Mexiko: Nestlé scheitert mit Lobbyismus gegen Verbraucher:innenschutz

Laut "Public Eye" hat der Konzern über das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft versucht, einen Warnhinweis für ungesunde Lebensmittel zu verhindern

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Coca-Cola und Cremax Waffeln. Nur zwei von zahllosen Produkten, die in Mexiko inzwischen kennzeichnungspflichtig sind
Coca-Cola und Cremax Waffeln. Nur zwei von zahllosen Produkten, die in Mexiko inzwischen kennzeichnungspflichtig sind

Mexiko-Stadt/Bern. Die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye hat in einem Bericht zutage gefördert, mit welchen Geschäftspraktiken Nestlé versucht hat, den Erlass eines Gesetzes zum Verbraucher:innenschutz in Mexiko zu verhindern.

Es geht um die Verordnung 'Norma Oficial Mexicana 051' – kurz NOM-051, die im Oktober 2020 in Kraft trat. Diese sieht vor, dass Produkte, die übermäßige Mengen an Kalorien, Zucker, Salz, Transfetten und/oder gesättigten Fetten enthalten, jeweils mit einem großen schwarzen Stoppschild und dem entsprechenden Hinweis gekennzeichnet werden müssen. Zusätzlich dürfen solche Produkte nicht mit Spielzeugen, Stars oder Comic-Figuren beworben werden.

Für Nestlé ist dies ein herber Schlag, da von den knapp drei Miliarden Schweizer Franken, die das Unternehmen 2019 in Mexiko umsetzte, circa ein Drittel auf Produkte entfiel, die inzwischen kennzeichnungspflichtig sind.

Es liegen starke Hinweise darauf vor, dass das relativ leicht verständliche Stoppschild-System beträchtliche Auswirkungen auf die Kaufgewohnheiten der Konsument:innen haben kann. Daraus erklärt sich wohl, warum Nestlé beim Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) anklopfte, um das Bundesamt dazu zu bewegen, seinen Einfluss bei der mexikanischen Regierung geltend zu machen und den Erlass des Gesetzes zu verhindern oder wenigstens zu verzögern. Eine Bitte, dem das Seco in Kooperation mit entsprechenden Regierungsstellen der USA und der Europäischen Union auch prompt nachkam, wenn auch letztlich erfolglos.

Dennoch ist es genauso erschreckend wie wenig überraschend, wie sich die offiziellen politischen Akteure der Staaten des Globalen Nordens im Interesse ihrer heimischen Großkonzerne gegen eine Verbesserung des Verbraucher:innenschutzes in Ländern wie Mexiko einsetzen.

In Lateinamerika befindet sich Mexiko indes in guter Gesellschaft: 2012 bzw. 2019 verabschiedeten Chile und Peru vergleichbare Gesetze, 2021 folgten Uruguay, danach Brasilien und Kolumbien und zuletzt im März 2022 Argentinien.

Die Verschärfung der Gesetze in Mexiko ist ein wichtiger Schritt in eine gesündere Zukunft: Der OECD zufolge sind 73 Prozent der Menschen im Land übergewichtig und 34 Prozent krankhaft fettleibig. Im Jahr 2021 waren 16,9 Prozent der Bevölkerung zwischen 20 und 79 Jahren an Diabetes 2 erkrankt. Damit steht Mexiko weltweit an der Spitze.

Im Jahr 2016 verkündete die damalige Regierung, dass ungesunde Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel für 32 Prozent (Frauen) bzw. 20 Prozent (Männer) der Todesfälle im Land verantwortlich sind. Sie riet den Mexikaner:innen deshalb, weniger Zucker, Salz und fetthaltige Getränke und Speisen zu verzehren. Da der bloße Appell an die Bevölkerung jedoch nicht ausreichte, wurde noch im selben Jahr der nationale Notstand ausgerufen.

Neben den Menschen leidet auch die Wirtschaft Mexikos an den Auswirkungen des weit verbreiteten Übergewichts. Unterstaatssekretär Ernesto Acevedo wies im Jahr 2020 darauf hin, dass die 'Adipositas-Epidemie' Mexiko zwischen 2020 und 2050 jährlich 5,3 Prozent seines BIP kosten wird – etwa 1,3 Billionen Pesos.

Die Ernährungsgewohnheiten der Mexikaner:innen insgesamt sind ein großes Problem: Der Pro-Kopf Verkauf von hochverarbeiteten Lebensmitteln (ultra processed foods) wie Fertigpizza, Schokolade, Energy Drinks oder Hot Dogs ist mit jährlich 214 Kilogramm der vierthöchste weltweit.

Der Welternährungsorganisation zufolge geht ein hoher Konsum dieser Lebensmitteln in der Regel mit einer deutlich messbaren Verschlechterung der Ernährungsqualität einher.

Eine wichtige Rolle spielt der Konsum von Softdrinks, besonders Coca-Cola. Im Schnitt trinkt jede:r Mexikaner:in pro Jahr 700 Gläser davon. Und dies beginnt bereits in frühen Jahren. In der Altersgruppe der 5- bis 11-Jährigen konsumieren 93 Prozent gesüßte Getränke, neben Softdrinks auch Säfte, und 50 Prozent Snacks, Süßigkeiten und Desserts, jedoch nur 45 Prozent Obst und nur 20 Prozent Gemüse und Hülsenfrüchte.

Der Handlungsbedarf liegt also auf der Hand, dennoch wird das NOM-051 an manchen Stellen noch unterlaufen. Das Nachrichtenportal El Diario berichtet, dass vor allem kleinere Firmen die Regelung teilweise ignorieren und daher diverse Produkte, vor allem Säfte und Süßigkeiten, nach wie vor ohne die schwarzen Siegel verkauft werden.