Brasilien entsendet Armee in Gefängnisse

Nach mehreren Aufständen mit 134 Toten soll Militär "Normalität und Mindeststandards von Sicherheit" herstellen. Suche nach Waffen, Mobiltelefonen und Drogen

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Soldaten sollen "Normalität und Mindeststandards von Sicherheit in den Haftanstalten" herstellen, so die de-facto-Regierung von Brasilien
Soldaten sollen "Normalität und Mindeststandards von Sicherheit in den Haftanstalten" herstellen, so die de-facto-Regierung von Brasilien

Brasília. Die Regierung von De-facto-Präsident Michel Temer in Brasilien hat den Einsatz der Streitkräfte in Gefängnissen autorisiert. Die Entscheidung folgte dem politischem Druck aus den betroffenen Regionen. Die Problematik habe aufgrund ihrer Dimension "nationale Züge" angenommen, so Temer zur Begründung.

Bei einem Sicherheitstreffen am 17. Januar, an dem die Gouverneure der betroffenen Bundesstaaten, Vertreter der Armee, der Geheimdienste, der Bundespolizei sowie der zuständigen Ministerien für Verteidigung, Justiz und Innere Sicherheit teilnahmen, hatten mehrere Bundesstaaten einen "breiteren Einsatz" der Nationalgarde und Armee innerhalb der Haftanstalten gefordert. Justizminister Alexandre de Moraes hatte dies mit Verweis auf die Verfassung zunächst abgelehnt, die einen solchen Einsatz nicht decke.

Nach Jahresbeginn war es in Haftanstalten in den Bundesstaaten Amazonas, Roraima und Rio Grande do Norte zu Aufständen und Massakern unter den Insassen gekommen. Nur einen Tag nach dem Sicherheitstreffen gab es am 18. Januar im Gefängnis Seridó, ebenfalls im Bundesstaat Rio Grande do Norte, einen weiteren Aufstand, bei dem ein Insasse ums Leben kam und etliche verletzt wurden.

Laut der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten sollen die Soldaten für Zellenkontrollen, das Aufspüren und Beschlagnahmen verbotener Gegenstände und Materialien verantwortlich sein, teilte der Pressesprecher des Präsidialamtes, Alexandre Parola, mit. Im Besonderen soll nach Waffen, Mobiltelefonen und Drogen gesucht werden. "Dieser Einsatz zielt auf die Wiederherstellung der Normalität und der Mindeststandards von Sicherheit in den Haftanstalten ab", so Parola.

Verteidigungsminister Raul Jungmann betonte, dass die Soldaten "keinen Umgang mit den Gefangenen haben. Dies wird Aufgabe der Polizisten und Vollzugsbeamten sein." Für die Zellendurchsuchungen würden die Insassen zuvor in andere Bereich verlegt, so Jungmann. Insgesamt stellte er die Bereitschaft von 350.000 Mann in Aussicht.

Dass es zu keinem Kontakt zwischen Armeeangehörigen und Häftlingen kommen werde, wird derweil von Spezialisten bezweifelt. Die Soldaten seien zudem für den Einsatz im Gefängnis nicht ausgebildet, so der frühere Staatssekretär für Nationale Sicherheit, José Vicente da Silva Filho. Er nannte den Entschluss einen Fehler. Vielmehr müsse verhindert werden, dass sich das Problem auf andere Bundesstaaten ausbreite, der Armeeeinsatz mache dabei keinen Unterschied.

Der Forscher Leandro Piquet von der Universität São Paulo glaubt hingegen, das Militär habe ausreichend Erfahrungen in Friedensmissionen der UNO gesammelt. Angesichts der derzeitigen Lage könne es dazu beitragen, Leben zu retten.

Als Auslöser der Aufstände wird immer wieder die Rivalität organisierter Gruppen genannt. Tatsächlich waren die letzten drei Aufstände eine Antwort der kriminellen Vereinigung Primeiro Comando da Capital (PCC) auf die Vorfälle im Gefängnis von Manaus, Amazonas. Bei Kämpfen zwischen zwei Banden und einem darauf folgenden Polizeieinsatz kamen dort 56 Personen, vorrangig aus den Reihen der PCC, ums Leben.

Als Ursache der Rebellionen gilt hingegen die drastische Überbelegung der Gefängnisse. Mit 622.000 Insassen gegenüber 391.000 Plätzen im Jahr 2014 war das Gefängnissystem mit 161 Prozent Auslastung massiv überbelegt, wie die Zahlen des Nationalen Behörde für Gefängnisaufsicht (Sistema Integrado de Información Penitenciaria (Infopen) belegen. Mitunter werden Insassen im selben Trakt der Aufenthaltsräume der Aufseher untergebracht.

Neben den unzureichenden Kapazitäten gelten aber auch das strenge Vorgehen gegen Drogenhandel und -konsum sowie das überforderte Justizsystem als mitverantwortlich für die Überbelegung. Wegen kleinster Drogendelikte landeten Personen für Jahre im Gefängnis. Zudem befinden sich Personen in Haft, die noch nicht rechtskräftig verurteilt seien oder die eine Strafe im offenen Vollzug ableisten könnten, so der Vorsitzende der Gerichtskammer von São Paulo, Paulo Dimas Mascaretti. Auch befänden sich immer wieder Personen in Haft, deren Strafe abgelaufen ist.

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