Mexiko: Tausende fliehen vor Kämpfen zwischen Kartellen in Chiapas

Kartelle Sinaloa und Jalisco Nueva Generación kämpfen um Vorherrschaft über Grenzregion. Bewohner:innen: Staat gewährleistet keine Sicherheit für die Bevölkerung

420517158_688010746841813_275761172406639224_n.jpg

Tausende Menschen sind in Chiapas auf der Flucht vor der Bandengewalt
Tausende Menschen sind in Chiapas auf der Flucht vor der Bandengewalt

Tuxtla Gutiérrez. Im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas sind tausende Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen dem Sinaloa-Kartell und dem Kartell Jalisco Nueva Generación (CJNG) sowie zwischen den beiden Kartellen und den mexikanischen Sicherheitskräften.

Im Internet zirkulierende Fotos und Videos zeigen Menschen, die zu Fuß mit Taschen in ihren Händen aus den Gemeinden Chicomuselo, La Concordia und Socoltenango fliehen. Sie sprechen davon, dass ganze Dörfer durch ihre Bewohner:innen verlassen wurden.

Auch andernorts seien alle Bewohner:innen von Gruppierungen des organisierten Verbrechens vertrieben worden. Besonders betroffen sind die Regionen Frontera und Sierra in Chiapas an der Grenze zu Guatemala. Einige Menschen sollen sogar über die Grenze in das Nachbarland geflohen sein.

An der La Angostura-Talsperre kommen Kinder, ältere Menschen, Männer und Frauen an. Sie tragen einige ihrer Habseligkeiten in Plastiktüten, um sich mit Motorbooten auf die andere Seite des Gewässers fahren zu lassen. Die Bootsführer äußern am Ufer ihre Angst vor Racheakten durch das CJNG und das Sinaloa-Kartell, weil sie den Menschen geholfen haben.

In einem in den sozialen Medien verbreiteten Video berichtet ein Bauer, der alleine mit seinen Kindern im Dorf Nuevo Chejel zurückgeblieben ist: "Alles hier ist leer. Ich habe versucht, Plünderungen zu verhindern, weil man uns alleine gelassen hat."

Ein anderer Bewohner der Region berichtet: "Das Schlimme ist, dass die Regierung nichts tut. Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Regierung das CJNG schützt, weil sich deren Mitglieder und Sicherheitskräfte begegnen, ohne dass letztere einschreiten."

Bereits seit zwei Jahren führen die mächtigen Drogenkartelle Sinaloa und das CJNG immer gewalttätigere Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft über die Grenzregion. Dies hat neben bewaffneten Kämpfen zwischen den Gruppierungen auch zu Morden an Zivilist:innen, dem Verschwinden von Menschen, Erpressungen und ständigen Straßensperren geführt. Bewohner:innen berichten von Zwangsrekrutierungen durch die Kartelle, vor denen insbesondere die männliche Bevölkerung flieht.

Anfang Januar hatten Einwohner:innen der Gemeinde Chicomuselo berichtet, dass Mitglieder dieser Kartelle sich in der Gemeinde Nueva Morelia sieben Stunden lang bekämpften, wobei mehr als 20 Menschen starben, darunter zwei unbeteiligte Zivilisten. Hunderte Familien flüchteten.

"Wir sehen, dass die mexikanische Armee, die Nationalgarde und die staatlichen Behörden ihre Aufgabe, Frieden und Sicherheit für die Bevölkerung zu garantieren, die dies so oft gefordert hat, nicht erfüllen", heißt es in einer öffentlichen Erklärung, das mit "Zivilgesellschaft von Chicomuselo" unterzeichnet ist. "Als Bürger fragen wir uns: Warum handeln die Armee, die Nationalgarde und die Staatspolizei nicht? Worauf warten sie, um diese kriminellen Gruppen zu zerschlagen und zu entwaffnen, die Menschen als menschliche Barriere benutzen?", so das Dokument weiter.

Aufgrund der eskalierenden Situation sind auch die mexikanische Armee und die Nationalgarde in der Region verstärkt präsent, was indes zu einer weiteren Eskalation der Gewalt führt.

Einwohner von Chicomuselo berichteten vergangene Woche, dass Hunderte von Familien aus La Concordia und Socoltenango am 16. Januar vertrieben wurden, als es zu Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der beiden Kartelle kam und Truppen der Armee einmarschierten. Diese setzten Tränengas gegen Einwohner:innen ein, die sich über das mangelnde Vorgehen gegen Gruppen des organisierten Verbrechens beschwerten und sich dem Abriss einer Einfriedung widersetzten. Ein Video dokumentiert, wie ein Soldat einen Bauern beschimpft: "Es ist unsere Pflicht, für die Sicherheit aller Gemeinschaften zu sorgen. Das Problem seid ihr, weil ihr flieht, ihr Feiglinge."

Die katholische Organisation Cáritas der Diözese San Cristóbal hat unterdessen zu einer Lebensmittelspendenkampagne aufgerufen und bittet die Bevölkerung um Unterstützung für die fliehenden Menschen. "Seit dem 16. Januar sind Hunderte von Familien aus verschiedenen Ortschaften der Gemeinden Chicomuselo, Socoltenango und La Concordia aufgrund der Gewalt geflohen. Auf ihrer Flucht haben sie nichts mitgenommen, weshalb sie unsere Hilfe benötigen", heißt es in einer Mitteilung.