Diktaturverbrechen: Oberster Gerichtshof in Chile verurteilt 37 Geheimdienstagenten

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Provisorische Tafel am ehemaligen Vernichtungszentrum Simon Bolivar in der Gemeinde La Reina
Provisorische Tafel am ehemaligen Vernichtungszentrum Simon Bolivar in der Gemeinde La Reina

Santiago. Während sich dieses Jahr im September zum 50. Mal der Militärputsch in Chile jährt, blicken Angehörige und Freunde der Opfer, Menschenrechtsorganisationen und die Kommunistische Partei Chiles (PCCh) mit Genugtuung auf das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofes.

Nach 47 Jahren hat die Strafkammer Verbrechen in der ehemaligen Geheimdienstzentrale der DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) in der Straße Simón Bolívar aufgeklärt und dort ehemals agierende Agenten der "Brigade Lautaro" verurteilt.

Nach dem Putsch vom 11. September 1973 begann eine Verfolgungswelle von Anhängern der sozialistischen Regierung von Salvador Allende und Gegnern der Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet. Der Geheimdienst DINA war während der Diktatur (1973-1990) federführend an 3.200 Morden und Fällen von Verschwindenlassen beteiligt. Nach offiziellen Zahlen der Kommission Vallech sind rund 40.000 Menschen aus politischen Motiven inhaftiert und gefoltert worden.

Als Fälle "Calle Conferencia I y II" werden zwei geheime Operationen der DINA bezeichnet, die im Jahr 1976 die damalige Führung der Kommunistischen Partei zerschlagen hat. Die Mitglieder zweier geheim tätiger Parteivorstände der PCCh wurden entführt, gefoltert, ermordet und ihre Körper aus Hubschraubern über dem Meer abgeworfen.

Im jetzt zu Ende gegangenen Prozess konnte der Fall "Conferencia II", die zweite Verhaftungswelle ‒ benannt nach der Straße Conferencia in Santiago, wo die Verhaftungen erfolgten ‒ aufgeklärt werden. Insgesamt wurden 37 Militär- und Polizeiangehörige, darunter ein Hubschrauberpilot, Unteroffiziere sowie Zivilangestellte, je nach Verantwortung zu zwischen zwei und zwanzig Jahren Haft verurteilt.

Kläger Nelson Caucoto, ein bekannter Menschenrechtsanwalt, zeigte sich zufrieden, dass im Prozessverlauf auch die lange Zeit im Dunkeln liegende Geschichte der DINA-Zentrale in der Straße Simón Bolívar aufgeklärt wurde, "aus der niemand lebend herauskam und niemand der brutalen Folter entkam". Die Immobilie wurde 1989, zum Ende der Militärdiktatur, verkauft, um dort einen Wohnkomplex zu errichten. Dadurch war es nicht möglich, dort eine Mahn- und Gedenkstätte einzurichten.

50 Jahre nach dem Militärputsch sende "die Strafkammer das Signal aus, dass die Schuldigen für solche Gräueltaten bestraft werden, egal wie viel Zeit seit den Ereignissen vergangen ist", so der Anwalt.

In einer ersten Stellungnahme sagte Estela Ortíz, Tochter des ermordeten Juan Fernando Ortíz Letelier, Universitätsprofessor und Mitglied des Zentralkomitees der PCCh: "Ich habe 47 Jahre und sechs Monate auf Gerechtigkeit gewartet. Sie haben meinen Vater und seine Genossen aus ideologischen Gründen ermordet. Was in Chile geschah, war so schwerwiegend, dass sich das Urteil sogar an den Verfahren der Nürnberger Prozesse orientierte. Es gibt immer noch etwa 1.500 offene Fälle, die eine Antwort verlangen. Wie lange soll das verschwörerische Schweigen noch dauern?"

Nur wenige Tage vorher, am 17. Juni wurden vier ehemalige Militärs wegen Mordes an zwölf Personen in Valdivia im Rahmen der "Todeskarawane" (Caravana de la Muerte) zu langen Haftstrafen verurteilt. Die "Caravana de la Muerte" war eine Aktion, bei der kurz nach dem Putsch 1973 eine Gruppe hoher Offiziere im Hubschrauber von Stadt zu Stadt flog, um die Ermordung von Anhängern Allendes vor Ort anzuordnen und zu überwachen.

Auf parlamentarischer Ebene wurde im Mai mit großer Mehrheit ein Antrag von einer Gruppe unabhängiger Abgeordneter angenommen, der vorsieht, misshandelte Wehrpflichtige als Opfer der Diktatur anzuerkennen und zu entschädigen. Hunderte Wehrpflichtige ‒ es klagen 438 von ihnen ‒ wurden nach eigenen Angaben gegen ihren Willen von der DINA verpflichtet und zur Beteiligung an Verbrechen gegen Gefangene gezwungen. Andere wurden mit körperlicher und psychischer Gewalt eingeschüchtert, gefügig gemacht oder zum Schweigen verpflichtet.