Venezuela / Politik

Venezuelas neue Nationalversammlung (1)

Übersicht über das Ergebnis der Parlamentswahl Ende September 2010 (Teil 1)

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Ziemlich rot: Sitze der neuen Nationalversammlung
Ziemlich rot: Sitze der neuen Nationalversammlung

Caracas. Nach der Wahl in Venezuela sehen sich beide großen Lager als Sieger. In gewisser Weise sind sie es auch Auf der Einen Seite steht die Allianz aus Vereinigter Sozialistischer Partei Venezuelas (PSUV), Kommunisten und kleineren Partnern. Sie ist mit 98 Sitzen im Parlament deutlich die stärkste Fraktion geworden. Allerdings hat sie nicht die Zweidrittelmehrheit der Mandate erreicht, was ihr erklärtes Ziel war, um sogenannte Organgesetze zu verabschieden. Diese Gesetze regeln nach § 203 der bolivarischen Verfassung des Jahres 2000 die "Organisation der öffentlichen Gewalten" oder die "Konkretisierung der verfassungsmäßigen Rechte".

Die Zweidrittelmehrheit ist also für eine weitere Vertiefung des bolivarischen Prozesses von besonderer Bedeutung. Sie nicht erreicht zu haben, kann als Niederlage gewertet werden, wenngleich innerhalb der PSUV schon vor der Wahl von vielen dieses Ziel als unrealistisch eingestuft wurde.

Dem sogenannten "Tisch der demokratischen Einheit" (MUD) der wichtigsten Oppositionsparteien Rechtsaußen bis zur Sozialdemokratie ist es gelungen, diese Mehrheit der Regierungspartei zu brechen. Das ist einer der Erfolge der Opposition, die nach dem Wahlboykott von 2005 erneut ins Parlament eingezogen ist. Mit 65 Sitzen und den zwei im Bundesstaat Amazonas gewonnenen Mandaten der im Frühjahr aus der Allianz mit der PSUV ausgescherten Partei "Vaterland für alle" (PPT) ist es den Oppositionsparteien auch gelungen, knapp mehr als zwei Fünftel der Sitze zu gewinnen. Das wiederum bedeutet, dass die neue Nationalversammlung ohne Zustimmung der Opposition kein Gesetz nach § 203 der Verfassung verabschieden kann, auf dessen Basis der Präsident Gesetze per Dekret auf den Weg bringen könnte. Die PPT hat bereits angekündigt, ein solches Gesetz nicht mit zu tragen, sollte es die PSUV zur Abstimmung stellen. Nötig wären 99 Stimmen, also genau einer mehr, als die PSUV gewonnen hat.

Die absoluten Zahlen der Wählerstimmen sind besonders interessant, ist doch ein Streit über ihre Interpretation entbrannt. Auf der einen Seite verweist die Regierung darauf, dass sie mehr Stimmen als die Opposition erhalten hat. Das ist im Verhältnis zum MUD richtig. Für sich genommen hat die Allianz aus PSUV, Kommunisten (PCV), Vereinigter Volksallianz (UPV) und Tupamaros nach Angaben der venezolanischen Nachrichtenagentur AVN 48,5 Prozent der Listenstimmen erhalten (5,42 Millionen), eine belastbare Auflistung der Stimmen für Direktkandidaten gibt es derzeit nicht. Der MUD erhielt 47,2 Prozent (5,32 Millionen). Die sonstigen Parteien inklusive der PPT (330.000 Stimmen) 4,6 Prozent.

Rechnerisch ergäbe sich also eine Mehrheit gegen Chávez, aber eben nur rechnerisch. Denn Parlamentswahlen sind keine Präsidentschaftswahlen, und es wird vermutlich schon schwierig sein, sich innerhalb des MUD auf einen Präsidentschaftskandidaten zu einigen. Die PPT verließ zwar im Streit mit Chávez die Allianz mit der PSUV, aber da sie einen dritten Weg anstrebt, ist derzeit völlig unklar, ob sie sich dem MUD für die Präsidentschaftswahlen 2012 anschließen könnte.

Eine Übersicht über das Wahlergebnis mit leicht abweichenden Zahlen und Parteizugehörigkeit gibt es bei der oppositionellen Zeitung El Universal.