Venezuela / Politik

Kontroverse um verfassunggebende Versammlung in Venezuela dauert an

Demonstrationen für und gegen verfassunggebende Versammlung. Opposition unterstützt Kritik der Staatsanwältin. Oberstes Gericht weist Beschwerde ab

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Bilder vom Protest am Montag in Caracas, die Freddy Guevara auf Twitter verbreitet. Man sei "bis auf einen Häuserblock an den TSJ und sechs Häuserblocks an Miraflores"  ‒ den Präsidentenpalast  ‒ herangekommen und werde weiter vorrücken
Bilder vom Protest am Montag in Caracas, die Freddy Guevara auf Twitter verbreitet. Man sei "bis auf einen Häuserblock an den TSJ und sechs Häuserblocks an Miraflores" ‒ den Präsidentenpalast ‒ herangekommen und werde weiter vorrücken

Caracas. In Venezuela haben mehrere hundert Gegner der sozialistischen Regierung von Präsident Nicolás Maduro am Montag erneut gegen die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung demonstriert. Sie folgten einem Aufruf des Oppositionsbündnisses Tisch der demokratischen Einheit (MUD), zum Obersten Gerichtshof (TSJ) im Zentrum von Caracas zu ziehen. Die Straßen rings um den Sitz des TSJ waren von Sicherheitskräften abgesperrt worden. Zuvor hatte das Mitte-rechts-Bündnis, das maßgeblich für die teils gewalttätigen Proteste der vergangenen Wochen verantwortlich ist, Aktionen von "größerer Schlagkraft" als bisher angekündigt.

Auch linke Gruppen und Einzelpersonen, die sich selbst als "kritischen Chavismus" definieren, hatten zu Protesten aufgerufen. Bereits am Samstag protestierte eine Gruppe von Juristen, Anwältinnen und Richtern des Obersten Gerichts. Sie berufen sich auf einen Einspruch, den die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz bei dem Gericht eingereicht hatte, um eine Annullierung der für den 30. Juli angesetzten Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung zu erreichen. Auch die Gruppierung Marea Socialista, die aus einer Abspaltung der regierenden Sozialisten hervorging, befürwortetete die Initiative Ortegas in einer Stellungnahme.

Die Generalstaatsanwältin argumentierte, nur das Volk könne mit einem Referendum eine solche Versammlung einberufen und mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragen. Die Einberufung durch Präsident Maduro und den Ministerrat sei illegal. Seit Wochen gibt es einen Streit unter venezolanischen Juristinnen und Juristen, ob das in Artikel 348 der Verfassung verbriefte Recht des Präsidenten, "die Initiative zur Einberufung der Verfassunggebenden Nationalversammlung" zu ergreifen, bedeute, dass dies ohne vorherige Volksabstimmung geschehen könne. Die letzte verfassunggebende Versammlung im Jahr 1999 war – allerdings noch unter der Rechtsordnung der Verfassung von 1961 – war durch ein landesweites Referendum einberufen worden.

Die Position Ortegas fand in den vergangenen Tagen Zuspruch bei führenden Persönlichkeiten des MUD-Bündnisses, so beim ehemaligen Parlamentspräsidenten Henry Ramos Allup und dem stellvertretenden Vorsitzenden der Rechtspartei Gerechtigkeit Zuerst (Primero Justicia), Freddy Guevara. In großen Teilen der Bevölkerung scheint gegenüber Maduros Initiative ebenso Skepsis vorzuherrschen. Laut jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Datanálisis, das der Opposition nahesteht, lehnen 85 Prozent der Befragten eine Änderung der Verfassung ab. 86,1 Prozent sehen derselben Umfrage zufolge ein Referendum als notwendig an, um eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen.

Andererseits finden in Caracas und anderen Städten regelmäßig Versammlungen und Kundgebungen für die Verfassungsreform statt. So begleitete am Sonntag eine rot gekleidete Menschenmenge die Kandidatinnen und Kandidaten zur Einschreibung beim Nationalen Wahlrat im Zentrum der Hauptstadt. Viele Basisorganisationen und Aktivisten sehen in der Reform eine Möglichkeit, die sozialistische Revolution im Land zu vertiefen, berichtet das Portal venezuelanalysis.

Der Oberste Gerichtshof wies indes am Montag die Beschwerde der Staatsanwältin gegen den Wahlprozess ab. Diese radikalisierte derweil ihre Kritik am TSJ und forderte die Absetzung von insgesamt 13 Richtern und 20 ihrer Vertreter, weil ihre Ernennung Ende 2015 in einem "schlecht gemachten Verfahren" stattgefunden habe, kurz bevor die Opposition die Mehrheit der Abgeordneten stellte. Ihre "Parteilichkeit" habe die politische Krise bescheunigt, in der sich das Land befindet, so Ortega Díaz.

Präsident Maduro kündigte als Schritt zur Entspannung der politischen Situation an, dass er ein Schreiben an Papst Franziskus richten werde. Der Pontifex solle auf die venezolanische Opposition einwirken, damit diese "die Gewalt beende". Insbesondere kritisierte Maduro die Rekrutierung Minderjähriger für die gewaltsamen Proteste, die in den vergangenen rund 70 Tagen bereits über 75 Todesopfer gefordert haben.

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