FAZ schneidet sich eine Caudilla aus der Rippe

Vorsicht neoliberaler Neusprech

Cristina Fernández de Kirchner wird am 10. Dezember 2007 gleich zweimal Geschichte schreiben, wenn man der Frankfurter Allgemeinen Zeitung glauben mag: Zum einen wird sie als Argentiniens erste demokratisch gewählte Präsidentin ihr Amt antreten, zum anderen dürfte sie ab dann als erste „Caudilla“ des 21. Jahrhunderts durch den deutschen Blätterwald geistern. Diesen zweifelhaften Beinamen hat ihr der Lateinamerika-Korrespondent der deutschen Leitmediums, Josef Oehrlein, verpaßt. Am 2. November schrieb er anläßlich von Fernández' Wahlsieg:

„Néstor Kirchner war in seiner unkonventionellen Art zunächst als eine Art Anti-Caudillo aufgetreten. Er verlässt das Präsidentenamt als strahlender Held, der vorgibt, das Land aus der Krise geführt zu haben. Tatsächlich hat er es zwar wirtschaftlich vorangebracht, politisch aber ruiniert. Seine Frau Cristina hat das Zeug dazu, die erste 'Caudilla' Argentiniens zu werden.”

Damit gelang dem Journalisten ein Hattrick: erstens legte er die Grundlage für eine weitere Verarmung der deutschen Sprache; zweitens leistete er seinen Beitrag zur fortschreitenden Verdummung des an sich schon PISA-geschädigten „Bildungsbürgertums“ und drittens produzierte Oehrlein ein Klischee für die demnächst anlaufende Medienkampagne gegen Fernández, falls diese nicht auf den Pfad des Neoliberalismus zurückkehren sollte.

Zum Wesen des Neoliberalismus gehört sein Neusprech, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, daß er Worte ihrer eigentlichen Bedeutung raubt und sie mit neuen, ihm genehmen Definitionen füllt. Die ihm geneigten Medienunternehmen übernehmen dann die Verbreitung der recycleten Worthülsen. Zu dieser Masche gehört der in den hiesigen Mainstreammedien geradezu inflationäre, wenn nicht gar obligtorische Mißbrauch des Begriffs „Caudillo“, mit dem vorzugsweise Venezuelas Präsident Hugo Chávez belegt wird.

Vor diesem Hintergrund sei kurz die eigentliche Bedeutung des Terminus in Erinnerung gerufen. Mit „Caudillo“ bezeichnete man im mittelalterlichen Spanien jene christlichen Heerführer, die gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel kämpften. Im 19. Jahrhundert nennen sich „Caudillos“ jene Großgrundbesitzer in Lateinamerika, die nach der Befreiung von der spanischen Krone einen bewaffneten Haufen anführen, mit dem sie ihre Macht und ihr Territorium verteidigen. Während des spanischen Bürgerkriegs (1936-39) legte der faschistische Putschgeneral Francisco Franco fest, daß er als Staatsoberhaupt mit „Caudillo“ zu titulieren sei. Damit wollte er sich auf dieselbe Stufe stellen neben seine beiden europäischen Spießgesellen, dem deutschen „Führer“ Adolf Hitler und dem italienischen „Duce“ Benito Mussolini.

Angesichts der Historie des Wortes erklärt sich, warum der Duden-Verlag in seinem Deutschen Universal-Wörterbuch den „Caudillo“folgendermaßen übersetzt: „1. politischer Machthaber, Diktator. 2. Hauptling, Heerführer.“ Damit dürfte semantisch wie politisch klar sein, warum es, gelinde gesagt, ein absoluter Fehlgriff ist, Chávez und Fernández als „Caudillo“ beziehungsweise „Caudilla“ zu bezeichnen.

Fazit: Sag mir, wen du “Caudillo” nennst, und ich sage dir, ob du ein Neoliberaler bist.