Argentinien / Politik

Argentinien: "Für die Wahrheit, gegen den Negationismus"

argentinien_treffen_gegen_negationismus.jpeg

Innenminister de Pedro, Taty Almeida (Madres de Plaza de Mayo-Línea Fundadora), Estela de Carlotto (Abueles) und Pietragalla Corti (von li. nach re.) bei der Bundestagung für Menschenrechte
Innenminister de Pedro, Taty Almeida (Madres de Plaza de Mayo-Línea Fundadora), Estela de Carlotto (Abueles) und Pietragalla Corti (von li. nach re.) bei der Bundestagung für Menschenrechte

Buenos Aires. Rund 3.000 argentinische Menschenrechtsaktivist:innen haben sich vor kurzem zur "Siebten Bundestagung für Menschenrechte" getroffen. Es ging vor allem darum, wie der Vormarsch des Negationismus – die Verbrechen der Militärdiktatur (1976-1983) relativierenden oder verleugnenden Diskurse der radikalen Rechten um den Präsidentschaftskandidaten Javier Milei – gestoppt und eine Erinnerungskultur aus Opfersicht gestärkt werden kann.

Ort der Versammlung war die ehemalige Mechanikerschule der Marine (ESMA), die kürzlich von der UN-Kommission für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) als Symbol für die "illegale Repression" zum Weltkulturerbe erklärt wurde (amerika21 berichtete). Die seit 2015 ein Museum für Erinnerung und Menschenrechte beherbergende Ex-ESMA diente während der Militärdiktatur als Folterzentrum und Konzentrationslager, in dem rund 5.000 Männer und Frauen misshandelt und meist getötet wurden.

Den Widerstand beschwörten auch die historischen Gründerinnen der Angehörigen- und Hinterbliebenenorganisation. Allen voran die bald 93-jährige Estela de Carlotto, Präsidentin der Großmütter der Plaza de Mayo. Ihre älteste Tochter wurde entführt und ermordet, nachdem sie im Gefängnis ihr Baby zur Welt gebracht hatte. "Wir wissen, was es bedeutet, Glauben zu haben und unsere Kinder nicht zu vergessen". Die Rechte werde es nicht schaffen, die Erinnerung verschwinden zu lassen, bekräftigte sie, ohne Namen zu nennen, in Richtung von Victoria Villarruel, Mileis Kandidatin für das Vize-Präsidentenamt und "die Frau, die den Völkermord rechtfertigt".

Eduardo "Wado" de Pedro, aktueller Innenminister, nannte die Ausdauer der Mütter und Großmütter-Bewegungen beispielhaft. Der kurz nach dem Putsch Ende 1976 geborene de Pedro, dessen Eltern von den Militärs ermordet wurden, versuchte nach vorne zu schauen: "Wir müssen die Flamme der Erinnerung am Leben erhalten, den neuen Generationen erklären, dass dieser Kampf etwas mit ihrem Leben zu tun hat".

Auch für Horacio Pietragalla Corti, Staatssekretär für Menschenrechte, besteht die "große Herausforderung darin, dass die Gesellschaft erkennt, dass diejenigen, die sich auf die Freiheit berufen, dieselben sind, die jene Völkermörder verteidigen, die die Freiheit zerstörten".

Nachdem Milei bei den Vorwahlen im August fast 30 Prozent der Stimmen erreicht hatte, ging es auch darum, die Position der Linken im Wahlkampf zu stärken. "Nichts ist verloren – wenn wir alle weiter Widerstand leisten", so Pietragalla Corti.

"30.000 Häftlinge – verschwunden, aber anwesend" wurde zum Abschluss skandiert und die von Milei angezweifelte Opferzahl bestätigt, die Hände erhoben oder zur Faust geschlossen, die Finger oft in Form eines V.

Auch in der argentinischen Abgeordnetenkammer wurden der Negationismus von Milei und Villarruel jüngst von einigen linksperonistischen Abgeordneten und der Präsidentschaftskandidatin der Linken, Myriam Bregman, angeprangert.

Juan Gollán, der im Juli 1977 verhaftet wurde, schilderte die selbst erlittene Folter: "Stundenlange Stöße am Körper und im Mund, Elektroschocks, Stunden um Stunden, Tage um Tage, Kopf unter Wasser ohne Ende... Und wenn du hinfielst, schlugen sie dich. Bei einem Schlag fiel ich in Ohnmacht und wachte gefesselt in einem Badezimmer auf, wo man auf mich urinierte".

"In einem Land, in dem die große Mehrheit gesagt hat, dass dies nicht wieder passieren darf", so der Abgeordnete, "wie können Kandidaten heute sagen, dass es eine Lüge war?" Er stellte klar: "Die Soldaten beaufsichtigten die 'Arbeit', die verrichtet wurde. Es gab keine Exzesse, es war ein systematischer Plan, der vom Oberkommando der Streitkräfte durchgeführt und überwacht wurde. Lasst uns das nicht banalisieren".

Villarruell hatte wiederholt geäußert, dass es in Argentinien keinen Staatsterrorismus, sondern einen Bürgerkrieg zwischen staatlichen und kommunistischen Kräften gegeben habe, in dem es vereinzelt "Exzesse" der Polizei und des Militärs gegeben habe.

"Wir können das nicht tolerieren", so Golán. Unter Präsident Raúl Alfonsín (1983-1989) habe die Gesellschaft "eine historische Entscheidung getroffen: 'Nie wieder'. Wir dürfen nicht mehr darüber diskutieren, trotz Differenzen und des Abgrunds zwischen Meinungen".

Auch der Linksperonist Juan Marino rief zur Einheit und Abgrenzung der demokratischen Kräfte auf: "Es war kein Krieg, es war Völkermord, es waren keine Exzesse, es war ein systematischer Plan". Die Kluft verlaufe nicht mehr zwischen Peronisten und Anti-Peronisten, "sondern zwischen denen, die völkermörderische Militärs freisprechen und denen, die das 'Nie wieder' verteidigen".