Proteste und Diskussionen nach Zwangsräumung in Argentinien

4.000 Polizisten mit Gummigeschossen und Tränengas gegen 1.400 prekär niedergelassene Familien. Kritik von Menschenrechtsgruppen. Staat verspricht Hilfe

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"Land um darauf zu leben ist ein Recht": Protest in Buenos Aires gegen die Räumung von Guernica
"Land um darauf zu leben ist ein Recht": Protest in Buenos Aires gegen die Räumung von Guernica

Buenos Ares. Tausende Personen haben im Zentrum der argentinischen Hauptstadt gegen die gewaltsame Landräumung in der Ortschaft Guernica demonstriert. An den Protesten beteiligten sich neben direkt Betroffenen auch zahlreiche soziale Organisationen, linke Gruppen sowie Vertreter der Gewerkschaft marginalisierter Arbeiterinnen und Arbeiter (UTEP).

Ab Juli des Jahres ließen sich bis zu 2.500 Familien auf dem rund 100 Hektar großen Gelände in der Provinz Buenos Aires nieder und hielten es seither besetzt (Amerika21 berichtete).

Zu den Gründen für die Landbesetzung inmitten des Lockdowns wegen der Corona-Pandemie hatten sie erklärt: "Unsere Lage wird immer aussichtsloser. Das Geld reicht nicht mehr, um die Miete zu bezahlen. Auf den Grundstücken unserer Familien ist kein Platz mehr für weitere Unterkünfte. Uns wurden die Gehälter gekürzt, viele wurden entlassen, und die Gelegenheitsarbeiten werden immer weniger. Die Gesetze zum Verbot von Entlassungen und Zwangsräumungen werden nicht eingehalten. Viele von uns leben bereits auf der Straße, insbesondere Frauen, die mit ihren Kindern vor häuslicher Gewalt flüchten."

Ende Oktober erfolgte die gewaltsame Räumung des Geländes, auf dem rund 1.400 Familien verblieben waren, unter Einsatz von 4.000 Polizeibeamten.

In einer Pressekonferenz berichteten die Betroffenen von Übergriffen der Polizei, angeführt von dem umstrittenen Sicherheitsminister der Provinz, Sergio Berni. Die prekär errichteten Hütten der Landnehmer seien systematisch niedergebrannt und die Bewohner mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen worden. Während sich ein Großteil der Bewohner angesichts der Polizeirepression zurückzog, leisteten andere mit Steinen und Stöcken Widerstand. 37 Personen wurden laut Polizeiangaben festgenommen.

Die Räumung des Geländes folgte einem Beschluss des zuständigen Richters Martín Rizzo. Dieser hatte zuvor der Klage mehrerer Parteien Recht gegeben, die Ansprüche auf die seit langer Zeit brach liegenden Grundstücke erheben, obwohl sie keinerlei offizielle Besitztitel vorweisen können. Nach zweimaligem Aufschub der Räumungsfrist legte das Gericht diese zuletzt für 30. Oktober fest.

Davor hatte es mehrwöchige Verhandlungen für eine einvernehmliche Lösung zwischen der peronistischen Provinzregierung und Vertretern der auf dem besetzten Land niedergelassenen Familien gegeben.

Der Minister für kommunitäre Entwicklung, Andrés Larroque, verwies auf die Anstrengungen, die Mitte Oktober dazu geführt hätten, dass rund 700 Familien das Land freiwillig verließen. Die Regierung hatte in Aussicht gestellt, innerhalb eines halben Jahres 3.000 Parzellen samt Anschluss an Infrastruktur bereitzustellen. Zudem sollte es unterschiedliche finanzielle Überbrückungshilfen geben, damit die Betroffenen vorübergehend Mieten bezahlen können, oder, so möglich, eine Unterkunft auf eigenen Grundstücken errichten. Laut Larroque sei dies Teil eines umfassenden Plans der Regierung zur Schaffung von Wohnraum, im Zuge dessen in der gesamten Provinz 85.000 Parzellen zur Verfügung gestellt und 33.000 Wohneinheiten errichtet werden sollen.

Menschenrechtsorganisationen verweisen dagegen auf die Absicht der Regierung, die Landbesetzung von Beginn an zu kriminalisieren.

Der Anwalt des Zentrums für rechtliche und soziale Studien, Diego Morales, erinnerte daran, dass die erste staatlich angeordnete Erstellung eines Einwohnerverzeichnisses im September von der Justiz umgehend dazu genutzt wurde, 500 der dabei registrierten Personen wegen Landraubs anzuklagen. Es gehe nun darum, die Aufhebung der Verfahren gegen diese Personen zu erwirken und zugleich den durch die polizeiliche Räumung abgerissenen Dialog mit der Regierung wieder aufzunehmen, um Lösungen für die Vertriebenen zu finden.

"Man sieht hier die zwei Gesichter des Staates", so Morales. "Einerseits die Anstrengung, um zu einem Kompromiss hinsichtlich einer Umsiedlung zu gelangen, andererseits die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und des Richters, die Räumung durchzusetzen.“

Manche Familien beklagen indes, dass die versprochene staatliche Hilfe bis zuletzt nicht bei ihnen angekommen ist. "Mit den Jahren lernt man viele Dinge dazu. Es ist genug der Lügen", so eine Betroffene gegenüber der Tageszeitung Página 12. "Sie brauchen uns, die Armen, damit wir sie wählen, aber danach können sie sich nicht mehr an uns erinnern."