Kolumbien: Die gewählte Regierung plant Entmilitarisierung der Polizei

Petro will Polizei einem neuen "Friedensministerium" zuteilen. Erste Kabinettsmitglieder stehen fest. Heterodoxer Starökonom wird Finanzminister

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Während der sozialen Explosion im Jahr 2021 sind 133 Protestierende getötet und 2.607 gefoltert worden
Während der sozialen Explosion im Jahr 2021 sind 133 Protestierende getötet und 2.607 gefoltert worden

Bogotá. Eine grundlegende Veränderung der Polizei gehört zu den Prioritäten der im August antretenden progressiven Regierung von Gustavo Petro und Francia Márquez. Das bedeutet in erster Linie, die Institution aus dem Verteidigungsministerium auszugliedern. Damit wird die Regierung eine zentrale Forderung von sozialen Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen erfüllen.

Die Idee ist, die Polizei in einem neuen Ressort anzusiedeln, nämlich dem "Ministerium für Frieden, Sicherheit und Zusammenleben". Dies teilte der künftige Senatspräsident der Regierungskoalition Pacto Histórico, Roy Barreras, mit.

"Die primäre Aufgabe des Staates ist es, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, und dies geschieht mit Hilfe der kolumbianischen Polizei. Der traditionelle Zustand einer militarisierten Polizei, die dem Druck des Konflikts ausgesetzt ist, hat zu einer gewissen Distanzierung zwischen der Polizei und den Bürgern geführt. Wir müssen dieses Vertrauen zurückgewinnen", so Barreras.

Tatsächlich hatten Menschenrechtsorganisationen vor allem anlässlich der äußerst gewaltsamen Polizeieinsätze während der "sozialen Explosion" im Jahr 2021, bei denen 133 Protestierende getötet und 2.607 gefoltert wurden, eine Reform der Polizei gefordert. Kolumbianische Organisationen wie Indepaz, Temblores und Defender la Libertad hatten die Regierung von Präsident Iván Duque aufgefordert, die Polizei als eine zivile Kraft zu organisieren, "die nicht weiterhin nach der Logik des bewaffneten Konflikts" handelt.

Das bedeutet für die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte CIDH "die Nationale Polizei und ihre [Sondereinheit] Esmad, vom Verteidigungsministerium zu trennen". Die Ordnungskräfte sollten die Zivilbevölkerung nicht als Feind behandeln, sondern sie beschützen. Dies gehört auch zu den Empfehlungen der Wahrheitskommission, deren Schlussbericht kürzlich veröffentlicht wurde.

Die Schaffung des Ministeriums für Frieden, Sicherheit und Zusammenleben, unter dem die Regierung Petro die Polizei unterbringen wird, gehört zu den ersten fünf Gesetzentwürfen, die die progressive Regierung einbringen möchte.

Die anderen vier betreffen Steuer- und Agrarreformen, eine Reform des politischen Systems und des Wahlsystems sowie die Schaffung des Ministeriums für Gleichheit, das von der Vizepräsidentin Francia Márquez geführt werden soll. Darüber hinaus hatte Petro Reformen des Renten-, Bildungs- und Gesundheitssystems in der Wahlkampagne angekündigt.

Die Steuerreform ist zentral für den Aufbau des Sozialstaats, den Petro in Angriff nehmen will, und für die Sanierung des großen Haushaltsdefizits, das die Regierung Duque hinterlässt. Ziel sei, die Steuereinnahmen um circa fünf Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Dabei soll die steuerliche Ungerechtigkeit korrigiert werden: Die 4.000 größten Vermögen will die neue Regierung höher besteuern. Sie wird ebenso Steuervergünstigungen für Personen oder Unternehmen mit hohen Einkommen oder Vermögen abschaffen und Steuerhinterziehung stärker bekämpfen.

Petro hat den künftigen Finanzminister, José Antonio Ocampo, beauftragt, die Steuerreform noch in diesem Jahr durchzubringen. Die Ernennung von Ocampo beruhigt das Großunternehmertum, das dem Sieg eines linken Politikers wie Petro misstrauisch gegenüber steht.

Der international anerkannte Volkswirtschaftler ist Vorsitzender des Komitees für Entwicklungspolitik des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen. 2012 hat er für den Vorsitz der Weltbank als Vertreter der "Entwicklungsländer" kandidiert. Ocampo hat einen Führungsposten in der Volkswirtschaftslehre der Columbia University in New York.

Der 69-Jährige vertritt keine neoliberale Politik. Er gehört zur Schule der heterodoxen Ökonomie, die für eine soziale Wirtschaft innerhalb des Kapitalismus steht. Ocampo hat mehrere Bücher mit dem Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz herausgegeben, darunter "The Welfare State Revisited" (2018).

Der Ökonom gehört zu den sieben Minister:innen, die bislang als Angehörige von Petros Kabinett feststehen. Die anderen sind mehrheitlich Frauen, nämlich Francia Márquez als Ministerin für Gleicheit, Patricia Ariza als Kulturministerin, Carolina Corcho als Gesundheitsministerin, Cecilia López als Landwirtschaftsministerin und Susana Muhamad als Umweltministerin.

Ariza blickt auf eine erfolgreiche Karriere als Lyrikerin und im Theater sowie in der Verteidigung der Menschenrechte zurück. Die 76-Jährige war Mitglied der Kommunistischen Partei und später der Unión Patriótica.

Die Chirurgin und Psychiaterin Carolina Corcho hat eine lange Geschichte in den sozialen Kämpfen im Gesundheitswesen. Sie befürwortet den Aufbau eines öffentlichen Gesundheitssystems ohne private Versicherungsunternehmen (EPS), die Gesundheit als Ware und nicht als Recht der Bürger:innen behandeln.

Die Volkswirtschaftlerin Cecilia López war bereits Landwirtschaftsministerin (1994-1996) unter Präsident Ernesto Samper. Neben Ocampo war sie Teil einer Gruppe von Expert:innen, die den ehemaligen Präsidenten Juan Manuel Santos zu Themen der Landpolitik beraten haben.

Die Umweltaktivistin Susana Muhamed hat als Dezernentin für Umwelt in Bogotá gearbeitet, als Petro Oberbürgermeister war. Bis vor kurzem gehörte sie als Stadträtin zur Oppositionsgruppe der grünen Oberbürgermeisterin Claudia López.

Außenminister wird Alfonso Leyva, ein Mitglied der Konservativen Partei. Der 80-Jährige hat den Pacto Histórico vor den Wahlen intensiv unterstützt. Er hat sich bei Friedensprozessen mit den Guerillas bei früheren Regierungen engagiert. Nun soll Leyva internationale Unterstützung für die Konsolidierung des Friedens gewinnen und die Kooperation zur Bekämpfung des Klimawandels mit anderen Ländern fördern.