FAO: Lateinamerika zwischen Fettleibigkeit und Hunger

Mehr als 360 Millionen Menschen in der Region übergewichtig. Konsum von "Junkfood" stark angestiegen. 34 Millionen ohne ausreichenden Zugang zu Nahrung

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Mit drastischen Bildern will die Regierung von Venezuela über die gesundheitlichen Gefahren aufklären: "23 Prozent der Herzkrankheiten sind Folge von Übergewicht und Fettleibigkeit"
Mit drastischen Bildern will die Regierung von Venezuela über die gesundheitlichen Gefahren aufklären: "23 Prozent der Herzkrankheiten sind Folge von Übergewicht und Fettleibigkeit"

Santiago de Chile. In Lateinamerika und der Karibik sind Übergewicht und Fettleibigkeit inzwischen so weit verbreitet, dass sie als "Epidemie" qualifiziert werden müssen. Zu diesem Schluss kommt die Regionalvertreterin der Welternährungsorganisaton der Vereinten Nationen (FAO), Eve Crowley. Sie stellte in Chiles Hauptstadt am Donnerstag die neuesten Berichte der FAO und der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS) zum Stand der Lebensmittel- und Ernährungssicherheit in Lateinamerika vor.

Demnach leben 58 Prozent der Bewohner der Region mit Übergewicht, das sind mehr als 360 Millionen Menschen. Weitere 140 Millionen sind von Fettleibigkeit betroffen. Im Durchschnitt ist in jedem Land mindestens die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig.

In den vergangenen Jahren stiegen diese Zahlen schnell, unabhängig von der wirtschaftlichen Situation, der Ethnie oder dem Wohnort, so Crowley. Sie betonte jedoch, dass die Gebiete, in denen am meisten verarbeitete Lebensmittel konsumiert werden, auch am meisten gefährdet sind. Zudem geht aus den Statistiken hervor, dass mehr Frauen als Männer betroffen sind, mit einem Abstand von bis zu zehn Prozent in mehr als 20 Ländern.

Nach Auffassung der FAO-Vertreterin liegt die Ursache in der Veränderung der Essgewohnheiten: In den letzten Jahrzehnten haben sich immer mehr Menschen in Städten angesiedelt und im Zuge der Globalisierung der Märkte nahm der Konsum von industriellen Lebenssmitteln, die viel Zucker, Salz und Fette enthalten, auf Kosten der traditionellen Nahrungszubereitung mit den verschiedenen lokalen und frischen Produkten zu. Zudem seien die Preise für gesunde Lebensmittel gestiegen. Gleichzeitig stehen immer mehr stark bearbeitete Produkte zur Verfügung, die auch schon von Kindern konsumiert werden, so dass diese sich daran gewöhnen. Im Jahrbuch der Weltgesundheitsorganisation von 2015 hieß es beispielsweise zu Mexiko, dass "die meiste Kalorienzufuhr bei Kindern im Vorschulalter durch verarbeitete Lebensmittel und zwölf Prozent durch Fertiggetränke erfolgt".

Es gebe auch Grund zur Hoffnung, so Crowley weiter: Die Erfahrung in Lateinamerika bei der Bekämpfung des Hungers sei sehr wertvoll. Heute liege die Zahl der unterernährten Kinder und die der Mangelernährung im Allgemeinen weit unter der von vor 20 Jahren. Dennoch hätten noch immer 34 Millionen Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Lebensmitteln. Die Verteilung des Reichtums sei nach wie vor extrem ungleich.

Ernährung aus frischen, nahrhaften, gesunden und nachhaltig produzierten Lebensmittel müsse gefördert werden. Dieser Vorschlag integriere Landwirtschaft, Ernährung und Gesundheit. Zwar produziere die Region ausreichend Nahrungsmittel für die gesamte Bevölkerung, die angewandten Methoden zerstörten jedoch oftmals die Ökosysteme und Böden. Jedes Jahr landeten zudem 127 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll.

Jede Regierung müsse angemessene Politiken entwickeln, um die Ursachen von Hunger und Mangelernährung zu bekämpfen und zugleich gegen Übergewicht und Fettleibigkeit und deren Folgen für die Gesundheit vorgehen. Diese Aufgabe könne nicht "der indifferenten Hand des Marktes" überlassen werden, sondern müsse staatliche Politik sein, "die Nahrungsmittelsicherheit, Nachhaltigkeit, Landwirtschaft, Ernährung und Gesundheit verbindet", sagte Crowley weiter.

Besonders betroffen von Übergewichtigkeit bei Erwachsenen ist Chile (63 Prozent), gefolgt von Venezuela (62,3) und Uruguay (61,7). Nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2015 sind es in Mexiko bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zusammen rund 70 Prozent. Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig oder fettleibig. Auch die WHO stellte als eine zentrale Ursache für diese Fehlernährung den wachsenden Konsum von weiterverarbeiteten Nahrungsmitteln und sogenannten Softdrinks fest. Diese Produkte aus den Fabriken der großen Nahrungsmittelkonzerne werden auch in Lateinamerika massiv beworben und verdrängen regionale landwirtschaftliche Produkte. Statistischen Erhebungen zufolge ist der Pro-Kopf-Verzehr von "Junkfood" seit dem Jahr 2000 um mehr als ein Viertel gestiegen.

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