Venezuela / Politik

Kräftemessen in Venezuela am Tag von Test- und symbolischen Wahlen

Regierungslager vermeldet starke Beteiligung der Wahlberechtigten. Opposition verkündet schwer zu überprüfenden Erfolg. Keine Vermittlung erkennbar

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Beide Seiten berichten über eine große Beteiligung an den Abstimmungen am Sonntag in Venezuela
Beide Seiten berichten über eine große Beteiligung an den Abstimmungen am Sonntag in Venezuela

Caracas. Die in Venezuela üblichen offiziellen Tests der technischen Abläufe vor Wahlen sowie das symbolische Plebiszit des Oppositionsbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) haben die Mobilisierungsfähigkeit der beiden politischen Lager demonstriert. Die Wahlbehörde CNE führte am Sonntag den Testlauf für die Kandidatenwahl zur verfassunggebenden Versammlung am 30. Juli durch, das Oppositionslager eine selbst organisierte Befragung der Bevölkerung, die unter anderem deren Verhinderung zum Ziel hat. In Venezuelas Verfassung sind Volksbefragungen vorgesehen, sie müssen jedoch laut Artikel 293 von der Wahlbehörde organisiert und überwacht werden. Der "Wahlzettel" der Opposition beinhaltete zudem einen Appell an die Bolivarischen Streitkräfte, der Regierung die Gefolgschaft zu verweigern, sowie die Frage nach Zustimmung für die "Erneuerung der Staatsgewalten", die Durchführung von Wahlen und die Bildung einer "neuen Regierung der nationalen Einheit".

Die venezolanische Opposition bezeichnete kurz nach dieser symbolischen Abstimmung die Ergebnisse als großen Erfolg. Etwas mehr als sieben Millionen Venezolaner im In- und Ausland hätten sich beteiligt. Parlamentspräsident Julio Borges kommentierte auf seinem Twitter-Kanal: "Nicolás Maduro ist mit dem heutigen Tag abgewählt." Ein in internationalen Medien kolportiertes selbstgestecktes Ziel der Teilnahme von mindestens acht Millionen Personen, um von einem Erfolg sprechen zu können, hat der MUD demnach jedoch nicht erreicht. Allerdings sind die Zahlen nicht verifizierbar. Im Vorfeld der Abstimmung twitterte Borges noch, dass alle Venzolaner, "ob als Wähler eingeschrieben oder nicht, mit gültigem Ausweis oder ohne" an der Abstimmung teilnehmen könnten. Die Opposition hatte zudem, wie angekündigt, die unterschriebenen "Wahlzettel" unmittelbar nach der Auszählung vernichtet, "um Repressalien auszuschließen".

Nach den Testwahlen für die Constituyente, die vom CNE ausgerichtet wurden, sprach der Kampagnenleiter der regierenden sozialistischen Partei (PSUV), Héctor Rodríguez, ebenso wie die  Leiterin des CNE von einer "massiven Beteiligung". Bilder in verschiedenen Medien und TV-Reportagen zeigen lange Schlangen vor Wahllokalen. Sollte sich das nach einer nach Hochburgen von Regierung und Opposition differenzierten Analyse bestätigen, wäre es eine erhebliche Stärkung für das Vorhaben der Regierung, das Land mit einer verfassunggebenden Versammlung zu befrieden. Ergebnisse von ernst zu nehmenden Meinungsumfragen in jüngster Zeit, wonach in der Bevölkerung zwischen 63 und 70 Prozent der Befragten der Opposition eine Lösung der wirtschaftlichen Krise nicht zutrauen, dürften der Regierung ebenfalls Argumente liefern.

Rodríguez nannte den Verlauf des Sonntags "eine Botschaft des Friedens durch das venezolanische Volk". Präsident Maduro betonte, mit ihrer Beteiligung habe die Bevölkerung vor allem "die Gewalt zurückgewiesen". Er warb darum, die verfassunggebende Versammlung "als einzigen Weg zum Frieden, zur Konsolidierung des sozialen Modells, zur Erholung der Wirtschaft im Rahmen eines produktiven sozialistischen, wahrhaft humanistischen ökonomischen Modells" anzunehmen.

Die vom Präsidenten und seinem Kabinett einberufene Constituyente ist in Venezuela höchst umstritten. Gegner bezeichnen das Procedere als nicht mit der Verfassung vereinbar und fordern eine vorherige Volksbefragung. Die Befürworter verweisen, anders interpretierend, auf den selben Artikel der Verfassung.

Politische Einwände kommen von den rechten Parteien des MUD bis hin zu ehemaligen und gegenwärtigen Teilen des chavistischen Lagers, linken Gruppierungen und Einzelpersonen sowie früheren Ministern von PSUV-Regierungen. Die Vorwürfe reichen von "betrügerischen Absichten" der Regierung, die ihre Macht ausbauen wolle, bis hin zu Befürchtungen, dass eine verfassunggebende Versammlung in der aktuellen, stark polarisierten Situation in dem südamerikanischen Land die gewaltgeladene Krise zu einem Bürgerkrieg eskalieren lassen könnte. So hatte ein Bündnis noch am Freitag Regierung und Opposition aufgerufen, jeweils von ihren angesetzten Wahlen abzulassen.

Auch diese Kontroverse wird von Gewalt und Todesfällen überschattet: Am 10. Juli war der chavistische Kandidat für den Sektor Transportarbeiter, José Luis Rivas Aranguren, in Maracay im Teilstaat Aragua getötet worden. Laut Medienberichten nahm Aranguren an einer Veranstaltung zur Vorstellung der Kandidaten für die Constituyente teil, als ein Unbekannter auf ihn schoss. Mehrere Personen wurden dabei verletzt. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln unterdessen im Fall der 61-jährigen Xiomara Scott, die am Sonntag in Caracas im Stadtteil Catia getötet wurde. Scott befand sich mit weiteren Personen unweit einer Kirche, in der ein MUD-Wahllokal eingerichtet war, als schwarzgekleidete, vermummte Männer auf Motorrädern vorbeifuhren und das Feuer eröffneten. Drei weitere Frauen wurden schwer verletzt. Die Opposition macht regierungsnahe Gruppen verantwortlich.

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