"Für das Leben, das Leben geben": Hungerstreik und Proteste in Gefängnissen in Kolumbien

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Politische Gefangene in Gefängnis in Cúcuta sind am Montag in Hungerstreik getreten
Politische Gefangene in Gefängnis in Cúcuta sind am Montag in Hungerstreik getreten

Bogotá. In Kolumbien hat in dieser Woche eine landesweite Protestaktion zum Schutz der Gefangenen begonnen. Sowohl die Inhaftierten selbst als auch ihre Angehörigen sowie Menschenrechtsverteidiger und Anwaltskollektive rufen zu Protesten auf.

Unter dem Motto "Nein zur Todesstrafe" geht es um die mangelnden Gesundheitsvorkehrungen innerhalb der Haftanstalten angesichts der Corona-Pandemie. Bereits Hunderte Gefangene sind gestorben, darunter Personen, die kurz vor der Freilassung standen. In allen Gefängnissen des Landes werden Infizierte gemeldet, zuletzt 500 Fälle in Ibagué und 60 in Sogamoso, wo nur rund 500 Personen einsitzen.

25 Inhaftierte sind am Montag in einen Hungerstreik getreten. Darunter sind einige politische Gefangene und Mitglieder der Guerillagruppe Nationale Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional, ELN). Ein Sprecher aus dem Gefängnis in Cúcuta erklärt gegenüber amerika21: "Wir fordern eine humane Behandlung, den Schutz unseres Lebens und die Garantie unserer verfassungsmäßigen Rechte." Im Zweifelsfall seien die Gafangenen bereit, "das Leben zu opfern, um das Leben zu retten".

In den meisten größeren Städten wird seit Montag fast täglich vor den Haftanstalten und den Büros der Staatsanwaltschaft protestiert, unter anderem in Cúcuta, Bogotá, Cali, Bucaramanga, Sogamoso, Valledupar, Jamundí und Medellín.

"Ich glaube an eine zweite Chance. Die Todesstrafe in Kolumbien ist verfassungswidrig", erklärt eine Angehörige in Cúcuta via Telefon gegenüber amerika21.

Im Mittelpunkt der Proteste steht die Vorsorge und Behandlung der Covid-19-Patienten. Die Lage in vielen lateinamerikanischen Gefängnissen ist vor allem aufgrund der massiven Überbelegung von bis zu 500 Prozent katastrophal. "Mein Sohn schläft seit Monaten unter einem tropfenden Waschbecken, weil in den Zellen kein Platz ist", beschreibt eine Angehörige in Cali. Eine Isolierung von Infizierten ist unmöglich.

Zudem wird eine systematische Vernachlässigung im Falle von Infektionen deutlich: "Ein Insasse hatte Atemnot und hat die ganze Nacht nach Luft geschnappt, er hatte bereits mehrere Tage heftige Symptome des Coronavirus und wurde nicht behandelt", berichtet ein Gefangener aus La Picota in Bogotá. "Wir haben die Wachen alarmiert, aber es gab keine Reaktion. Dann haben wir die ganze Nacht gegen die Türen und Gitter geschlagen, aber die Tür wurde nicht geöffnet. Erst nach Stunden haben sie ihn herausgelassen, um zur Notfallversorgung zu gehen. Seitdem haben wir keine Nachricht von ihm." Solche Fälle sind an der Tagesordnung.

Neben der akuten Versorgung fordern die Protestierenden besseren Kontakt der Inhaftierten zu ihren Familien, etwa die Reduzierung der Telefongebühren, die im Gefängnis rund 300-mal höher sind.

Um die Überbelegung zu verringern wird die Entlassung von Personen in Untersuchungs- und Vorbeugehaft gefordert, also von Insassen, die noch bicht verurteilt wurden. 50 Prozent der Inhaftierten in Kolumbien warten auf ihren Prozess, das kann bis zu zehn Jahren dauern. Selbst wenn sie dann als unschuldig entlassen werden, gibt es kaum Möglichkeiten dagegen zu klagen.

In den Medien wird über die Proteste wenig berichtet. Zudem wurden noch keine offiziellen Statistiken über Infektionen und Todesfälle in den Gefängnissen veröffentlicht. Auf Nachfragen bei staatlichen Stellen erhielt die Redaktion von amerika21 bisher keine Antworten.