Justizkampf um inhaftierten Ex-Präsidenten Lula da Silva in Brasilien

Richter ordnet Freilassung Lulas an, Kollegen blockieren Order. Verfahren und Verurteilung wurden im Land und international heftig kritisiert

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Kritiker der Politjustiz gegen Lula da Silva in Brasilien ziehen vor dem Gefängnis auf die Straßen
Kritiker der Politjustiz gegen Lula da Silva in Brasilien ziehen vor dem Gefängnis auf die Straßen

Brasília. In Brasilien ist es zu einem offenen Konflikt im Justizapparat um die Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten (2003-2011) Luiz Inácio Lula da Silva gekommen. Nachdem der Berufungsrichter Rogerio Favreto am Sonntagmorgen die sofortige Haftentlassung Lula da Silvas angeordnet hatte, blockierte ein anderer Richter der Kammer, João Gebran Neto, diese Anweisung. Unterstützung bekam er vom Präsidenten des  Berufungsgerichts in Porto Alegre, Carlos Eduardo Thompson Flores, der sich ebenfalls gegen eine Freilassung des inhaftierten Politikers aussprach. Gebran Neto war in zweiter Instanz Ermittlungsrichter im Korruptionsskandal Lava Jato um das staatliche Erdölunternehmen Petrobras, in dessen Zusammenhang Lula da Silva verurteilt wurde.

Der Prozess und die Verurteilung sind im Land und international massiv umstritten. Kritiker der Entscheidung an Anhänger Lula da Silvas versammelten sich am Sonntag vor dem Gefängnis in Curitiba, in dem der Politiker seit dem 8. April inhaftiert ist. Der Justizdisput bekommt zusätzliche Brisanz durch den Umstand, dass der 72-jährige Ex-Präsident die Umfragen für die bevorstehende Präsidentschaftswahl klar anführt.

Favreto beharrte zunächst trotz des Widerspruchs seiner Kollegen auf seiner Anordnung zur Freilassung und setzte dafür eine Frist von einer Stunde. Die Bundespolizei reagierte auf dieses Ultimatum nicht. Brasilianische Medien hinterfragten die Order von Favreto derweil mit der Behauptung, der Jurist sei bis zu seiner Berufung ins Richteramt 2010 Mitglied der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) von Lula da Silva gewesen. Richter Sergio Moro, der die Verurteilung des Ex-Präsidenten in einem mehrfach kritisierten und von Verfahrensverstößen geprägten Prozess vorangetrieben hatte, griff seinen Kollegen Favreto heftig an und bezeichnete ihn als "absolut nicht befugt", eine solche Entscheidung zu treffen.

Moro hatte Lula vorgeworfen, während seiner Präsidentschaft von der brasilianischen Baufirma OAS eine Luxuswohnung in der Küstenstadt Guarujá im Bundesstaat São Paulo sowie Bargeld entgegengenommen zu haben. Der Baukonzern soll im Gegenzug bei Verträgen mit Petrobras bevorzugt behandelt worden sein. Juristen beklagten jedoch, dass Moro keine Beweise vorlegte, die Anklageschrift war von heftigen Widersprüchen gekennzeichnet.

Die Vorsitzende der PT, Gleisi Hoffmann, kritisierte die bisher nicht erfolgte Umsetzung der Anordnung auf Haftentlassung. Dies sei Zeichen der Angst vor einer Kandidatur des in Umfragen für die Präsidentschaftswahlen weit führenden Lula: "Es ist klar, dass sie alles tun, um die Entlassung zu verhindern." Die Bundespolizei habe die Freilassung absichtlich so lange verzögert, bis der Fall schließlich vom Berufungsgericht widerrufen werden konnte, so Hoffmann. Sie rief zudem dazu auf, nun mit den Protesten nicht aufzuhören, bis die Freiheit Lulas erreicht sei.

Bereits am Sonntag gingen in vielen Städten Brasiliens jeweils tausende Menschen auf die Straße, um für die Freilassung Lulas zu protestieren, so in Rio de Janeiro, Curitiba, Belo Horizonte oder São Bernardo do Campo.

Die brasilianische Juristenvereinigung veröffentlichte zudem eine von 125 Anwälten und Professoren unterschriebene Stellungnahme, in der sie neben der sofortigen Umsetzung der Freilassung vor allem die Einhaltung geltenden Rechts fordern. Dies hätten die Bundespolizei und die Richter Neto und Flores offensichtlich nicht getan, da Lula trotz entsprechender Anweisung noch immer nicht freigelassen wurde.

Lula da Silva verbüßt derzeit eine langjährige Haftstrafe. Im Januar hatte das Berufungsgericht in Porto Alegre die Verurteilung des Ex-Präsidenten aus dem Jahr 2017 bestätigt. Zugleich erhöhten die Richter das Strafmaß von neuneinhalb Jahren auf gut zwölf Jahre.