Konflikt um Weltraumbahnhof in Brasilien, Quilombolas beenden Dialog mit der Regierung Lula

Raketenstartplatz soll um fast das Dreifache erweitert werden. Ländereien in Alcântara gehören traditionell den Quilombola-Gemeinschaften

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Die Quilombola aus Alcântara kämpfen seit 1983 um ihr Land, auf dem die Raketenbasis erreichtet wurde
Die Quilombola aus Alcântara kämpfen seit 1983 um ihr Land, auf dem die Raketenbasis erreichtet wurde

Alcântara. Die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva will den einzigen brasilianischen Weltraumbahnhof von 87 auf 213 Quadratkilometer erweitern. Die Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara haben daraufhin erklärt, dass sie die Interministerielle Arbeitsgruppe (GTI) verlassen.

Dies berichteten mehrere Medien wie Folha, G1 oder Brasil de fato.

Ziel der Arbeitsgruppe war es, die Forderungen der Quilombola mit den Interessen der Raumfahrtbasis Centro de Lançamento de Alcântara in einem Dialog in Einklang zu bringen. Die Basis wird vom Luftfahrtkommando der Luftwaffe an der nördlichen Atlantikküste im Bundesstaat Maranhão betrieben.

Seit 1983 schwelt auf der Halbinsel von Alcântara ein Konflikt um Land: Auf der einen Seite die Nachfahren der aus Sklavenherrschaft Entflohenen, die Quilombolas, die dort seit Generationen größtenteils in Subsistenz leben. Auf der anderen Seite der Staat Brasilien, der im Jahr 1983 dort das Gelände für den Bau von Brasiliens einzigem Weltraumbahnhof herrichtete.

87 Quadratkilometer Quilombola-Gebiet enteignete der Staat damals und wies den Bewohner:innen neue Ländereien zu. Die nahe am Äquator gelegene Station würde bei Starts von Raketen wesentliche Kostenersparnisse bewirken, da insgesamt weniger Treibstoff benötigt wird. Je mehr in Nord- oder Südpolnähe, dreht sich die Erde langsamer, in Äquatornähe beträgt die Rotation 1.630 km/h, dies wird für die Raumfahrt genutzt und bringt die entsprechende Ersparnis.

Die Quilombola von Alcântara haben durch alle Instanzen geklagt. 2022 zogen sie vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ihnen ging und geht es immer um die verweigerte Respektierung der traditionellen Land- und Bodenrechte ihrer dort seit Generationen lebenden Gemeinschaften.

Im April vergangenen Jahres fand während der 156. Sondersitzung des Gerichtshofs eine öffentliche Anhörung zu dem Fall statt. Dabei entschuldigte sich die brasilianische Regierung erstmals öffentlich: Der Staat habe das Recht auf Eigentum verletzt, weil er die Titulierung des traditionell von den Quilombola-Gemeinschaften besetzten Territoriums bis heute nicht gefördert beziehungsweise gar verschleppt habe. Diese Entschuldigung war ein Novum. Mit der neuen Regierung von Lula bestand die Hoffnung, dass sie aus ihren Erfahrungen mit Großprojekten gelernt haben könnte.

Nun aber will der Staat Alcântara von 87 auf 213 Quadratkilometer erweitern. Daraufhin verließen die Quilombola die Interministerielle Arbeitsgruppe.

Laut den Gemeinschaften hat die GTI nie technische Studien vorgelegt, die die Notwendigkeit einer Ausweitung begründen würden. Auch wirtschaftliche Machbarkeitsstudien seien nicht vorgelegt worden, die erlauben würden, die tatsächlichen wirtschaftlichen Vorteile zu kennen oder abzuschätzen, die sich aus der Privatisierungspolitik für den Weltraum ergeben würden. Nach Angaben der Regierung würde die Erweiterung der Raumfahrtbasis diese erfordern. Denn das große Geschäft in der Weltraumfahrt haben in den vergangenen Jahren die nicht-staatlichen Player erkannt. Lulas Amtsvorgänger Jair Bolsonaro bot seinerzeit die Alcântara-Basis direkt Elon Musk an.

Der Politikwissenschaftler Danilo Serejo aus dem Quilombo Canelatiua und Mitglied der Bewegung der von der Raumfahrtbasis Alcântara betroffenen Menschen, sagte, die Gemeinschaften bestünden darauf, dass der Staat ihre Bedingungen erfüllt, damit der Dialog vorankommt. "Die erste Bedingung, die wir nicht aufgeben werden, ist die Titulierung des Quilombola-Territoriums von Alcântara. Es gibt kein rechtliches Hindernis dafür, da der administrative und rechtliche Prozess bereits 2008 abgeschlossen wurde und es keine Anfechtungen gegeben hat", erklärt er.

Darüber hinaus fordern sie, dass die Regierung die betreffenden technischen Studien vorlegt, die die Notwendigkeit der Erweiterung der Basis und ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit belegen.

"Es ist inakzeptabel und weder rechtlich noch ethisch vertretbar, traditionelle Gemeinschaften im Namen eines geplanten Projekts von ihrem angestammten Land zu vertreiben, wenn es an Studien und realen Daten zu diesem Vorhaben fehlt. Noch inakzeptabler ist es, dass der brasilianische Staat seit mehr als drei Jahrzehnten die kollektiven Eigentumsrechte der Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara zugunsten einer Markterwartung verleugnet, dies aber ohne jede technische Grundlage oder öffentliche wirtschaftliche Parameter und Studien."

Es gebe für die Regierung keine Alternative zur sofortigen Titulierung des Gebiets, heißt es in Mitteilung der Quilombolas, in der sie den Austritt aus der GTI angekündigten.