In bemerkenswerter Offenheit hat Spiegel Online im bolivianischen Konflikt gegen Präsident Evo Morales Partei ergriffen.
"Der Indio-Präsident (...) spricht schlecht und ungern Spanisch, er nennt sich Sozialist, in seinem Büro hängt ein riesiges Porträt von Che Guevara aus Kokablättern," höhnt Jens Glüsing, langjähriger Spiegel-Korrespondent in Rio. Der "unbedarfte Indio-Präsident", ein - wie könnte es anders sein - "Schützling" von Hugo Chávez aus Venezuela, "spaltet das Land", lautet Glüsings schlichte Diagnose.
Dazu passt die wohlwollende Charakterisierung des Unternehmers Branko Marinkovic: "Er ist in Santa Cruz geboren, hat sich hier hochgearbeitet, jetzt besitzt er eine Fabrik für Speiseöl. Er ist weiß, er zählt zur wirtschaftlichen Elite des Landes, er hat Arbeitsplätze geschaffen und mitgeholfen, die von der Zentralregierung in La Paz lange vernachlässigte Provinzstadt in eine blühende Metropole zu verwandeln."
Kein Wort davon, dass es die rechtsextremen jugendlichen Anhänger von Marinkovic waren, die am Dienstag Regierungsbüros in Santa Cruz besetzten und plünderten. In Orwellschem Neusprech bezeichnete Marinkovic, der Vorsitzende des örtlichen "Bürgerkomitees", die eher hilflosen Aktionen von Polizei und Militär in Santa Cruz als "Repression" und "Antwort der Regierung auf eine friedliche Bürgerdemonstration."
Das Agieren des mittlerweile ausgewiesenen US-Botschafters Philip Goldberg verharmlost Glüsing als „unglücklich“. Der wirkliche Bösewicht ist natürlich Chávez: Der nämlich schüre einen "neuen Kalten Krieg in Lateinamerika. Er hat ausgerechnet das 'kranke Herz' Südamerikas, wie Bolivien gern genannt wird, zum Schauplatz für seinen Showdown mit dem 'Imperium' auserkoren." Ungekürztes Original hier.
P.S.: Besonders verräterisch ist Glüsings durchaus umstrittene Einschätzung, Morales spreche schlecht Spanisch. Ähnlich wird sich in Brasilien gerne über das angeblich schlechte Portugiesisch und den fehlenden Universitätsabschluss von Präsident Lula mokiert - in jenen Kreisen, die sich bis heute noch nicht damit abgefunden haben, dass nun ein Vertreter des einfachen Volkes das höchste Staatsamt bekleidet.
Beide Präsidenten, besonders der begnadete Rhetoriker Lula, bedienen sich eines umgangssprachlichen Registers, das auch von der breiten Bevölkerung verstanden wird – im Gegensatz zur geschraubt-juristischen Rhetorik vieler anderer Politiker.
Den BolivianerInnen kommt Evos "schlechtes Spanisch" viel natürlicher vor als jenes seines neoliberalen, 2003 vertriebenen Vorgängers Gonzalo Sánchez de Lozada: Der nämlich lebte bereits in seiner Jugend – wie auch jetzt wieder – in den USA und hat einen markanten Gringo-Akzent.
Quelle: blogs.taz.de