Schiffscrash vor Venezuela: Niederlande sollen ermitteln, Medien verbreiten Fake News

Patrouillenboot stieß mit Passagierschiff zusammen und sank. Hat die RCGS Resolute das Militärboot gerammt? Seeamtsverhandlung nun wohl in Curaçao

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Schüsse vor den Bug: Szene aus dem Video der venezolanischen Marine
Schüsse vor den Bug: Szene aus dem Video der venezolanischen Marine

Caracas/Willemstad/Hamburg. Eine folgenschwere Kollision zwischen einem venezolanischen Patrouillenboot und einem europäisch-kanadischen Passagierschiff vor gut einer Woche wird offenbar rechtliche Konsequenzen haben. Bei dem Zusammenstoß in den frühen Morgenstunden des 30. März vor der Küste der venezolanischen Tortuga-Insel ist das venezolanische Küstenkontrollboot Naiguatá backbordseitig schwer beschädigt worden und gesunken. Kurz zuvor hatte es das beteiligte Passagierschiff kontrollieren wollen. Die Crew der Naiguatá wurde von einem anderen venezolanischen Militärboot, der T-91 Los Frailes, aufgenommen. Militärs des südamerikanischen Landes werfen der Besatzung der unter portugiesischer Flagge fahrenden RCGS Resolute nun vor, für den verheerenden Zwischenfall verantwortlich gewesen zu sein.

Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza forderte die Niederlande daher auf, den Vorfall zu untersuchen. Die beschädigte RCGS Resolute ist unterdessen mit einer reduzierten Besatzung und ohne Passagiere in den Zielhafen von Willemstad auf der niederländischen Überseeinsel Curaçao eingelaufen. Dort ist das Schiff nun offenbar arrestiert und vertäut. Es ist wahrscheinlich, dass die Seeamtsverhandlung in Curaçao stattfinden und der Flaggenstaat Portugal juristische Vertreter entsenden wird. Weder die kanadische Reederei One Ocean Expeditions noch das in Hamburg ansässige Management Columbia Cruise Services haben sich bislang zum weiteren Vorgehen geäußert.

Die RCGS Resolute wurde 1991 in Finnland gebaut. Seerechtlich ist der derzeitige Flaggenstaat Portugal verantwortlich. Lissabon wird die Seeamtsverhandlung wohl aus praktischen Gründen in Curaçao belassen. Vom kanadischen Reeder bzw. Reiseveranstalter One Ocean Expeditions war seit dem Zwischenfall im karibischen Meer nichts zu hören. Das Hamburger Management veröffentlichte eine Erklärung, in der es jede Verantwortung der eigenen Crew zurückweist.

Die GC-23 Naiguatá war ein Küstenkontrollboot der Guaicamuto-Klasse der venezolanischen Marine. Es war zwar in Spanien 2008 unbewaffnet zu Wasser gelassen worden, später aber mit einer Kanone des Typs Oto 76/62 Super Rapid sowie achtern über dem Helideck einem automatischen Schnellfeuergeschütz GDM-008 Millennium des deutschen Unternehmens Rheinmetall nachgerüstet worden. Diese Bewaffnung entspricht Nato-Standard. Ein nicht unwichtiges Detail: Der Einsatz jedes der beiden Geschütz hätte gereicht, das Passagierschiff zu versenken.

Über das Geschehen vor der Tortuga-Insel widersprechen sich die Darstellungen beider Seiten diametral. Kurz nach Mitternacht habe sich der RCGS Resolute ein bewaffnetes venezolanisches Marineschiff genähert, das über Funk die Absichten der Resolute in Frage stellte und den Befehl gab, ihm auf die Isla Margarita zu folgen, hieß es am Tag nach dem Zwischenfall aus Hamburg. "Da sich der RCGS Resolute zu diesem Zeitpunkt in internationalen Gewässern befand, wollte der Kapitän diese spezielle Anfrage bestätigen, die zu einer schwerwiegenden Abweichung von der geplanten Schiffsroute geführt hätte", so Columbia Cruise Services in Hamburg. Während der Kapitän mit der Zentrale in Kontakt war, seien Schüsse abgegeben worden, kurz darauf habe sich das Marineschiff der Steuerbordseite genähert und absichtlich eine Kollision mit der RCGS Resolute provoziert. "Das Marineschiff fuhr fort, den Bug an Steuerbordseite zu rammen, in einem offensichtlichen Versuch, den Kopf des Schiffes in Richtung venezolanische Hoheitsgewässer zu drehen", so Columbia Cruise Services.

