Caracas. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Venezuelas ist im Jahr 2021 um 8,5 Prozent gewachsen. Diese Zahl zitiert die US-Zeitung Washington Post nach Angaben der Schweizer Großbank Credit Suisse. Das Ergebnis übertrifft sogar die Angaben der venezolanischen Regierung.
Die wirtschaftliche Belebung geht einher mit der Überwindung der Hyperinflation, die das Karibikland seit November 2017 im Griff hielt. Von einer Überwindung sprechen die Ökonomen, wenn die Inflation fünf Monate in Folge im einstelligen Bereich geblieben ist. Für den Januar lag der Anstieg der Preise in Venezuela bei 6,7 Prozent.
Der Geschäftsführer für Lateinamerika bei Global Sovereign Advisory (GSA) und frühere stellvertretende Außenminister von Venezuela, Temir Porras Ponceleón, erklärt die "Verblüffung" bei Beobachtern mit dem "vorherrschenden Narrativ", wonach das Land nicht zu Wohlstand zurückkehren könne, solange es vom Chavismus regiert werde und "mit der US-Regierung zerstritten" sei.
In seinem in der Washington Post medienpolitisch ungewöhnlich auch im Titel als "Meinungsartikel" gekennzeichneten Beitrag hebt Porras auf Änderungen in der Wirtschaftspolitik der venezolanischen Regierung ab. Diese habe "mit zweifellos einer 180-Grad-Wende" eine makroökonomische Politik eingeleitet, "die sich nun auszuzahlen beginnt". Anfang Januar dieses Jahres ging durch verschiedene Medien, dass die venezolanische Regierung ökonomische Ratgeber des früheren ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa einbezogen hätte (Amerika21 berichtete).
Porras hebt hervor, dass Venezuela im August 2018 das Gesetz aufhob, das den Umlauf des US-Dollar verbot. Gleichzeitig habe sie die monetäre Finanzierung des Haushaltsdefizits reduziert. Die Legalisierung des Dollar habe auf den Preisbildungsprozess stabilisierend gewirkt und den Privatsektor in die Lage versetzt, Geschäfte und Investitionen zu planen und in einer stabilen Währung abzuwickeln.
Zu den Auswirkungen gehörte, dass – nach Angaben des venezolanischen Wirtschafts- und Finanzministeriums – noch im Jahr 2019 75 Prozent der drei Millionen Tonnen Rohstoffe und Lebensmittel vom Staat importiert werden mussten. Im Jahr 2020 wurden demnach 92 Prozent der Gesamtmenge von vier Millionen Tonnen von der Privatwirtschaft eingeführt. Damit stieg die Nahrungsmittelversorgung von nur 20 Prozent des nationalen Bedarfs im Jahr 2017 auf 89 Prozent im Jahr 2021. Die Steuereinnahmen des Staates stiegen zwischen 2020 und 2021 um 53 Prozent, was eine Haushaltskonsolidierung ermöglichte. Im November letzten Jahres konnten mehr als 90 Prozent der öffentlichen Ausgaben durch Steuereinnahmen gedeckt werden.
Sie interessieren sich für das Geschehen im globalen Süden?
Wir versorgen Sie mit Nachrichten und Hintergründen aus Lateinamerika. Unterstützen Sie uns mit einer Spende.
Die makrofiskalische Stabilisierung wirkte sich auch positiv auf die Erdölindustrie aus. Im Juni 2020 hatte die Ölproduktion des Landes einen historischen Tiefstand von 390.000 Barrel pro Tag, inzwischen ist sie wieder auf rund eine Million Barrel gestiegen. Ein Faktor ist nach Porras, dass private Exporteure ausländische Kunden gefunden haben, die trotz der US-Sanktionen bereit waren zu kaufen. Zudem habe die Regierung sich auf Investitionen konzentriert, die auf die Reaktivierung der bestehenden Infrastruktur abzielten und nicht auf kostspielige Erschließung neuer Ölvorkommen. Dies steht vor dem Hintergrund, dass Venezuela mit Reserven von einer halben Billion Barrel nach wie vor über die größten Erdölvorkommen in der Welt verfügt.
Der führende Analyst von GSA merkt an, dass "in der Tat einige Katastrophenapostel keine Mühen gescheut" hätten, "ihre Predigten [über Venezuela als 'failed state'] zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu machen". Die US-Regierung habe harte Sanktionen gegen Venezuela verhängt, die "die schwerste soziale und humanitäre Krise in der Geschichte Lateinamerikas verschärften". Die venezolanische Gesellschaft sei "kollektiv und absichtlich im Namen einer Politik bestraft" worden, "die vorhersehbar ihr Ziel eines 'Regimewechsels' verfehlt" habe.
Mit dem Abschneiden von internationalen Finanzmitteln sei der Staat in die Zahlungsunfähigkeit getrieben worden. Und dies zum Zeitpunkt einer Pandemie, mit der "Venezuela einfach sich selbst überlassen" wurde. Immer noch werde dem Land der Zugang zu einer Notfinanzierung durch den Internationalen Währungsfonds und zu Sonderziehungsrechten, auf die es Anspruch hat, verwehrt.
Noch immer, so Porras, sei die Wirtschaftskraft von Venezuela "nur ein Bruchteil dessen, was sie vor einem Jahrzehnt war." Ein nachhaltiges und dauerhaftes Wirtschaftswachstum stehe noch aus, die venezolanische Gesellschaft habe sich jedoch "bereits mit eigenen Anstrengungen und Verdiensten" darauf zubewegt.
Der Geschäftsführer von GSA empfiehlt abschließend, dass "die internationale Gemeinschaft und in erster Linie die USA ihre ungerechten Schikanen einstellen und die Wiedergeburt der venezolanischen Wirtschaft zum Wohle aller begleiten" sollten.