen, erneut den Kulturkampf an die Wand zu malen. Politiker wie der Abgeordnete Mauricio Muñoz von der Oppositionspartei "Nationale Einheit" (CN) stoßen ins selbe Horn. Die "Anti-katholische Maßnahme" sei eine "politische Revanche" und  Teil einer "permanenten Attacke", schimpfte Muñoz.

Die Spitzen der katholischen Kirche sehen keinen Grund zur Sorge. "Nicht besonders fehlen" werde die Sonderregelung, die Präsident Víctor Paz Estenssoro 1988 als "Gefälligkeit" zugestanden hatte, so der Generalvikar im Büro des Erzbischofs, Robert Clock. Man habe mit der Entscheidung gerechnet. Sie "passt zum Wandel der Verfassung mit der Vorstellung eines laizistischen Staates", also Trennung von Staat und Religion, sagte Clock und trat damit auf die Hysteriebremse. Die Geistlichen seien nun einmal "keine Repräsentanten der bolivianischen Regierung". Kardinal Terrazas reise "als bolivianischer Staatsbürger wie eh und je mit dem Diplomatenpass des Vatikan", erklärte der Vikar.

Gerade weil die Reform längst fällig war ist Aufregung fehl am Platz,. Wie Außenminister David Choquehuanca am Donnerstag erläuterte war Dekret Nr. 0734 ein nicht bearbeitetes Projekt aus Morales erster Amtszeit (2006-2009), als die neue Regierung die bolivianische Eigenart der "reservierten Ausgaben", eine Art legale schwarze Handkasse der Ministerien ohne Rechenschaftspflicht und Buchführung abgeschafft hatte. Sofort nach dem Regierungswechsel habe die Linksregierung "damit begonnen, einige Privilegien zu beschneiden", so Choquehuanca. Damals hatte die Senkung der Gehälter des Präsidenten, Minister und Abgeordneter zu Applaus bei den Bolivianern gesorgt, die sich längst von den korrupten und auf den Eigennutz fixierten Politikern abgewendet hatten.

Auch die begrenzte Vergabe der Reisebegünstigungen auf Staatskosten zählt zu diesem Sparkurs. In der Vergangenheit habe es durch die Ausstellung von Diplomatenpässen auf Lebenszeit für Ehefrauen und Kindern von Präsidenten und Ministern immer wieder Missbrauchsfälle gegeben, da deren Inhaber am bolivianischen Zoll nicht kontrolliert werden durften. Auch hätten Passbesitzer die Dokumente nicht wie vorgesehen wieder an das zuständige Außenministerium zurückgegeben, rechtfertigte Regierungsminister Sacha Llorenti die Vergabebeschränkung. Der Ex-Aktivist in Menschenrechts-NGO und Minister für soziale Bewegungen kündigte zudem ein Gesetz an, das den Zoll erstmalig dazu ermächtigt, die Träger von Diplomatenpässen zukünftig nach Schmuggelware zu kontrollieren. So wie "jeder andere Bürger, der nationales Territorium betritt".