Venezuela wirft der RCGS Resolute hingegen vor, in die Zwölf-Meilen-Zone vor La Tortuga eingedrungen zu sein. Wichtig ist, dass das Kreuzfahrtschiff offenbar einen schweren Fehler gemacht hat, indem es sich nicht identifizierte. So kam es nach venezolanischer Darstellung erst zur Kontrolle. Normalerweise werden Schiffe standardmäßig angefunkt, eher selten kontrolliert. Laut venezolanischer Marine stand die Kontrolle daher in Einklang mit geltendem Seerecht. Aus Venezuela heißt es, die RCGS Resolute sei zwischen drei und sieben Seemeilen vor der Küste getrieben, also deutlich innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone. Die Reederei gibt mutmaßlich Darstellungen des Kapitäns wieder, nach denen sich das Schiff 13,3 Meilen vor der Küste in internationalen Gewässern befand.

Nach venezolanischen Angaben eskortierte die Naiguatá die RCGS Resolute in einem parallelen Kurs nach Margarita, als das Kreuzfahrtschiff plötzlich beidrehte und das venezolanische Patrouillenboot mit dem Bug backbordseitig achtern rammte.

Fünf Tage nach dem folgenschweren Zusammenstoß veröffentlichte der Oberkommandierende der venezolanischen Marine, Admiral Giuseppe Alessandrello Cimadevilla, mehrere Videos, Funkmitschnitte und Grafiken, mit denen er die Schuld des europäisch-kanadischen Schiffes bekräftigte. Tatsächlich belegen die Audioaufnahmen des Funkwechsels zunächst, dass die Venezolaner sehr ruhig agierten. Der Wachoffizier auf der RCGS Resolute hingegen wirkt aufgeregt bis konfus. "Wir sind hier in Panik", funkte er zur Naiguatá: "Wir wollen keinerlei Probleme". Er erkennt auch an, dass sich das Kreuzfahrtschiff in venezolanischen Gewässern befindet und entschuldigt sich dafür.

Die Videoaufnahmen zeigen die Schüsse eines Matrosen der Naiguatá vor den Bug der RCGS Resolute – ein übliches Vorgehen, wenn das zu kontrollierende Schiff den Anweisungen keine Folge leistet. Sie zeigen aber vor allem, dass die Darstellung des Managements, das Marineschiff habe die RCGS Resolute steuerbordseitig gerammt, nicht schlüssig ist: Auf den Videos ist zu sehen, wie das für Arktisfahrten verstärkte Kreuzfahrtschiff mit dem Bug die Naiguatá seitlich rammt, die Fahrtrichtung ist nicht ersichtlich. Dies deckt sich auch mit Aufnahmen aus Willemstad, auf denen sich die Schäden am Bug zeigen, während am Steuerbord zunächst keine Kollisionsspuren erkennbar sind.

In deutschen Medien war das Urteil schnell gefällt: "Kriegsschiff rammt deutsches Passagierschiff – und sinkt" (Bild), "Patrouillenboot rammt Kreuzfahrtschiff Treffer... und selbst versenkt" (Tagesspiegel). Die Seeamtsverhandlung in Curaçao könnte aber zu einem ganz anderen Schluss kommen, denn auch wenn die RCGS Resolute das automatische Identifikationssystem nach der Kollision abgeschaltet haben sollte, werden die an Bord gespeicherten elektronische Seekarte und der Voyage Data Recorder über das Geschehen Auskunft geben. Dann wird auch geklärt werden, was genau auf der Brücke des Zivilschiffes geschah, warum die RCGS Resolute den Anweisungen der venezolanischen Marine nicht folgte und den Schiffbrüchigen keine Hilfe leistete. Finanziell steht einiges auf dem Spiel: Schadensersatzforderungen im dreistelligen Millionenbereich für die Naiguatá, Folgekosten durch die massive Umweltverschmutzung und die Bergung des Wracks, das nun in rund 70 Meter Tiefe auf dem Meeresgrund liegt.

Die Crew der RCGS Resolute wird dann wohl längst aus Curaçao abgereist und der verantwortliche Kapitän ersetzt sein. Wenn das Schiff den Hafen verlassen hat, wird die juristische Aufarbeitung schwer. "Dann werden vielleicht vorsichtshalber Flagge und Betreiber gewechselt und die finanzielle Regelung kann sich dann noch Jahre hinziehen", merkte gegenüber amerika21 ein Experte an, der in den Gewässern der Region Erfahrung hat. Davon, so fügte er an, lebten auf Seerecht spezialisierte Kanzleien schließlich gut.