Kuba / Politik

Raúl Castro fordert Debatte über Kubas Probleme

Rede vor Parlament ruft zahlreiche Reaktionen hervor. Negative Folgen von Krise und Reformen wurden lange ignoriert

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Fordert mehr Debatten: Raúl Castro
Fordert mehr Debatten: Raúl Castro

Havanna. Lange Zeit hatte die kubanische Regierung die Probleme der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in Kuba in ihren Reden nicht thematisiert. Nun kritisierte Staats- und Regierungschef Raúl Castro in einer Rede vor dem Parlament, der Nationalversammlung, zahlreiche negative Entwicklungen. Die halbstündige Rede provozierte im Land und international starke Reaktionen.

Zwar hatte Raúl Castro bereits in der Vergangenheit Fälle von Korruption und gesellschaftliche Missstände angeprangert. Die jüngste Rede war in ihrer Deutlichkeit jedoch außergewöhnlich. Aus diesem Grund widmete die Staatszeitung Granma, das Zentralorgan der regierenden Kommunistischen Partei Kubas, am Dienstag alleine den Reaktionen der Kubaner auf die Rede eine Doppelseite – auch das ein Novum. "Unmoralische Verhaltensweisen, die heute in unserer Gesellschaft entstehen und allen ihren Bereichen zu schaffen machen, garantieren für viele teilnahmslosen und korrupten Leute einen Lebensstil, der weit über die Möglichkeiten und die Kaufkraft jedes ehrlichen Arbeiters hinausgeht", hieß es in einem Leserbrief. Castro habe "die soziale Disziplinlosigkeit und den Werteverlust thematisiert, der sich in unserer Gesellschaft zeigt. Jetzt ist es an allen, gegen diese Übel anzukämpfen", kommentierte Lourdes Peña, Rentnerin in Havanna. Ein Bauarbeiter schrieb von "einer der überzeugendsten Reden der letzten Jahre".

Castro hatte den Werteverfall als Konsequenz des Notwirtschaftsregimes nach 1990 – die sogenannte Sonderperiode – bezeichnet. Die mutwillige Zerstörung öffentlichen Eigentums, Entsorgung von Müll auf öffentlichen Plätzen, Schwarzfahren bei öffentlichen Verkehrsmitteln, mangelnde Rücksichtnahme und Diebstahl seien zunehmende Probleme in Kuba. "Das alles passiert direkt vor unserer Nase, ohne eine öffentliche Gegenreaktion zu provozieren", sagte er. Trotz der "unbestreitbaren Errungenschaften der Revolution im Bildungsbereich denke ich, dass wir auf dem Gebiet der Kultur und des Gemeinsinns zurückgefallen sind", urteilte Kubas Präsident in seltener Offenheit. Notwendig sei ein permanenter Kampf gegen den Werteverfall, der von der Familie als der Basis der Gesellschaft, über Schulen, öffentliche Institutionen bis zu den Betrieben geführt werden müsste.

Soziale Erosionserscheinungen waren in Kuba nach 1990 lange tabuisiert. Erst über Literatur und Musik waren Themen wie Prostitution und Korruption nach 1990 in die Debatte eingebracht worden, während staatliche Medien weitgehend schwiegen. Raúl Castro, der zu keiner weiteren Amtszeit mehr antreten wird, hat mit dieser Trennung der Sphären gebrochen und wiederholt eine offene Debatte über soziale und gesellschaftliche Probleme in der kubanischen Gesellschaft gefordert. Seine jüngste Rede steht im Kontext dieser neuen Politik, die sich noch nicht in allen Medien und Institutionen niedergeschlagen hat.

Zugleich sprach Castro vor dem Parlament über die wirtschaftlichen Reformmaßnahmen. Es sei noch ein weiter Weg für Kuba, bis alle laufenden wirtschaftlichen Reformen umgesetzt sein würden, führte er aus. Dennoch machten Studien zur Vereinheitlichung der beiden in Kuba kursierenden Währungen Fortschritte. Die 1994 eingeführte Doppelwährung sei eines der größten Hindernisse für die Entwicklung des Landes. Zudem sagte Castro, dass das Wirtschaftswachstum von 2,3 im ersten Halbjahr 2013 keine spürbaren Auswirkungen auf die kubanische Durchschnittsfamilie gehabt habe.

Castros Rede klinge nach einer Breitseite der alten Generation gegen respektlose Jugendliche und sei "eine Schmährede, die die Lippen vieler Großvater verlassen haben könnte", hieß es in der antikubanischen US-Zeitung Miami Herald. "Für viele Menschen dürfte die kritisierte Disziplinlosigkeit allerdings nicht das größte Problem im Land sein", kommentierte das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel Online mit verweis auf die kubanische Opposition. Mit Maßnahmen wie den Reisegesetzen im Januar wolle die Regierung nur "ihr Image international aufbessern", wird eine Oppositionsgruppe von dem Medium zitiert.